Linuxworld-Zusammenfassung: Die IT wittert das große Open-Source-Business

13.08.2007
Nach Jahren langsamen Niedergangs wurde die Kongressmesse in San Francisco 2007 zum Groß-Event.

CW-Bericht, Ludger Schmitz

Der Ansturm zeichnete sich schon vorher ab: Die IT-Industrie buhlte um Möglichkeiten, sich ins beste Licht zu stellen. Die sechs Plätze für Keynote-Reden waren ruckzuck vergeben. Das Programm wuchs auf 14 "Conference Tracks"; im offiziellen Programm traten insgesamt 142 Redner auf. Die IT-Anbieter wissen: Es geht um was. Kurz vor der Linuxworld hatte IDC die weltweiten Umsätze mit Open-Source-Software im Jahr 2006 auf 1,8 Milliarden Dollar berechnet. Die Prognose der Marktforscher verspricht bis 2011 ein jährliches Wachstum dieses Marktsegments um jeweils etwa 26 Prozent.

Auf der Linuxworld 2007 im Moscone-Konferenzzentrum, San Francisco, buhlten die IT-Anbieter um einen milliardenschweren Markt.
Auf der Linuxworld 2007 im Moscone-Konferenzzentrum, San Francisco, buhlten die IT-Anbieter um einen milliardenschweren Markt.

Die Marktperspektiven sind viel zu gut, als dass sich Anbieter da noch von Ärger ablenken ließen, der in den letzten neun Monaten die Diskussion über Open Source beherrscht hatte. Microsoft hat mit seinen Patentdrohungen gegen Linux und quelloffene Programme kaum Einschüchterung bewirkt. Novells Vertrag mit dem Redmonder Konzern ist auch kein heißes Thema mehr. Und über das Für und Wider der neuen General Public License (GPLv3) diskutierten in San Francisco nur noch einige Insider. Die Linuxworld-Aussteller wollen das "big business" nicht aus den Augen verlieren. Entsprechend überboten sie sich mit Neuankündigungen, so dass die Pressevertreter nicht mehr Schritt halten konnten.

Das erste große Highlight aber kam von einem Open-Source-Anwender, nämlich von Google, dem weltgrößten Linux-Nutzer. Das Unternehmen schloss ein Lizenzabkommen mit dem Open Invention Network (OIN). Dieser 2005 gegründeten Non-Profit-Organisation haben Firmen wie IBM, Sony, Philips, Red Hat, Novell und Oracle mehr als 100 wichtige Patente übertragen. Deren Nutzung ist nach den Lizenzbedingungen des Vereins kostenlos für "jede Firma, Institution oder Person, die zustimmt, keine Patente gegen das Linux-Betriebssystem oder bestimmte Linux-bezogene Anwendungen geltend zu machen".

Bisher ist nicht bekannt, ob Google eigene Patente dem OIN übertragen will; es gibt nur Andeutungen in dieser Richtung. Die Unterzeichnung des Lizenzvertrags bedeutet vor allem, dass die Firma darauf verzichtet, weite und zentrale Teile der Open-Source-Community wegen Verletzung von Google-Patenten zu verklagen. Google stärkt damit die Front derer, die Patente nicht dazu benutzt sehen wollen, Innovationen zu verhindern.

Den Anwendern mehr Sicherheit zu vermitteln war auch das Ziel der Keynote-Redner Andrew Morton und Ron Hovsepian. Ihnen ging es um die Einheit der Linux-Entwicklung. Andrew Morton, Chef-Maintainer des Linux-Kernels 2.6, führte aus, unter welchem Druck das Kernel-Team steht, Linux mit mehr Eigenschaften auszustatten und gleichzeitig Fehler zu beheben. Täglich würden beim Kernel etwa 9000 Programmierzeilen hinzugefügt oder geändert. Rund 6500 Codebeiträge habe es nur zwischen den Versionen 2.6.21 auf 2.6.22 gegeben, ein durchschnittlicher Wert bei Subreleases.

