Was internationale Arbeit bedeutet

25.04.2007
Von Anja Dilk
Rund um den Globus zu arbeiten ist faszinierend und anstrengend zugleich. Drei Beispiele zeigen Alltag und Stolpersteine.

Montag Bangkok, Mittwoch Erlangen, Freitag Südafrika - im Extremfall kann der Alltag in Unternehmensberatungen Mitarbeiter binnen kurzer Zeit um den Globus führen. Ob als SAP-Spezialist, Reporting-Experte oder IT-Profi, die Arbeit lässt sich längst nicht mehr von der Firmenzentrale alleine steuern. Beratungen folgen ihren Kunden in alle Regionen der Welt, gleichzeitig werden die Teams selbst internationaler. "Einen internationalen Stallgeruch mögen die Kunden", sagt Kai-Oliver Schäfer, Leiter Business Intelligence bei Capgemini. Kein Wunder, denn die Firmen arbeiten selbst weltweit, viele Führungspositionen werden gezielt mit Menschen aus verschiedenen Kulturen besetzt.

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  • Was internationale IT-Arbeit auszeichnet;

  • warum einer deutschen Beraterin indische Programmierer als unhöflich erschienen;

  • welchen Preis Berater für ihre hohe Mobilität zahlen.

"Seit zwei, drei Jahren hat sich der Trend zur Internationalisierung in der Beratungsarbeit enorm beschleunigt", bestätigt Dagmar Schimansky-Geier, Geschäftsführerin der Personalberatung 1a Zukunft in Bonn. "Meist müssen die Mitarbeiter vier von fünf Tagen in der Woche reisen, oft europaweit, manchmal nach Übersee oder Fernost." Damit haben sich auch die Anforderungen des Berufs geändert. Die Beschäftigten müssen sich mit internationalen Organisationsstrukturen auseinandersetzen, sollten wissen, wie beispielsweise das Finanzwesen rechtlich in verschiedenen Ländern funktioniert. Während früher eher in einer Ausschreibung pro forma Englischkenntnisse verlangt wurden, werden Bewerber heute auch im Bewerbungsgespräch auf Englisch getestet, Praktika im Ausland sind gern gesehen. Denn ohne Sprachkenntnisse geht es ebenso wenig wie ohne Offenheit im Umgang mit anderen Kulturen und ihren Arbeitsstilen. "Die Arbeit der Berater ist wesentlich komplexer geworden", so Schimansky-Geier. "Umso mehr lohnt es sich, nach dem Studium in Beratungsunternehmen zu gehen. Nirgendwo sonst lernt man so viele verschiedene Arbeitsweisen und unterschiedliche Unternehmen kennen wie im internationalen Beratungsgeschäft."

Steffen Dravert, 33, IMG AG, St. Gallen

Steffen Drawert, IMG: 'Mit dem sachlichen Ton der Deutschen können nicht alle was anfangen.'
Steffen Drawert, IMG: 'Mit dem sachlichen Ton der Deutschen können nicht alle was anfangen.'
Foto: Steffen Drawert

An manchen Tagen kommt alles ganz anders. Wenn sich Steffen Drawert morgens an den Computer setzt, poppen Termine auf, von denen er bis dato nichts geahnt hatte. Das Telefon klingelt. Teamabsprache. Wer übernimmt das? Wann kann es losgehen? Statt einer geruhsamen Woche zwischen zwei Projekten, ein wenig Durchatmen im Home Office, volles Programm. Mittwoch Bratislava, Treffen Werk. Freitag Kundenbesuch im Headquarter. Angebote präsentieren, die künftige Zusammenarbeit festlegen, irgendwo in der Welt. Für Steffen Drawert ist das Alltag.

Seit zweieinhalb Jahren arbeitet der 33-Jährige bei IMG, einer Schweizer Unternehmensberatung mit internationalem Kundenstamm. Die "crossfunktionale Tätigkeit", wie es Drawert formuliert, hat ihn für diesen Job begeistert - ein anspruchsvoller Mix aus unterschiedlichen fachlichen Anforderungen und einem breiten sozialen und kulturellen Spektrum. Wenn der Wirtschaftswissenschaftler die IT-Lösung für ein Vertriebssystem erarbeitet, sieht diese Aufgabe in jedem Unternehmen anders aus. Bei einem mittelständischen Maschinenbauer muss er sich auf pragmatischere, hemdsärmeligere Kunden einstellen, als wenn er es mit einem Handels- oder Automobilunternehmen zu tun hat. Sitzt das Unternehmen in Spanien oder Bulgarien, sind Kundenerwartungen, Arbeits- und Organisationskultur nochmals anders.

