IT-Hersteller setzen auf die digitale Fabrik

07.05.2007
Industriebetriebe sollen sich für Automatisierung per Software, Product-Lifecycle-Management und Industrial Ethernet begeistern.

Anwender aus der Fertigungsindustrie setzen Software vor allem im administrativen Bereich ein. Eine Verquickung mit den Produktionssystemen findet sich nur selten. Beispielsweise verfügen zahlreiche Betriebe des Maschinen- und Anlagenbaus über betriebswirtschaftliche Standardsoftware für die Auftragsverwaltung und die Materialwirtschaft. In den Werkstätten hingegen haben sich vergleichbare Standardsoftwareprodukte noch nicht so stark durchgesetzt.

Hier lesen Sie ...

  • mit welchen Produkten IT-Hersteller in die Produktion vordringen wollen;

  • was Industrial Ethernet bietet;

  • welche Gefahren die Vernetzung der Maschinen birgt;

  • warum der Mittelstand Interesse an Product-Lifecycle-Management haben soll.

Buchhaltung ruft Werkzeugmaschine

Auf eine durchgängige IT-Infrastruktur von der Buchhaltung bis hin zur Werkzeugmaschine setzen die verschiedenen IT-Anbieter, die auf der Hannover Messe gemeinsam mit den Herstellern industrieller Produkte die "Digitale Fabrik" und "Factory Automation" zelebrierten. Sie hoffen, dass Industriekunden, nachdem sie in der Buchhaltung, im Ein- und Verkauf sowie in der Konstruktion Software, Computer und Netzwerke eingeführt haben, nun auch für ihre Werkstätten IT-Produkte erwerben.

Anschauungsunterricht erteilte zum Beispiel das auf Automatisierungstechnik spezialisierte Unternehmen Phoenix Contact, dass auf einem Messestand gemeinsam mit Partnern eine Fertigungslinie für individuell gefertigte Kaffeebecher zeigte. Das nach Ausstellerangaben reale Szenario gestattete es dem Besucher, sich am PC ein wunschgemäß beschriftetes Trinkgefäß herstellen zu lassen. Über die Auftragserfassung in SAP R/3 werden Produktionsaufträge an das Manufacturing Execution System (MES) "Hydra" von MPDV weitergeleitet. Erledigte Aufgaben meldet Hydra an die ERP-Software zurück. Über Terminals ließ sich der Auftragsfortschritt verfolgen. Nach der Qualitätsprüfung, die ebenfalls in Softwaresystemen protokolliert wird, verpackt ein Kuka-Roboter die Tassen und lagert sie in ein Depot ein. Gegen Vorlage einer RFID-Kennung erhielt der Besteller eine Kunststofftasse, in die sein Name per Laser eingraviert wurde.

Industrial Ethernet verdrängt Feldbus

Damit eine Fertigungssteuerung in dieser Form Wirklichkeit wird, bedarf es zunächst einer gemeinsamen Netzinfrastruktur innerhalb des Unternehmens. In Büronetzen ist Ethernet und das Netzprotokoll TCP/IP allgegenwärtig, im Produktionsumfeld jedoch erst im Kommen. Es ist für Netzwerkspezialisten jedoch nicht damit getan, Kabelstränge bis in die Werkstatt zu verlängern, da in der Produktion sowohl große Hitze als auch starke elektromagnetische Strahlung auftreten kann. "Industrial Ethernet" könnte eine Lösung darstellen. Es weist diese Eigenschaften auf, die bisher nur spezielle Vernetzungsverfahren wie "Feldbus" bieten konnten. Auch Netzkomponenten wie Switches und Firewalls müssen "gehärtet" sein. Vermehrt legen Anbieter von Netzkomponenten deshalb spezielle Produkte auf, die Maschinen sowohl drahtgebunden als auch drahtlos mit der Firmen-IT verschalten.

Niedriger Preis pro Port

Auf Nachfrage von Fertigungsbetrieben hofft zum Beispiel Enterasys, das in Hannover einen "I-Series Industrial Switch" präsentierte. Ein Treiber für die durchgängige Vernetzung ist dem Unternehmen zufolge die Fernwartung. Servicetechniker könnten sich aus der Distanz auf Industrieanlagen kümmern, statt vor Ort zu arbeiten. Fehler ließen sich so rasch beheben und Software-Updates einfacher einspielen, als dies über dedizierte Modemstrecken möglich ist. Viele Maschinen verfügen bereits über eingebaute Computer mit integriertem Web-Server. Enterasys zufolge sprechen auch Kostenargumente für Industrial Ethernet: Ein Port koste rund drei Dollar, während ein Anschluss mit Feldbustechnik auf rund 20 Dollar komme.