Angesichts dieser Zahlen kann man sich denken, dass unterschiedliche Codebeiträge mehr als genug Anlässe zu Meinungsverschiedenheiten bieten. Trotzdem befürchtet Morton kein "Forking", keine Spaltung der Kernel-Entwicklung: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das passieren sollte. Denn keine der beteiligten Organisationen schreibt mehr als einen bescheidenen Bruchteil des neuen Codes." So ist Intel laut Morton die Firma, von welcher der meiste neue Code kommt – trotzdem liegt der Intel-Anteil am Linux-Kernel bei gerade einmal vier Prozent.

Ein wesentlicher Grund der Einheit im Kernel-Team scheint auch darin zu liegen, dass es keine Roadmap oder eine ähnliche Zielvorgabe gibt, die zu Streit führen könnte. Morton verteidigte die "organisierte Planlosigkeit": "Das bedeutet, die Kernel-Entwicklung ist reaktiv, sie bewegt sich in Richtung des größten Bedarfs."

Eine Spaltung scheint eher auf der Ebene über dem Betriebssystem, bei den Linux-Distributionen, Sorgen zu bereiten. Der Novell-Chef Ron Hovsepian warnte in seiner Keynote-Rede auf der Linuxworld: "Bei Unix haben wir die Anwendungen fragmentiert – und das wichtigste, was wir bei Linux brauchen, sind Applikationen." Die Spezifikationen der Linux Standards Base (LSB) seien ein guter Anfang, aber nicht gut genug. Trotz dieser Vorgaben müssten Softwarehäuser ihre Programme immer noch mit zu viel Aufwand an die verschiedenen Linux-Distributionen anpassen. Rigidere Standards seien unverzichtbar.

"Der Markt wird für die Linux-Distributionen nicht wachsen, solange die Plattform nicht konsistent ist", erklärte Hovsepian. "Es ist immer noch eine Vision, dass unabhängige Softwarehäuser ihre Applikationen ein einziges Mal zertifizieren und nahtlos auf die vielfältigen Linux-Distributionen portieren können. Das würde für die Anwendungen und die Anwender einen größeren Markt eröffnen." Linux werde Unix komplett ersetzen, aber Microsoft habe mit Windows einen Vorteil: mehr Applikationen – dank der einheitlichen Basis.

Dass Hovsepian die Einheit beschwor, hat einen einfachen Grund: Schließlich hat der Vertrag seines Unternehmens mit Microsoft die Angst vor einer Spaltung erst richtig geschürt. Das "Geschäft mit dem Teufel" verteidigte er aber. "Microsoft ist eine Realität in einer Mixed-Source-Welt. Wir beobachten eine Ausweitung dieser Mixed-Source-Welt, in der sich die Kunden auf den wahren Wert der Software konzentrieren können – und der bemisst sich daran, wie die Programme zusammenarbeiten können."

Allerdings hat Novell auf der Linuxworld weniger von den Früchten des Flirts mit Microsoft geredet. Vielmehr wurde die alte Beziehung mit IBM wiederbelebt. Zum einen gehört der "Websphere Application Server – Community Edition" (WAS-CA) künftig zum Betriebssystem-Paket Suse Linux Enterprise Server (SLES). Er ersetzt den Apache-Server "Geronimo", den Novell seit der Red-Hat-Übernahme von Jboss anstelle dieses Applikations-Servers mitgeliefert hatte. Zweitens bieten IBM und Novell ein Paket an, das pro Linux-Desktop bis zu 500 Dollar günstiger sein soll als ein Arbeitsplatz mit Microsofts Vista und Office. Zu ihm gehören neben dem Suse Linux Enterprise Desktop – samt seinen zahllosen Anwendungen – die Lotus-Produkte "Notes" und "Sametime" sowie als Erweiterungsmöglichkeiten "Connections", "Quickr" und "Websphere Portal".