Manchmal kostet das Lehrgeld. Wie vor gut eineinhalb Jahren, als Drawert die Leitung für ein internationales Projekt im Auftrag von Coca-Cola übernahm. Am Start: Experten aus zehn Nationen, Skandinavier und Bulgaren, Spanier, Asiaten und Deutsche. Drawert merkte: "Arbeitsabläufe und Methoden lassen sich international nie eins zu eins übersetzen." Das Team sollte eine Softwarelösung für Reporting-Systeme realisieren, innerhalb von zwei Wochen wollte der Kunde erste Konzeptionsvorschläge auf dem Tisch haben. Dabei gingen die Griechen und Asiaten zum Beispiel anders vor als die Westeuropäer. "Die Kollegen haben eine andere Mentalität", sagt Drawert, "auf die man sich immer wieder einschwingen muss." Und: Mit dem sachlichen Umgangston der Deutschen können Griechen und Asiaten nichts anfangen. "Ich musste sie persönlicher ansprechen, um sie mit ins Boot zu holen."

Längst ist Drawert der Umgang mit unterschiedlichen Kulturen vertraut. Monatelang hat er Projekte in Kanada, Spanien und Bulgarien betreut, war in China und Südafrika auf Akquisetour. Nach acht Jahren als Unternehmensberater - vor IMG bei einem anderen Unternehmen - hat er sich an den extrem flexiblen Alltag gewöhnt. 95 Prozent der Zeit ist Drawert unterwegs. Wenn es gut läuft, weiß er zwei Wochen vorher, wohin es geht, im Extremfall nur zwei Tage. Nicht leicht, so einen Job mit Familie zu vereinbaren. Zum Glück können die in aller Welt verstreuten Mitarbeiter vom Home Office aus arbeiten - wenn es keine Firmenniederlassung am Wohnort gibt wie in Berlin. Sonst würde er seine 2 ½ jährige Tochter kaum sehen, das Zusammensein mit der er jetzt an den Abenden oder am Wochenende umso intensiver genießt. Es ist ein toller, ein spannender Job, aber "man bezahlt einen Preis". "Auf Dauer muss man sich überlegen, ob man sich arrangieren will - oder die Konsequenzen ziehen." Doch das hat Steffen Drawert noch lange nicht vor.

Sabine Huxhold, 37, IDS Scheer AG

Sabine Huxhold, IDS Scheer: 'Ich brauche immer einen gewissen Kick.'
Sabine Huxhold, IDS Scheer: 'Ich brauche immer einen gewissen Kick.'
Foto: Sabine Huxhold

Die Inder waren seltsam. Sehr seltsam. Immer wenn Sabine Huxhold die Herren im Großraumbüro freundlich grüßte, schauten sie in die Luft. Als würde die blonde Projekt-Managerin nicht existieren. Ergrimmt beschwerte sich Sabine Huxhold schließlich bei der Sekretärin. Diese unhöflichen Programmierer, Unverschämtheit. Amüsiert lehnte sich die Sekretärin, vertraut mit den indischen Gepflogenheiten, zurück. "Wussten Sie nicht, dass es in der indischen Kultur ein Zeichen von Respekt ist, eine Frau zu ignorieren?"

Seit Sabine Huxhold in der internationalen Beratung arbeitet, gehören derlei Missverständisse immer mal wieder zu ihrem Alltag. Bei einem Großprojekt mit 180 Beratern aus 50 Ländern wie damals bei Pricewaterhouse-Coopers (PwC) sind solche kulturell bedingten Schieflagen kaum vermeidbar. Aber sie lassen sich lösen. PwC führte einen Kulturtag für die ausländischen Kollegen ein, auf dem Inder, Japaner oder Amerikaner mit der deutschen Kultur vertraut gemacht wurden. Danach grüßten die indischen Programmierer Sabine Huxhold freundlich lächelnd. Und als sich herausstellte, dass nicht nur die Kultur einem reibungslosen Arbeitsablauf Sand ins Getriebe warf, sondern auch die Sprache, erstellten die Berater ein englisches Projektwörterbuch. Damit nicht mehr jeder unter den gleichen Begriffen etwas völlig anderes verstand wie bis dahin.

