Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ricke und Zumwinkel

Gewerkschaften zeigen Telekom wegen Bespitzelung an

29.05.2008
In der Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom wollen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Strafanzeige gegen das Unternehmen und Unbekannt einreichen.

Das teilte der Vize- Aufsichtsratschef Lothar Schröder am Donnerstag in Berlin mit. Schröder ist zugleich ver.di-Bundesvorstand. DGB-Chef Michael Sommer, der ebenfalls Mitglied des Telekom-Kontrollgremiums ist, sagte, es gebe den begründeten Verdacht, dass vom Unternehmen gegen elementare Grundrechte der Aufsichtsräte verstoßen worden sei. Es gehe um Verstöße gegen das Fernmeldegeheimnis, die Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte.

Es handele sich nicht nur um einen politischen, sondern auch um einen strafrechtlich relevanten Vorgang, sagte Sommer. Es bleibe aber Sache der Staatsanwaltschaft, die Vorgänge aufzuklären. Sommer sprach von einem "eklatanten Angriff" auf die Rechte der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns.

Keine Ermittlungen gegen aktive Telekom-Vorstandsmitglieder

In der Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft gegen mehrere ehemalige Verantwortliche des Konzerns. Sowohl der frühere Konzernchef Kai-Uwe Ricke als auch der Ex-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Zumwinkel seien Gegenstand der Ermittlungen, sagte der Oberstaatsanwalt Fred Apostel am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur, dpa. Die Ermittlungen richteten aber sich nicht gegen aktuelle Vorstandsmitglieder und den Vorstandsvorsitzenden René Obermann.

Es gehe um den Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung von Daten und der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Das Ermittlungsteam umfasse zurzeit 50 Leute, darunter Spezialisten des Bundeskriminalamtes. "Wir ermitteln relativ umfassend, dazu gehören auch Vernehmungen", sagte Apostel. Bei der Durchsuchung seien ihnen alle Räume der Entscheidungsträger zugänglich gemacht worden.

Affäre zieht immer größere Kreise

Gut zwei Wochen nach einer Strafanzeige der Deutschen Telekom hat die Bonner Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben vom Donnerstag ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Zugleich begannen Beamte der Behörde, die Bonner Zentrale von Europas größtem Telekommunikationskonzern zu durchsuchen. Nähere Angaben will die Staatsanwaltschaft erst nach den "derzeit laufenden Maßnahmen" machen. Insbesondere ist unklar, um welche möglichen Straftatbestände es gehen könnte. Telekom-Chef René Obermann hatte am vergangenen Wochenende eingeräumt, dass der Konzern 2005 und teilweise auch 2006 Telefon-Verbindungsdaten missbräuchlich benutzt habe.

Telekom-Sprecher Philipp Schindera sagte am Donnerstag, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe von einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszugehen war. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir an einer lückenlosen Aufklärung interessiert sind." Am Mittwochabend hatte der Aufsichtsrat der Telekom über die Affäre beraten und Obermann den Rücken gestärkt. Auch der Bund als Großaktionär stellte sich demonstrativ vor Obermann. Der Vorstandsvorsitzende habe entschiedene Maßnahmen eingeleitet, allen Vorwürfen nachzugehen und sie aufzuklären, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. "Er hat unsere volle Unterstützung dabei."

Unterdessen gerät Obermann wegen des Umgangs mit der Affäre selbst unter Druck. Die umstrittenen Bespitzelungsaktionen fielen nach bisherigen Informationen in die Amtszeit von Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke, der von Obermann im November 2006 abgelöst wurde. Ein erster Fall war nach Telekom-Darstellung bereits im Sommer 2007 ans Licht gekommen, allerdings ohne dass die Telekom darüber bereits damals Betroffene und Öffentlichkeit informierte. "Die Telekom hat die Redaktion damals nicht informiert", sagte ein Telekom-Sprecher der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). Telekom-Sprecher Schindera erklärte dies am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin mit der schwierigen Lage des Konzerns in der fraglichen Zeit: "Der Punkt damals war für uns, dass wir in einer Zeit, wo wir beispielsweise auch einen Streik hatten, wo das Unternehmen vor der Zerreißprobe war, davon Abstand genommen haben, diesen Einzelfall an die Öffentlichkeit zu bringen."

