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München ist die Hochburg der deutschen Wissenschaft

Wo die Elite dahoam is´

10.04.2008
Von Handelsblatt 
Der große Erfolg beider Münchner Universitäten bei der Exzellenzinitiative bewies, dass Bayerns Hauptstadt die Hochburg der deutschen Wissenschaft ist. Der Geldsegen hat einen geschäftigen Optimismus bewirkt.

DÜSSELDORF. Der Roboter ACE - der "autonome City-Explorer" - übt sich im Hindernislauf. Ohne seinen Zuschauern über die Zehen zu fahren, rollt das mannshohe Gerät durch das Labor, auf den Gang hinaus und durch eine zweite Tür wieder herein. Nur die großen Glastüren zum Treppenhaus bleiben verschlossen - damit ACE nicht versehentlich die Treppen hinunterstürzt. Eines Tages soll der Roboter ganz allein seinen Weg von der Technischen Universität (TUM) zum Marienplatz in der Münchener Innenstadt finden, und zwar ohne Karte und GPS: Er soll sich einfach bei Passanten durchfragen.

ACE ist eines der Projekte an der TUM, die der Exzellenzcluster "Cognition for Technical Systems" (CoTeSys, "Wahrnehmung für technische Systeme") finanziert. Im Rahmen der Exzellenzinitiative werden in Deutschland 37 solcher standortgebundenen Forschungsverbünde mit je etwa 6,5 Millionen Euro pro Jahr gefördert. Cluster sind nicht bestimmten Teilgebieten eines Faches gewidmet, sondern bringen ausgewiesene Forscher zu einem breitgefassten Thema von gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Relevanz zusammen.

Im CoTeSys-Cluster etwa arbeiten Biologen mit Elektrotechnikern, Mediziner mit Maschinenbauern, Neurologen mit Informatikern. "Diese Zusammenarbeit ist bisher nicht die Regel gewesen", sagt der Geschäftsführer des Clusters, Uwe Haass. Nun entwickeln die Disziplinen unter einem Dach gemeinsam Roboter, die fühlen, sehen und mit Menschen kommunizieren können.

In München verteilen sich fünf solcher Cluster auf die beiden großen Hochschulen TUM und Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) - mehr geballte Exzellenz in den Natur- und Technikwissenschaften als irgendwo sonst in Deutschland. Zusätzlich hat jede der beiden Unis im Rahmen der Initiative eine Graduiertenschule gegründet. Beide Hochschulen wurden bereits im ersten Durchgang 2006 zu Eliteuniversitäten gekürt - offiziell ist von "Zukunftskonzepten" die Rede.

"Der Ausgang des Auswahlverfahrens war für uns nicht völlig überraschend", sagt der Präsident der LMU, Bernd Huber. "Die Voraussetzungen in München haben gestimmt." Schließlich habe man an der LMU bereits vor Jahren begonnen, manche Forschungsfelder zu stärken und sich von anderen Fächern zu trennen. Die Exzellenzinitiative habe diese Profilbildung nun verstärkt.

TUM-Präsident Wolfgang Herrmann sieht das ähnlich: "Unser Zukunftskonzept wurde nicht mal eben aus dem luftleeren Raum erfunden, sondern war bereits vorgelebt. Bei jeder der Einzelmaßnahmen waren schon einige Schritte durchgeführt worden. Deshalb war das Gutachtergremium auch der Meinung, dass man der TUM jetzt mal ordentlich Geld zur Professionalisierung dieser Maßnahmen geben sollte."

Ordentlich Geld, das bedeutet: 12 Millionen Euro jedes Jahr allein für das Zukunftskonzept der TUM. Insgesamt fließen jährlich fast 55 Millionen Euro für alle Cluster, Graduiertenschulen und die Zukunftskonzepte der TUM und LMU nach München. Die beiden Unis schwimmen neuerdings im Geld.