Risiko Fernwartung

Allerdings steigen mit der Vernetzung der Office- und Fertigungsbereiche auch die Sicherheitsanforderungen: Hacker und Viren könnten prinzipiell auch im Maschinenpark ihr Unwesen treiben, denn auch auf den mit Netzzugängen ausgestatteten Anlagen laufen Computer mit Betriebssystemen wie DOS und Windows. Anders als bei PCs im Büro kann dort aber nicht eben mal ein Patch eingespielt werden. Vertragsgemäß darf in der Regel nur der Leasinggeber oder ein Wartungstechniker des Maschinenherstellers Software verändern. Zudem arbeiten zahlreiche Produktionssysteme noch mit alten Systemsoftware-Releases wie etwa Windows 95, die bekanntlich zahlreiche Sicherheitslücken aufweisen. Noch größer ist indes die Gefahr, dass Servicetechniker vor Ort oder über eine Remote-Verbindung durch Bedienfehler Schaden anrichten. So verwundert es nicht, dass so manches Industrieunternehmen dankend abwinkt, wenn Anbieter es für eine komplette Vernetzung seines Office- und Industriebereichs begeistern wollen.

Firewall schützt Maschinen

Dies hat Sicherheitsspezialisten auf den Plan gerufen. Sie bieten zum Beispiel "gehärtete" Firewall-Appliances an, die auch in staubigen, heißen Umgebungen genutzt werden können. Der Anbieter Innominate beispielsweise entwickelt mit "Mguard" spezielle Firewalls für Werkstätten. Neuerdings kann Mguard elektronische Schlüssel automatisch an angebundene Komponenten verteilen. Sie sollen eine sichere Authentifizierung etwa von externem Wartungspersonal gewährleisten. "Allein schon wegen der Fernwartung von Maschinen durch den Hersteller ist eine Abschottung von Produktionsmaschinen empfehlenswert", rät Wolfgang Blome von der Unternehmensberatung Blome + Partner aus Bonn.

Wie der Experte versichert, ist der Siegeszug von Industrial Ethernet praktisch nicht mehr aufzuhalten. Kritiker räumten zwar ein, die Ethernet-Technik sei kaum geeignet, um beispielsweise in Echtzeit Maschinensignale zu transportieren, doch diese Argumentation stamme oft aus dem Lager der Feldbushersteller, die auch weiterhin Geschäfte machen wollten.

Manufacturing Execution Systems

Neben den Netzspezialisten wollen auch Softwarehäuser die Produktion erobern. Ein Schlagwort lautet Manufacturing Execution Systems. Das sind Programme, die Betriebs- und Maschinendaten erfassen und Fertigungsvorgänge bis in den Bereich von Millisekunden steuern können. Unternehmen wie die bereits erwähnte MPDV versuchen hier nach dem Vorbild von SAP in der betriebswirtschaftlichen DV, die Werkstätten mit Komplettlösungen zu erobern. Doch obwohl MPDV als MES-Marktführer gilt, gibt es hierzulande lediglich 500 Installationen. Etwa 150 davon sind Anbieterangaben zufolge mit einem SAP-System gekoppelt. Die Walldorfer selbst bieten keine eigenen MES-Funktionen an, sondern liefern Integrationsbausteine für solche Programme. Mit "xMII" (Manufacturing Integration and Intelligence) vermarktet der ERP-Primus eine Composite Application, mit der Daten aus ERP- und MES-Umgebungen kombiniert in einer gemeinsamen Oberfläche angezeigt werden können. Doch gemessen an der Anzahl der in Hannover ausstellenden Anbieter ist die anfängliche Euphorie für MES, zu der auch der Branchenverband VDMA beigetragen hatte, etwas verflogen.

PLM für den Mittelstand

Andere IT-Anbieter konzentrieren sich darauf, das Konstruieren industrieller Produkte per Software zu unterstützen. Einst rein auf CAD-Programme spezialisierte Firmen wie das französische Softwarehaus Dassault Systemes und die unlängst von Siemens gekaufte UGS vermarkten mittlerweile komplette Softwareumgebungen, die den Lebenszyklus eines Produkts von der Konstruktion über Produktionsplanung, Fertigung und Vertrieb bis zur Wartung begleiten sollen. Erforderlich ist dazu neben Softwarebausteinen zum Zeichnen, Berechnen und Simulieren eine zentrale Datenhaltung. Während das Product Lifecycle Management (PLM) für Konzerne wie beispielsweise Bosch bereits gängige Praxis ist, sollen nach dem Willen der Softwarehäuser auch die mittelständischen Unternehmen nachziehen. Deren Auftragsbücher sind voll, und sie suchen nach Möglichkeiten, rascher zu produzieren, schneller neue Erzeugnisse zu entwickeln und marktreif zu machen sowie auf vom Kunden gewünschte Änderungen zu reagieren, argumentieren die Softwarehersteller. Das Idealkonzept der PLM-Branche sieht vor, dass beide Abteilungen an dieselbe Softwareumgebung angebunden sind, jedoch unterschiedliche Funktionen der PLM-Lösung verwenden. Eingebunden in das Konzept sind darüber hinaus produzierende Werke in aller Welt sowie Kooperationspartner.

