Clemens ersten Maßnahmen

Weckruf für T-Systems

11.02.2008
Der neue T-Systems Chef Reinhard Clemens hat zweieinhalb Jahre Stillstand aufzuarbeiten. Am Dilemma der Telekom-Tochter trägt auch die Konzernspitze Mitschuld.

Seit April 2005 ruht die strategische Neuausrichtung des größten deutschen IT-Dienstleisters. Damals verstarb überraschend der T-Systems-CEO Konrad Reiss. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2003 hatte er die Neustrukturierung von T-Systems vorangetrieben, konnte sein Werk aber nicht beenden. Unter seiner Führung leitete der IT-Dienstleister einige unpopuläre Maßnahmen ein, wie etwa den Ausstieg bei Herkules, den Abbau von 3500 Stellen sowie die Entschlackung des Topmanagements. Frühzeitig drängte er auf den Ausbau der Offshore-Ressourcen und den Aufbau eines Key-Account-Managements. Sein Gesellenstück lieferte er im Toll-Collect-Projekt. Ihm gelang es, das in Schieflage geratene Vorhaben wieder in ruhiges Fahrwasser und schließlich zum Erfolg zu führen. Sein Meisterstück, T-Systems effizient und dauerhaft profitabel aufzustellen, konnte er nicht mehr abliefern.

Bis zum Amtsantritt von Reinhard Clemens im Dezember 2007 leistete sich T-Systems eine Ruhepause, in der viele der von Reiss angestoßenen Neuerungen liegen blieben. Der zwischenzeitliche CEO Lothar Pauly (von Oktober 2005 bis Mai 2007) konnte dem Unternehmen keinen nachhaltigen Richtungswechsel verschaffen, ihm fehlte sowohl im eigenen Management als auch in der Konzernspitze der Rückhalt für einschneidende Veränderungen. Auch stand er als Ex-Siemens-Manager immer im Verdacht, das Servicegeschäft im IT- und TK-Markt nicht zu verstehen. Unternehmensnahen Quellen zufolge trat er insbesondere in großen Outsourcing-Deals, um die sich T-Systems bewarb, gerne auf die Bremse.

Die Marktforscher von PAC sehen T-Systems in Europa an Nummer sieben. Die Umsätze wurden um die Einnahmen mit dem Mutterkonzern bereinigt.
Die Marktforscher von PAC sehen T-Systems in Europa an Nummer sieben. Die Umsätze wurden um die Einnahmen mit dem Mutterkonzern bereinigt.
Foto: PAC

Die Weiterentwicklung von T-Systems gestaltete sich auch deshalb schwierig, weil die Konzerspitze weder den Übergang von Reiss zu Pauly noch von Pauly zu Clemens nahtlos gestaltet hat. Seit April 2005 dümpelte T-Systems daher summa summarum elf Monate führungslos in einem sich schnell wandelnden und von Preis-, Wettbewerbs- sowie Konsolidierungsdruck geprägten Markt.

Rückblickend zeigt sich, dass T-Systems ausgerechnet in einer Phase ohne starkes Zugpferd war, in der die Konkurrenten das Feld des weltweiten IT-Servicemarktes bestellten. IBM, EDS, Capgemini, Accenture und CSC haben in den vergangenen Jahren intensiv in Indien und anderen Offshore-Regionen investiert. Nachzügler wie Atos Origin, Logica CMG und T-Systems bekommen nun die Auswirkungen ihrer Trägheit zu spüren. "T-Systems war nicht untätig", beschwichtigt Christophe Chalons, Geschäftsführer des Marktforschungshauses PAC in München, mit Hinweis auf rund 1000 T-Systems-Angestellte im indischen Puna. "Die anderen waren nur viel schneller." Während die Konkurrenz das IT-Servicegeschäft jedoch als Kerngeschäft betreibt und mit gezielten Investitionen gestärkt hat, fehlten T-Systems die Mittel für Übernahmen. Die Telekom-Spitze hat in ihren Akquisitions- und Ausbauplänen bevorzugt den Mobilfunk bedacht und die IT-Servicetochter damit in einen Abwärtsstrudel geschickt: "Weil T-Systems die Offshore-Kapazitäten fehlten, konnte sich das Unternehmen nicht so gut wie andere europäische Player entwickeln", schildert Chalons die Auswirkungen.