Geschäftiger Optimismus ist ausgebrochen: Beim Cluster "Origin and Structure of the Universe" (Ursprung und Struktur des Universums) schafft man neue Großgeräte an und holt Nachwuchsforscher in das neu bezogene Gebäude. Die Proteinforscher am Cluster "Center for Integrated Protein Science" (CIPSM) an der LMU setzen, so der Sprecher Thomas Carell, auf den sogenannten Brain-Gain: "Wir haben uns vorgenommen, drei hochkarätige Kollegen zu berufen, und wir haben uns das Ziel gesetzt, diese drei von hochkarätigen Universitäten in den USA zurückzuholen - etwas, von dem es in Deutschland immer heißt, das ginge gar nicht." Einer hat bereits den Ruf nach München angenommen: Er kehrt aus Berkeley zurück.

Die Stimmung ist gut in München, doch die Exzellenz hat auch mit Startschwierigkeiten zu kämpfen. In den Clustern sind das hauptsächlich die langwierigen Berufungsverfahren oder die schwierige Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, deren Disziplinen sehr unterschiedlichen Traditionen verhaftet sind. Die Astro- und Kernphysiker beim Universe-Cluster oder die Proteinforscher vom CIPS-Cluster arbeiten in der Regel schon seit Jahren auf der gleichen Wellenlänge. Beim CoTeSys-Cluster sieht das etwas anders aus: Hier treffen Ingenieure auf Naturwissenschaftler, und beide Seiten merken, dass sie "Wissenschaft" verschieden definieren. "Das fängt schon bei der Frage an, wie man in wissenschaftlichen Artikeln zitiert", sagt Cluster-Chef Uwe Haass. "Da kommt es vor, dass Maschinenbauer zum Beispiel aus dem Handelsblatt zitieren - in einem Fachartikel! Forscher aus anderen Disziplinen dagegen sind entsetzt und sagen, das sei doch keine Wissenschaft."

In den neuen Graduiertenschulen, die sich der Ausbildung von Doktoranden widmen, sind die Probleme eher organisatorisch. Die Schulen brächten eine enorme Strukturveränderung an den Unis mit sich, erklärt Alexandra Stein, die die "Graduate School of Systemic Neuroscience" (GSN) an der LMU koordiniert. Hier treffen Doktoranden aus Neurobiologie, Psychologie, Medizin, Philosophie und Elektrotechnik aufeinander. Und die neue, interdisziplinäre Struktur passt nicht immer zum geltenden Hochschulrecht: Weil die Ausbildung neuerdings in Module aufgeteilt wird und weil oft die Schulen und nicht mehr die einzelnen Fakultäten den Doktortitel vergeben, müssen vielerorts die Promotionsordnungen geändert werden.

"Auch das Tarifrecht muss an die neuen Ausbildungswege angepasst werden", sagt Stein. So kann an den Graduiertenschulen bei besonderer Eignung der Kandidaten schon ein Bachelor-Abschluss reichen, um in das Promotionsprogramm einzusteigen. Das entspreche, so Stein, nicht dem üblichen Dreischritt aus Bachelor, Master und Promotion und werde zum Beispiel im Tarifrecht noch nicht angemessen berücksichtigt.

Solchen Ärgerlichkeiten zum Trotz ist die Bilanz für Münchens Universitäten uneingeschränkt positiv. "Nach anderthalb Jahren", sagt LMU-Präsident Huber, "haben wir die Reiseflughöhe erreicht." Die Exzellenzinitiative habe dem Forschungsstandort München enormen Reputationsgewinn gebracht.

Der Roboter ACE übrigens hat seinen ersten Testlauf im Stadtzentrum schon hinter sich. Heimlich von den Entwicklern ferngesteuert, durfte er seine Wirkung auf Passanten testen. Und die waren, wie eine Videoaufnahme der Aktion zeigt, dem Roboter durchaus zugetan. Seine Chancen stehen wohl ganz gut, dass die Münchener ihm bald den Weg zum Marienplatz zeigen.