Richter wenden Faustformel an

Personenbedingte Entlassung und Kündigungsschutz

25.06.2012
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Dr. Christian Salzbrunn zur personenbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers wegen der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe

Ein Arbeitsverhältnis, auf welches das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet, kann nur dann vonseiten des Arbeitgebers gekündigt werden, wenn gem. § 1 Abs. 2 KSchG entweder betriebsbedingte oder verhaltensbedingte oder personenbedingte Gründe hierfür vorliegen. Die personenbedingte Kündigung ist die in der Praxis am seltensten vorkommende Kündigung. Sie setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Fähigkeit oder seine Eignung verloren hat, die geschuldete Arbeitsleistung ganz oder zum Teil zu erbringen.

Wird ein Arbeitnehmer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, ist eine personenbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber möglich.
Wird ein Arbeitnehmer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, ist eine personenbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber möglich.
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Der häufigste Fall einer personenbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen einer Krankheit, sie kann aber auch aufgrund einer Drogen- und Alkoholabhängigkeit, aufgrund des Verlustes einer Arbeitserlaubnis bei ausländischen Mitarbeitern oder z. B. beim Verlust einer Erlaubnis zur Ausübung des Berufs (z. B. der Verlust der Rechtsanwaltszulassung bei Rechtsanwälten oder der Fahrerlaubnis bei Berufskraftfahrern) in Betracht kommen.

Beruht der Grund der Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers auf dem Umstand, dass er zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe antreten muss, so steht seit dem Urteil des BAG vom 22.09.1994 fest, dass auch dies grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Die Richter des BAG stellten seinerzeit den Grundsatz auf, dass die Berechtigung einer personenbedingten Kündigung im Einzelfall von der zeitlichen Dauer der Verhinderung und dem Ausmaß der betrieblichen Belastung abhänge (BAG, Urteil vom 22.09.1994, Az.: 2 AZR 719/93). Unklar war bislang jedoch wie lange sich ein Arbeitgeber in der Regel gedulden muss, bis er den Arbeitsplatz mit einem neuen Arbeitnehmer besetzen kann.

Nun musste sich das BAG erneut mit der Rechtsfrage der personenbedingten Kündigung aufgrund einer Haftstrafe befassen und gab nun eine entsprechende Faustformel vor. In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen seit 1992 beschäftigten Industriemechaniker eines Automobilunternehmens (VW). Im November 2006 kam er wegen einer Straftat zunächst in Untersuchungshaft. Im Mai 2007 wurde er - bei fortdauernder Inhaftierung - zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Ein offener Vollzug war zunächst nicht vorgesehen, eine dahingehende Prüfung sollte erstmals für den Dezember 2008 erfolgen.

Arbeitsplatz neu besetzt

Das beklagte Unternehmen besetzte den Arbeitsplatz neu und kündigte dem Mitarbeiter im Februar 2008 das Arbeitsverhältnis. Der Mitarbeiter erhob hiergegen eine Kündigungsschutzklage und stellte sich in dem Verfahren auf den Standpunkt, dass das beklagte Unternehmen vor allem in Anbetracht seiner Größe verpflichtet sei, die Zeit seiner haftbedingten Abwesenheit zu überbrücken, bis er einen Freigängerstatus erreicht habe.

Diese Klage hatte zunächst vor dem Arbeitsgericht Braunschweig keinen Erfolg, dafür aber vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Das BAG hielt die Kündigung wiederum für wirksam. Die Richter des BAG bestätigten in ihrem Urteil vom 24.03.2011 zunächst die bisherige Rechtsprechung, wonach (soweit die Straftat keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat) die Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe in der Regel durchaus geeignet ist, eine personenbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Sodann betonten die Richter erneut, dass sowohl bei den Anforderungen an den Kündigungsgrund als auch bei der einzelfallbezogenen Interessenabwägung zu berücksichtigen sei, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsunmöglichkeit und damit einhergehende Störungen des Arbeitsverhältnisses selbst zu vertreten habe. Aufgrund dessen seien dem Arbeitgeber weitaus weniger Anstrengungen und Belastungen zur Überbrückung der haftbedingten Fehlzeit zuzumuten, als es etwa bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers der Fall ist.

Erstmals setzten sich die Richter mit der voraussichtlichen Dauer der Leistungsunmöglichkeit, also mit der Dauer der angeordneten Haftstrafe, konkreter auseinander. Die BAG-Richter stellten sich nun auf den Standpunkt, dass bei einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren und einer tatsächlichen Abwesenheit der Arbeitnehmers für diesen Zeitraum der Arbeitgeber in der Regel berechtigt ist, den Arbeitsplatz neu zu besetzen. Im konkreten Fall befanden die Richter es für unzumutbar, dass der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der verhängten Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren weiter an dem Arbeitsverhältnis festhalten müsse (BAG, Urteil vom 24.03.2011, Az.: 2 AZR 790/09).

Wichtig ist, zu erkennen, dass der BAG nach wie vor aber keine Mindest- oder Regeldauer einer Haftstrafe für die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung ausgesprochen hat, sondern lediglich eine Konkretisierung abgegeben hat, bei der im Regelfall eine solche Kündigung in Betracht kommen kann. Dabei ist die angedeutete Dauer von zwei Jahren wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der Arbeitgeber für diesen Zeitraum die Möglichkeit hat, einen neuen Arbeitnehmer sachgrundlos befristet einzustellen.

Versetzungsmöglichkeiten prüfen

Nach wie vor werden aber sämtliche Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen sein, also z. B. inwieweit auch Versetzungsmöglichkeiten anderer Mitarbeiter für die Dauer der Haftstrafe möglich sind, um den Ausfall des inhaftierten Arbeitnehmers zu überbrücken. Des Weiteren muss insbesondere berücksichtigt werden, dass die Verhängung einer Haftstrafe für sich gesehen noch kein Kündigungsgrund ist, wenn deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt worden ist oder der Mitarbeiter einen so genannten Freigängerstatus hat und die Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stand. (oe)

Kontakt:

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf. Tel.: 0211 1752089-0, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de