Teilweise sind die mittelständischen Unternehmen sogar gezwungen, in PLM zu investieren. Zulieferer im Automobilsektor müssen ihre Produktionsprozesse immer enger mit den Abläufen der OEMs verknüpfen. Wenn dort bereits ein PLM-System läuft, führt der Lieferant diese Lösung ebenfalls bei sich ein.

Allerdings sind Unternehmen dieser Größe dem PLM-Anbieter Dassault zufolge nicht bereit, für Services zu bezahlen, die sich die Großkunden des Softwareherstellers leisten. Bei Konzernen wie Airbus sind Softwareexperten dauernd dabei, die PLM-Umgebung zu justieren. Kleinere und mittelgroße Betriebe wollen ein Programm erwerben und allenfalls noch Wartungsgebühren entrichten. "Smarteam Design Express" nennen die Franzosen ihre Mittelstandsprodukte, die für unterschiedliche Teilbranchen in der Fertigungsindustrie vorbereitet sind. Express ist ein auch von der IBM verwendeter Begriff, der kurze Einführungszeiten suggerieren soll. Schon angelegt sind in den Produkten Benutzerrollen und Datenmodelle. Da viele Betriebe bereits CAD-Programme verwenden, verfügt Smarteam Design Express über Schnittstellen zu unterschiedlichen Zeichensystemen. Dassault arbeitet darüber hinaus an weiteren Produkten für den Mittelstand, die demnächst vorgestellt werden sollen.

Als "Teamcenter Express" bezeichnet Dassault-Konkurrent UGS sein Mittelstandsprodukt. Und auch dieser Hersteller verspricht kurze Einführungszeiten. Teamcenter agiert als Rückgrat einer PLM-Umgebung, zu der ebenfalls CAD-Software zählt. Laut Anbieter nutzen zahlreiche Industriefirmen das System als Integrationsbaustein, um CAD-Programme wie Catia und "Pro/Engineer" des PLM-Spezialisten PTC anzukoppeln. Von der hauseigenen CAD-Software "NX" hatte UGS unlängst die Version 5 präsentiert. Damit soll es möglich sein, Fremdgeometrie einzubinden und damit Modelle von Produkten zu erzeugen. Mit Fremdgeometrie sind Daten von anderen CAD-Umgebungen gemeint. Möglich wird dies durch das Datenformat "JT", das UGS entwickelt hat und mittlerweile auch von einer Reihe anderer Softwarehäuser verwendet wird. NX 5 verfügt darüber hinaus über ein rollenbasierendes Interface, so dass Marketing-Experten andere Funktionen und Menüs vorfinden als Mitarbeiter der Konstruktion.

Siemens-Fahrplan für UGS

Wie genau das Unternehmen in Siemens eingebunden wird, steht zwar noch nicht fest. Bei UGS geht man jedoch davon aus, dass es gelingen wird, neue Kundensegmente zu erreichen, da das Softwarehaus nun einen finanzstarken Konzern im Rücken habe. Die Siemens-Sparte "Automation & Drives" bedient bereits zahlreiche Industriekunden im Projektgeschäft und erweitert nun ihr Lösungsspektrum um spezialisierte Software.

Den Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland hofft der Anbieter mit Komplettsystemen zu begeistern. Neben der CAD- und PLM-Software führt UGS auch ein Manufacturing Execution System (MES) im Portfolio, wobei wiederum Teamcenter als gemeinsame Plattform für alle Komponenten fungiert. UGS hatte lange vor der Übernahme durch Siemens den MES-Spezialisten Tecnomatix gekauft. Somit reiche die Software bis in die Werkstätte, wo die Fertigungsabläufe maschinennah gesteuert werden, behauptet der Hersteller. Neben den Produktionsplanungsdaten könne die UGS-Software auch sämtliche Arbeits- und Qualitätssicherungspläne sowie begleitende Dokumente aufnehmen. Mit Letzterem ließe sich die Datenübergabe von der Produktionsplanung zu den Mitarbeitern in der Werkstatt von Papier auf Software umstellen. "In vielen Betrieben findet man neben den Maschinen noch Arbeitspläne in Form von Handzetteln, die nicht selten ein halbes Jahr alt sind", so Armin Klaus, der bei UGS in Ismaning bei München Senior Business Consulting Manager für das Produktions-Management ist. Welche Rolle die MES-Lösung von UGS künftig spielt, bleibt abzuwarten, denn der neue Eigentümer Siemens verfügt über eigene Produkte im MES-Umfeld. Zudem möchte der Konzern mit der IBS AG aus Höhr-Grenzhausen einen MES-Spezialisten kaufen.