Der noch von Lothar Pauly mit Rückendeckung der Konzernspitze angekündigte SI-Verkauf sollte all diese Probleme lösen, denn insbesondere die mit der Anwendungsentwicklung befasste Einheit leidet unter Überkapazitäten und fehlenden Offshore-Möglichkeiten. Dass es der Telekom selbst nach einem Jahr Suche nicht gelungen ist, einen Käufer oder Partner zu präsentieren, lässt auf eine recht unattraktive Braut schließen. Für Clemens ist der Verkauf noch längst nicht ausgemacht. Er hält sich auch die Option offen, die Einheit zu behalten. Das Zögern ist für PAC-Experte Chalons verständlich. "Wenn T-Systems eine stärkere Rolle im Automobilmarkt spielen will, braucht das Unternehmen Kompetenz in der Systemintegration", betont er. "Auch die Verschmelzung von TK- und IT-Diensten benötigt Experten, die Lösungen integrieren können. Die Frage lautet daher: Wie viel Systemintegration braucht T-Systems?"

Im weltweiten IT-Servicegeschäft mit Kunden der Automobilbranche liegt T-Systems auf Platz drei. Der Abstand zu den führenden Anbietern ist aufzuholen, meint Chistophe Chalons von PAC.
Im weltweiten IT-Servicegeschäft mit Kunden der Automobilbranche liegt T-Systems auf Platz drei. Der Abstand zu den führenden Anbietern ist aufzuholen, meint Chistophe Chalons von PAC.
Foto: PAC

Das von seinen Vorgängern Reiss und Pauly bereits vermarktete ICT-Konzept, das die Integration von IT- und TK-Lösungen vorsieht, will Clemens weiterführen, aber auf Infrastruktur- beziehungsweise Betriebsservices etwa mit Managed-Communiction- und Hosting-Diensten konzentrieren. Damit würde T-Systems näher an die Telekom-Kernkompetenz heran- und vom eigenen IT-Projektgeschäft abrücken. In diesem Szenario ist für einen Großteil der in der SI-Einheit betriebenen Kundenvorhaben zur Anwendungsentwicklung tatsächlich kein Platz mehr. Ob Clemens die SI-Einheit in Gänze oder in Teilen veräußert oder in eine Partnerschaft einbringt, wird sich in wenigen Wochen zeigen.

Die Pläne des neuen T-Systems-Chefs, mit denen er den immer noch größten IT-Dienstleister wieder auf Wachstumskurs bringen und profitabel machten möchte, enthalten nichts Überraschendes. "Die angekündigten Maßnahmen sind solche, die man erwarten konnte", kommentierte ein Marktbeobachter "Das meiste ist Management-Handwerkszeug, was die Aufgabe aber nicht einfacher macht." Doch anders als sein unglücklicher Vorgänger scheint Clemens den Respekt der Mitarbeiter und des Konzern-Managements zu genießen. Nach Konrad Reiss habe es T-Systems an einer starken Führungskraft gefehlt, sagte ein Marktbeobachter. "Die Telekom hat Clemens geholt, um etwas zu bewegen und Vorhaben konsequent umzusetzen", bestätigt Chalons. "Man wird ihm die notwendigen Mittel in die Hand geben." Dazu zählt nach Chalons-Einschätzung auch Geld: "Eine Akquisition ist denkbar. Die Telekom hat ausreichend Reserven, und am Markt gibt es eine Reihe attraktiver und finanzierbarer Übernahmekandidaten."