Selbstbestimmung kontra Burnout

Es geht nicht um die Zahl der Stunden

10.12.2011
Ausgerechnet der so genannte Zeit-Management-Papst Lothar Seiwert will von Zeit-Management-Tools nichts mehr wissen. Denn, so seine Überzeugung, wichtig ist nicht, wie viel und wie lange wir arbeiten, sondern ob wir es fremd- oder selbstbestimmt tun.
Ansichten eines Umdenkers: 'Ausgetickt' von Lothar Seiwert.
Ansichten eines Umdenkers: 'Ausgetickt' von Lothar Seiwert.
Foto: Ariston Verlag

Arbeiten bis zum Umfallen - immer mehr und immer schneller. Und wer richtig gut ist im Job, dem wird einfach noch mehr Arbeit aufgebrummt. Dieselbe Überlastung droht in der Freizeit. Abhilfe versprechen Seminare und Ratgeber zum Thema Selbst- und Zeit-Management. Wie organisiere ich mich so, dass ich alles schaffe? Mitten hinein in diese Debatte platzt nun Lothar Seiwert mit seinem neuen Buch "Ausgetickt".

Wer leidet unter Stress?

Eine 60-Stunden-Woche kann stressfreier sein als eine 38-Stunden-Woche: "Ich habe mich getäuscht. Wir müssen alle Abschied vom Zeit-Management nehmen, wenn wir wieder Zeit haben wollen", so Seiwert. Wenn einer Grundannahmen seiner Arbeit so radikal über den Haufen wirft, muss er Gründe haben. Beim Professor heißen diese Gründe Erfahrung, Neugier und Mut.

Lässt sich Stress einfach ausradieren? Und wenn ja, wie?
Lässt sich Stress einfach ausradieren? Und wenn ja, wie?
Foto: Shutterstock, Gunnar Pippel

Die Leitfrage für seine Neuorientierung war einfach: Warum gibt es Menschen, die rund um die Uhr im Einsatz sind und dennoch einen völlig entspannten Eindruck vermitteln, während andere bei einem Nine-to-Five-Job gestresst bis zum Burnout sind? Warum leiden sogar Arbeitslose unter Stress? Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand. An der Menge der Arbeit kann es wohl nicht liegen. Bleibt also nur die Art der Arbeit.

Seiwert kennt die Einwände gegen seine Thesen: Wer erst einmal genügend Geld hat und einen tollen Job, der hat natürlich keinen Stress. Aber schließlich kann nicht jeder sein Hobby zum Beruf machen. Seiwert bringt Beispiele, die jeder nur allzu gut kennt. Auf der einen Seite der Kellner mit den strahlenden Augen, auf der anderen Seite der Muffel. Hier der Postbote, der zu jedem Paket auch noch den Sonnenschein liefert, dort der gestresste Typ, der nur sein Päckchen "abwirft".

Den richtigen Job finden

Gleiche Jobs, völlig unterschiedliche Interpretation. Es geht also nicht ums Geld, sondern um die richtige Passung. Wenn die nicht stimmt, helfen weder großzügige Pausenregelungen noch ein hohes Gehalt. Seiwert greift auf drei Quellen zurück: auf persönliche Erfahrung, auf Wissen und auf Intuition. Er traut sich, neue Fragen zu stellen, und er traut sich auch, Antworten zu geben, die nicht zum politischen Mainstream passen. "Wovor haben die Leute eigentlich Angst?", fragt er. Gemeint ist: Was hält die Leute davon ab, das zu tun, was sie eigentlich tun wollen? Angesichts der Tatsache, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben, und das auf einem geschichtlich nie zuvor gekannten Wohlstandsniveau, ist das eine wichtige Frage. (hk)

Wolfgang Hanfstein ist Chefredakteur von www.Managementbuch.de.