Forschen am semantischen Web

Linguistin setzt sich gegen Informatiker durch

22.08.2008
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.

Wissen lässt sich besser vernetzen

Ihr Ansatz schafft Ordnung im kaum zu überblickenden Informationschaos des Internet. Der zentrale Vorteil ist die bessere Vernetzung von Wissen - vor allem auch von multimedialen Inhalten - durch Schlagworte, auf Englisch "Tags". Diese Verschlagwortung, das "Tagging", findet durch die Nutzer statt. Doch ist der "Otto-Normal-Nutzer", wie Kraus den Durchschnittsuser liebevoll-ironisch nennt, nicht immer gern dazu bereit.

Mit ihrem Konzept trägt Sonja Kraus dazu bei, das Wissen maßgeschneidert zur Verfügung zu stellen, wie sie bei der Preisverleihung erklärt.
Mit ihrem Konzept trägt Sonja Kraus dazu bei, das Wissen maßgeschneidert zur Verfügung zu stellen, wie sie bei der Preisverleihung erklärt.

Genau hier setzt ihre Idee für mehr Ordnung im Netz an: Das System macht dem Nutzer bei der Eingabe Vorschläge und erhöht aufgrund der Angaben die Qualität der vorgeschlagenen Tags. Die Preisträgerin veranschaulicht es mit einem Beispiel: "Wenn ein Nutzer ein Bild online stellen will, werden ihm Tags wie ‚Landschaft’ oder ‚Sport’ vorgeschlagen. Nach der ersten Auswahl folgen weitergehende Vorschläge, also etwa ‚Sommerlandschaft’ und ‚Winterlandschaft’. In der Hierarchie geht es immer einen Schritt weiter - für mehr Detailtiefe. Aber auch der Urheber oder Künstler können so erfasst werden."

Mit dieser semantischen Eingabehilfe sind in Zeiten von DSL und steigenden Übertragungsraten vor allem Bilder und Filme besser zu finden. Hat der Nutzer seine Schlagworte als Markierung eingegeben, passiert der Rest nämlich von selbst. Denn der große Vorteil des semantischen Webs ist die vollautomatische Vernetzung, die über alle Arten von Informationen und über verschiedene Formate hinweg Wissen miteinander verknüpft und die entsprechenden Dienste integriert. Die manuelle Verlinkung, wie sie heute oft noch üblich ist, entfällt. Das Ergebnis sind passgenaue Informationen, Angebote und Services. Dass die User freiwillig beim Tagging mitmachen - daran zweifelt die Sprachwissenschaftlerin nicht: "Wer gefunden werden will, hat ein Interesse daran, dass er gut verschlagwortet ist."

Mit ihrem Konzept trägt Sonja Kraus nicht nur dazu bei, das Netzwissen der Zukunft maßgeschneidert zur Verfügung zu stellen. Sie leistet zudem, so der Direktor des Deutschen Forschungszentrums Prof. Dr. Wolfgang Wahlster in seiner Laudatio, einen wichtigen Beitrag "zur Überwindung einer der größten Herausforderungen des Theseus-Projekts, der Schließung der semantischen Lücke" im Internet.

Geisteswissenschaftlerin setzt sich gegen alle Informatiker durch

Dass sich dabei eine Geisteswissenschaftlerin gegen zahlreiche IT-Spezialisten durchgesetzt hat, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Sie hat die Jury mit ihrem frischen und sehr stark nutzerorientierten Blick auf das Semantik-Problem überzeugt und konnte dabei viele Konkurrenten mit stark softwaretechnischen Ansätzen hinter sich lassen. Das zeige, so Laudator Wahlster, dass zunehmend auch für Geisteswissenschaftler neue Berufsperspektiven im Hightech-Sektor bestehen, wenn diese ihr Wissen in der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie einsetzen.

Sonja Kraus stehen jetzt jedenfalls viele Möglichkeiten offen. Ihr erstes Staatsexamen in Deutsch und Latein hat sie erfolgreich abgeschlossen, im Herbst beendet sie ihr Studium in den sprachwissenschaftlichen Fächern. Dienstleistungen rund ums Internet bietet sie bereits auf ihrer Internetpräsenz als "E-Fee" an. Doch mit den Theseus-Partnern Lycos und Siemens verhandelt sie jetzt auch über die Umsetzung ihrer "Semantstrategie" und sorgt vielleicht schon bald für mehr Durchblick im Netz. Ordnung ist eben das halbe Leben - real und virtuell.