Das Unternehmen informierte den betroffenen Redakteur erst vor einigen Tagen, nachdem weitere Bespitzelungsfälle aufgetaucht waren. Es soll sich um den Journalisten Reinhard Kowalewsky vom Magazin "Capital" gehandelt haben, wie das Magazin bestätigte. Dieser hatte 2005 und 2006 wiederholt über Interna aus Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen berichtet. Die Sicherheitsleute der Telekom hätten vermutet, dass der Redakteur seine Informationen vom Chef des Konzernbetriebsrats, Wilhelm Wegner, erhalte, der dem Aufsichtsrat angehört. Der Fall "Capital" wurde bei der Telekom im Sommer 2007 durch einen internen Hinweis bekannt. Obermann hatte daraufhin den Chef der Sicherheitsabteilung entlassen und die Konzernsicherheit umgekrempelt.

Der Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses Gruner+Jahr, Bernd Kundrun, reagierte mit heftiger Kritik an die Adresse der Telekom: "Das Haus Gruner+Jahr mit seinen Publikationen 'Capital' und 'Financial Times Deutschland' ist nach heutigem Kenntnisstand Angriffspunkt von Aktionen der Deutschen Telekom gewesen, die ich bisher in unserem Lande nicht für möglich gehalten hätte", sagte Kundrun am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Der Vorgang zeigt, dass die Freiheit der Presse auch in unserem Land nach wie nicht immer Common Sense ist und stets aufs Neue verteidigt werden muss." Gruner+Jahr hat nach Kundruns Worten bislang noch keine rechtlichen Schritte eingeleitet. "Welche Gesetze in diesem Zusammenhang bis hin zu Straftatbeständen verletzt worden sind, ist heute nicht annähernd abzusehen", sagte Kundrun.

Nach Informationen der "FTD" soll die Telekom bereits 2000 einen Spitzelauftrag erteilt haben, der an die Berliner Control Risks Group (CRG), eine international tätige Unternehmensberatung für Krisenmanagement und Ermittlungen, gegangen sei. Diesen Auftrag habe ein Mitarbeiter vergeben, der später zum Leiter der Telekom-Konzernsicherheit aufgestiegen sei. Unklar ist nach Angaben der Zeitung aber, in wessen Auftrag er gehandelt habe. Vorstandschef war damals Ron Sommer. "Wir haben dazu nichts in unseren Unterlagen gefunden. Wenn es so gewesen sein sollte, wäre das ein klarer Verstoß gegen sämtliche internen Ethikrichtlinien", zitiert das Blatt CRG-Geschäftsführer Jürgen Stephan. Control Risks habe interne Untersuchungen eingeleitet und nehme die Vorwürfe sehr ernst. Nach weiteren Angaben des Blattes suchte als Subunternehmen für den ehemaligen Staatskonzern die von Ex-Geheimdienstlern gegründete Berliner Wirtschaftsdetektei Desa nach einem Leck bei der Telekom. Im Visier habe dabei unter anderem ein Reporter der "FTD" gestanden. Ein Konzernsprecher sagte, der Fall sei dem Unternehmen nicht bekannt.

Wie die "FTD" weiter berichtete, sollen die Methoden weit über das für die Jahre 2005 und 2006 bereits bekannte Auswerten von Telefonverbindungen hinausgegangen sein. Die privaten Fahnder versuchten danach sogar, mit versteckter Kamera Hinweise auf die Kontaktperson des Reporters zu finden. Dies lege nahe, dass die Telekom jahrelang ein Spitzelsystem gegen Journalisten und ihre Spitzenkräfte unterhalten habe, resümierte das Blatt. Die Telekom hatte am Wochenende eingestanden, dass der Konzern 2005 und 2006 Telefon-Verbindungsdaten missbräuchlich genutzt habe. Vor rund zwei Wochen hatte die Telekom nach Angaben von Vorstandschef René Obermann Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Zuvor hatte "Der Spiegel" die Affäre ans Licht gebracht. (dpa/tc)