Oracle hätte gern ein eigenes Linux

18.04.2006
In einem Interview hat Oracle-Chef Larry Ellison erklärt, seiner Firma fehle ein Betriebssystem. Und damit für reichlich Spekulationen gesorgt.

Gegenüber der "Financial Times" erklärte der Datenbank-Mogul: "Ich hätte gern einen kompletten Stack. Uns fehlt ein Betriebssystem. Man könnte argumentieren, dass es sehr sinnvoll für uns sein könnte, ein Linux zu distribuieren und zu supporten."

Und dann kam es dicke: Der Oracle-CEO räumte ein, dass er eine Übernahme der führenden Linux-Distributoren Red Hat und Novell/Suse zumindest angedacht habe. Diese Pläne habe man aber angesichts der übertriebenen Marktkapitalisierung beider Anbieter wieder verworfen. "Ich sehe nicht, wie wir Red Hat kaufen könnten", erklärte Ellison. "Ich werde doch nicht fünf oder sechs Milliarden Dollar für etwas hinblättern, das so vollständig von der Landkarte gewischt werden kann." Gleiches gelte für Novell.

Bliebe also die Option, dass Oracle ein eigenes Linux entwickelt, um gegen Microsoft und andere Anbieter zu konkurrieren. Ein möglicher Ausgangspunkt dafür wäre das seit dem Jahr 2000 gemeinsam mit NEC betriebene Joint Venture Miracle Linux, das bislang vor allem im asiatischen Raum aktiv ist und unter anderem beim pan-asiatischen Linux-Konzept "Asianux" involviert ist.

Mit Blick auf die kürzliche Übernahme des Open-Source-Middleware-Anbieters JBoss durch Red Hat erklärte Ellison, Oracle sei gleichfalls interessiert gewesen, habe aber nicht so tief in die Tasche greifen wollen wie der Linux-Distributor. Branchenkenner vermuten indes eher, dass Oracles Offerte vielleicht höher gelegen habe, JBoss aber Red Hat vorgezogen habe, weil es dort für seine Lösungen eine bessere Überlebenschance vermutete - Oracle hätte den quelloffenen Application Server womöglich schlicht zugunsten des hauseigenen Codes sterben lassen.

Ellisons Kommentare werfen jedenfalls mehr Fragen auf als sie beantworten. Der Illuminata-Analyst Gordon Haff unterstellt denn auch, der Oracle-Chef habe wohl eher laut gedacht als über konkrete Pläne gesprochen. "Das klingt eher danach, als würde Larry vor allem spekulieren und träumen", kommentiert der Experte. "Ich bezweifle doch sehr, dass es ein gesteigertes Interesse von Kunden an einem Linux von Oracle gibt."

Eines steht zumindest fest: Würde Oracle ein eigenes Linux kaufen oder bauen, würden andere Linux-Anbieter Oracles Datenbanken und Middleware gewiss weniger enthusiastisch auf ihren Distributionen unterstützen als bisher - und das könnte Oracle schaden. Auf der anderen Seite ist Oracle erklärter Microsoft-Gegner und seine Datenbank ist die populärste auf großen Windows-Servern. Hier könnte der Konzern wiederum mit einem alternativen Betriebssystem aus eigenem Hause punkten. (tc)