Sabine Huxhold liebt die Herausforderungen der internationalen Arbeit - jedes Mal ein neues Projektteam, ein neuer internationaler Kunde, andere Kulturen: "Das ist ein gewisser Kick, den ich brauche." 2005 ging Huxhold zur IDS Scheer AG. Schon nach vier Wochen klingelte das Telefon: Auslandseinsatz. Drei Tage später saß die Expertin für Business Intelligence, Schwerpunkt SAP, Business Warehouse, im Flieger - zum Kunden nach Italien. Vier Monate Parma, nur am Wochenende zurück nach Hause. Auch die Arbeit mit den Italienern war eine Überraschung: keine Spur von "südländischer Gemütlichkeit". Die Italiener arbeiteten "äußerst strukturiert, effizient, vorbildlich".

Die 37-Jährige genießt diese Erfahrungen. Auch wenn sie manchmal froh ist über Phasen der Ruhe. Dann geht es zum Bereichs-Meeting am Hauptstandort Saarbrücken, zum Quartalstreffen mit den Abteilungskollegen oder zu ihrem "Sharing-Platz" am IDS-Scheer-Standort Frankfurt am Main, den sie sonst fast nie sieht und sich deshalb dort mit anderen Kollegen einen Schreibtisch teilt. Die Betriebswirtschaftlerin ist sich sicher: Der Weg in die internationale IT-Beratung war richtig. Schon in ihrem ersten Beruf als Augenoptikerin war Beratung ihr Steckenpferd. Und noch viel spannender ist es auf internationalem Terrain.

Kai-Oliver Schäfer, 37, Alexander Schweinberger, 30, Capgemini Consulting

Sonntagmittag. Koffer packen, ab in den Flieger. Montag 7 Uhr: Landung in Bangkok, Shanghai oder Hongkong. 10 Uhr: Das erste Meeting, Workshops, Dinners. Donnerstagabend: Koffer packen, zurück nach Deutschland. So ist das für Kai-Oliver Schäfer als Leiter des Business-Intelligence-Teams beim Beratungsunternehmen Capgemini Consulting. In den vergangenen Jahren sind die Anforderungen gestiegen, immer flexibler, immer internationaler müssen die Mitarbeiter sein. Auch Mittelständler engagieren sich längst in aller Welt, durch Fusionen und Übernahmen werden Unternehmen globaler.

"Für uns macht es keinen Unterschied mehr, ob es morgens nach Stuttgart, Paris oder Madrid geht", sagt Schäfer. Regelmäßig trifft sich der 37-Jährige, der auch in außereuropäischen Projekten mit Dax-Unternehmen arbeitet, mit Führungskräften des Kunden aus Thailand, Korea oder Australien, um Finanzplanungsprozesse abzustimmen und sich auszutauschen. Schäfer: "Internationales Arbeiten erfordert mehr Change-Management" – Abläufe besprechen, sich persönlich kennen lernen, mit kulturellen Unterschieden jonglieren. Beispielsweise die mitteleuropäischen Berater darauf einstimmen, dass arabische Kunden gerne polychron arbeiten: Beim Meeting werden Handy-Gespräche geführt, andere Mitarbeiter kommen herein und wollen begrüßt werden.

Alexander Schweinberger, Cap Gemini: 'Wir müssen auf viele soziale Kontakte verzichten.'
Alexander Schweinberger, Cap Gemini: 'Wir müssen auf viele soziale Kontakte verzichten.'
Foto: Alexander Schweinberger

Die Internationalität hat immer zwei Seiten: Einerseits folgen Berater wie Schäfer den Kunden auf die globalen Märkte. Andererseits arbeiten sie selbst mit internationalen Beraterteams von Europa aus. Zum Beispiel Alexander Schweinberger, Senior Consultant in Schäfers Einheit bei Capgemini. Vom Hauptsitz des Kunden in Deutschland aus optimiert er derzeit das Finanz-Reporting der Tochterunternehmen eines globalen Pharmagiganten. Das Projektteam ist international gemischt, die Fäden laufen in Deutschland zusammen.

Ohne Englisch geht es weder für Schweinberger noch für Schäfer. Egal ob in der Zusammenarbeit mit internationalen Konzernspitzen oder mit Beratern aus anderen Ländern: Wer nicht auf hohem Niveau die Fachsprache beherrscht, hat kaum eine Chance. Jüngst hat Capgemini spezielle Trainings eingeführt, damit Mitarbeiter und Kunden auch beim Small Talk ins Stolpern geraten. Schäfer: "Denn meist beginnt das Problem erst nach der Projektarbeit." Der Talk nach Feierabend ist gerade in einem Job, in dem nebenher wenig Zeit bleibt, wichtig. "Durch die hohe Mobilität müssen wir natürlich auf viele soziale Kontakte verzichten", so Schweinberger. "Doch es ist ein ungeheuer spannender Ersatz, mit Kunden und Kollegen aus aller Welt zu diskutieren und sich austauschen zu können." (hk)