Frist läuft ab

Vorratsdatenspeicherung - ein Koalitionsstreit mit Sprengkraft

10.04.2012
Wenn die politische Osterpause endet, wird ein Dauer-Streitthema der schwarz-gelben Koalition zwangsläufig wieder auf die Tagesordnung kommen: die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung.

Ende April läuft eine von Brüssel gesetzte Frist aus. Danach könnte die EU-Kommission die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. In letzter Konsequenz drohen dann Strafzahlungen in Millionenhöhe. Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist weiter offen. Die Situation ist vertrackt, und sie birgt Sprengkraft für die Koalition insgesamt.

Rückblick: Im März 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Seitdem werden Telefon- und Internetverbindungsdaten nicht mehr anlasslos sechs Monate lang zur Kriminalitätsbekämpfung gespeichert. Die Richter nannten damals aber Voraussetzungen, unter denen die Speicherung weiter möglich ist. Eine umstrittene EU-Richtlinie, die derzeit überarbeitet werden soll, schreibt die Vorratsdatenspeicherung vor. Für die Neuregelung ist hierzulande Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zuständig, die als Oppositionspolitikerin zu den Klägern in Karlsruhe gehörte.

Die FDP-Politikerin legte Anfang 2011 einen Vorschlag vor, den sie in den vergangenen Tagen als Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gab. Sie will Daten, die ohnehin bei den Telekommunikationsfirmen - etwa zu Abrechnungszwecken - vorhanden sind, beim Anfangsverdacht einer Straftat sichern lassen, damit Ermittler gegebenenfalls auf sie zurückgreifen können ("Quick-Freeze"). Zudem sieht ihr Vorschlag bereits eine ganz kleine Vorratsdatenspeicherung vor: IP-Adressen von Computern sollen generell sieben Tage lang gespeichert werden. Für die liberalen Netzpolitiker ist damit die Schmerzgrenze erreicht. Andere sehen hier die Stellschraube für einen möglichen Kompromiss.

Die Union mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hält die Vorschläge seiner Kabinettskollegin für nicht ausreichend. Daten, die nicht mehr da seien, könnten mit "Quick-Freeze" nicht gesichert werden. Viele Straftaten seien wegen fehlender Vorratsdaten nicht mehr aufzuklären. Zudem sieht die EU-Richtlinie unverändert eine Speicherfrist von sechs Monaten vor. Ein Sprecher der EU-Kommission bekräftigte jüngst, "Quick-Freeze" reiche nicht aus.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hält den "Quick-Freeze"-Ansatz für ungenügend.
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hält den "Quick-Freeze"-Ansatz für ungenügend.
Foto: BMI

Am 21. März sprach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Rande einer Kabinettssitzung mit der Justizministerin. Was genau der Inhalt war und wer noch - aktiv oder passiv - an dem Gespräch teilnahm, darüber gibt es verschiedene Versionen. Klar ist nur, dass Merkel bald eine Lösung will, selbst aber vermeidet, öffentlich deutlich Position für die eine oder andere Seite zu beziehen. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, man könne die Dinge durchaus unterschiedlich sehen: "Es kann aber keine unterschiedliche Einschätzung dazu geben, dass wir Vorgaben haben, die wir erfüllen müssen. Das sind Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wie auch Vorgaben aus den europäischen Richtlinien", formuliert er, sichtbar um Neutralität bemüht.

Vor allem für die FDP ist die Lage schwierig. Sie kämpft gegen schlechte Umfragewerte, gegen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit - und gegen die Piratenpartei als Konkurrenz. Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stehen an. Knickt die FDP bei den Vorratsdaten ein, verliert sie weiter an Glaubwürdigkeit - vor allem auch bei Internetfreaks, die Sturm gegen eine pauschale Datenspeicherung laufen. Aber auch bei altgedienten Liberalen, die unverdrossen die Freiheits- und Bürgerrechte hochhalten. Die Justizministerin selbst hat ihren Ruf als Unbeugsame zu verlieren.

Für manche in der FDP ist Leutheusser-Schnarrenberger die letzte Bastion liberaler Urwerte - andere sind pragmatischer und mahnen, man müsse sich bewegen und bald mal einigen. Theoretisch denkbar wäre, dass die Fraktionen einen Kompromiss aushandeln oder die Partei- und Fraktionsspitzen von Union und FDP im Koalitionsausschuss eine Lösung auskungeln und gegen andere Konfliktthemen "eintauschen".

Doch praktisch ist ein Kompromiss ohne "Schnarre" kaum machbar - es sei denn, man will riskieren, dass sie das Handtuch wirft. Schon 1996 war sie aus Überzeugung als Justizministerin zurückgetreten, weil ihre Partei Kurs auf den umstrittenen Großen Lauschangriff nahm. Einen Rücktritt ihrer Justizministerin kann die ums Überlebende kämpfende FDP gar nicht gebrauchen - und die Koalition auch nicht. (dpa/tc)