Diese Ankündigung passt zu anderen, die den Blick wieder einmal auf das schon so oft – und ebenso vergeblich – hochgejazzte Thema Linux-Desktop richten: IBMs PC-Erbe Lenovo will gleich eine ganze Reihe Notebooks mit Suse Linux Enterprise Desktop (SLED) auf den Markt bringen. Der Hersteller hat sich nicht präziser zum Angebot geäußert, dürfte aber wie bisher eher das Highend unter den mobilen PCs anpeilen.

Eine Ebene darunter wird Dell aktiver. Neben den bisherigen Servern und PCs mit Suse Linux wird das Unternehmen in den USA und in Europa ab sofort für Privatanwender das Notebook 6400n und den Desktop 530n mit vorinstalliertem Ubuntu-Linux ausliefern. Die Preisersparnis gegenüber gleichen Geräten mit einem Microsoft-Paket beträgt in der Basisausstattung mehr als 25 Prozent. Dell begründet das erweiterte Angebot mit einer "deutlich steigenden Nachfrage". Auch den chinesischen Markt geht das Unternehmen an; hier werden die Rechner mit Suse Linux ausgeliefert.

Der nächste Treffer beim Novell-Rundumschlag landete bei Wyse – und ist ein weiterer Punkt für Linux-Desktops: Der Spezialist für Thin Clients wird diese Systeme nicht mehr nur mit einer eigenen Linux-Variante vertreiben, sondern mit Suse Linux Enterprise Thin Client. Dieses Betriebssystem hat Novell im März auf der Brainshare vorgestellt. Sein größter Vorteil besteht darin, nahtlos mit den Suse-Desktop und -Server-Umgebungen zusammenzuarbeiten. Wyse reagiert damit auf die Übernahme des Linux-Thin-Client-Anbieters Neoware durch Hewlett-Packard vor wenigen Wochen.

Linuxworld-Ticker

Red Hat hat einen Vertrag mit Dell abgeschlossen. Auf dessen Grundlage wird der Computerhersteller den Middleware-Stack von Jboss und ein zugehöriges Applikationspaket des Distributors auf seinen Linux- und Windows-Systemen vorinstalliert und samt Support anbieten können.

Hewlett-Packard hat den Quellcode seiner "Parallel Compositing Library" offengelegt. Dieses Tool identifiziert und kombiniert ungenutzte Kapazitäten von Grafikkarten in Hochleistungssystemen, die in Clustern für High-Performance-Computing arbeiten.

Das auf große Speicherumgebungen abgestimmte Dateisystem "Btrfs" stellt Oracle Open Source; eine Alpha-Version ist erhältlich. Für Oracle Enterprise Linux gibt es Zertifizierungen auf etlichen weiteren Servern. Ferner enthält die auf Red Hat basierende Distribution künftig das Konfigurationspaket Yast, das eigentlich von Suse stammt.

Die US-amerikanische Tochter von Fujitsu Microelectronics und 123ID haben ein Software-Kit herausgegeben, das Fingerabdruck-Leser und andere biometrische Geräte in Novells eDirectory integriert – egal ob dieses auf Basis von Linux, Netware oder Windows läuft.

Die Firma EnterpriseDB startet eine neue Website mit einem Paket für PostgreSQL. Dort gibt es nicht nur diese Open-Source-Datenbank, sondern auch Installations- und Administrations-Tools, Bedienungsanleitungen, Training sowie User-Support.

Sechs Monate nach der Gründung durch Motorola, NEC, NTT Docomo, Panasonic Mobile Communications, Samsung und Vodafone meldet die Linux Mobile Foundation (LiMo) neue Mitglieder. An der angestrebten einheitlichen Linux-Plattform für Handys arbeiten jetzt auch mit: Aplix, Celulite, LG Electronics, McAfee und Wind River. Als neue assoziierte Mitglieder sind dabei: ARM, Broadcom, Ericsson, Innopath, KTF, Montavista und NXP.

Motorola erwartet, in zwei Jahren 60 Prozent seines Handy-Geschäfts mit Linux-basierenden Geräten zu machen. Das nächste Linux-Handy wird das "Razr2 V8".