Offshoring: Auf zu neuen Ufern?

12.07.2007
Von Lena Rosenthal
Immer mehr Niedriglohnländer drängen in den Markt. In Nicht-EU-Staaten sollten deutsche Firmen aber nur einfache, leicht steuerbare Aufgaben verlagern.

Neben den Nearshore-Regionen innerhalb der EU und dem Offshore-Vorzeigestandort Indien buhlen immer neue Länder um die Gunst hiesiger Anwender. Wie ihre Chancen stehen, lässt sich pauschal nicht sagen, meint Holger Röder, Partner bei der Beratungsfirma A.T. Kearney: "Ob die neuen Länder für deutsche Firmen interessant sind, hängt zu weiten Teilen von deren bisherigen Outsourcing-Erfahrungen sowie von den jeweiligen Aufgaben ab." Damit bezieht sich der Experte auf die Ergebnisse des jährlichen "Global Services Location Index" von A.T. Kearney, der weltweit mehr als 50 Länder anhand von wichtigen Outsourcing-Kriterien - Kostenvorteile, Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte und wirtschaftliche Rahmenbedingungen – vergleicht. Fazit der Studie: Für langfristige globale Wettbewerbsvorteile reichen niedrige Lohnkosten nicht aus.

Hier lesen Sie ...

  • Worauf deutsche Anwender beim Offshoring achten sollten;

  • welche Länder vor diesem Hintergrund neben den etablierten Regionen interessant sind;

  • und warum viele hiesige Firmen nach wie vor die Nearshoring-Alternative bevorzugen.

Indien ist nach wie vor die beliebteste Offshore-Region weltweit.
Indien ist nach wie vor die beliebteste Offshore-Region weltweit.
Foto: A.T. Kearney

So kommt es auch auf fundierte Outsourcing-Erfahrungen auf Anbieterseite an. Aus diesem Grund sind die etablierten IT-Dienstleister aus EU-Mitgliedsländern wie Polen, Tschechien und Ungarn bei deutschen Unternehmen nach wie vor beliebt. Doch ihr Stern sinkt, vor allem wegen der steigenden Lohnkosten: "Die neuen Mitgliedsstaaten sind entweder schon zu teuer oder werden es auf absehbare Zeit sein", winkt etwa Rudolf van Megen, Vorstandsvorsitzender des Softwaretesting-Anbieters SQS, ab.

Offshoring: Weniger etablierte Länder sind billiger, bieten aber andere Nachteile

Ähnlich sieht es Consultant Röder: "Wer langfristig Kosten einsparen will, sollte eher weniger erschlossene Länder wie Rumänien oder Bulgarien in Erwägung ziehen." Auf der anderen Seite sind die dortigen Märkte noch stark fragmentiert und wenig übersichtlich. Zudem weist die Infrastruktur Mängel auf, und es fehlt an professionellen Anbietern. Als Alternative rät Röder daher, auf die Nearshore-Services von multinationelen IT-Dienstleistern zurückzugreifen, die mittlerweile über eigene Ressourcen in diesen Regionen verfügen.

SQS setzt dagegen schon seit 2005 auf Afrika. Im südafrikanischen Durban arbeiten 50 Mitarbeiter, bis Jahresende sollen es 100 sein. In solchen Ländern ist allerdings mit höheren Anfangsinvestitionen zu rechnen. So können kulturelle und sprachliche Unterschiede Zusatzkosten durch den höheren Kommunikationsaufwand verursachen. Auch rechtliche Aspekte sind zu beachten. So regelt innerhalb der EU eine Direktive die Haftungsfragen hinsichtlich des Schutzes von kunden- und personenbezogenen Daten. "In Nicht-EU-Ländern, in denen es keine vergleichbare Datenschutzrichtlinie gibt, ist selbst die Ausarbeitung von Haftungsregelungen eine Herausforderung - vor allem für Mittelständler", warnt A.T.-Kearney-Berater Röder. Geschäfte ohne solche Verträge seien jedoch äußerst riskant.

Offshoring: Je weiter weg, desto schwierigere Rahmenbedingungen

Grundsätzlich gilt: Je weiter man in Niedriglohnländer vorrückt, desto schwieriger werden die Rahmenbedingungen. Für erfahrene Unternehmen kann sich der Aufwand dennoch lohnen, meint Röder. Um von den Lohnvorteilen in Ländern wie Weißrussland oder der Ukraine profitieren zu können, dürfe man jedoch eine kritische Masse nicht unterschreiten. So rechne sich der Aufbau eines eigenen Service-Centers erst ab einer Mitarbeiterzahl, "die deutlich im dreistelligen Bereich liegt". Laut SQS-Chef van Megen hängt die Entscheidung zudem davon ab, ob sich die eigene Unternehmensstruktur und -kultur für ein Offshoring eignet: "Wenn die Dokumentationen ausschließlich in deutscher Sprache vorliegen und Deutsch auch Arbeitssprache ist, ist ein Standort wie Indien nicht optimal."

Derzeit erkundet SQS Rumänien und die Ukraine. Aber auch Ägypten steht auf der Liste der potenziellen Offshore-Partner. Um sich ein Bild vom Ausbildungsstand und der Unterstützung vor Ort zu machen, ist van Megen selbst nach Kairo gereist. "Solche Informationen finden Sie in keiner Statistik", begründet der Firmenchef das persönliche Engagement. Sein Fazit: "Ägypten bietet deutschsprachige und sehr gut ausgebildete Fachkräfte." Nach Ansicht von Consultant Röder ist das nordafrikanische Land dagegen eher eine Option für die arabische Welt. Vor allem wegen der kulturellen Unterschiede eigne es sich weniger für deutsche Firmen: "Nur wenn sich diese ohnehin in der Region engagieren, kann es sinnvoll sein, auch die IT dort aufzubauen."

Offshoring-Partner an Produktionsstandorten

Beim Autobauer BMW bieten sich immer wieder IT-Dienstleister an den Produktionsstandorten als Offshore-Partner an. "Wenn wir dadurch Synergien nutzen können, machen wir das", sagt Michael Kormann, Leiter der IT-Kalkulation im technischen Einkauf. "Allerdings nur im Rahmen eines Outtasking, bei dem klar definierte Aufgaben an einen externen Anbieter übergeben werden." Bei größeren Serviceumfängen sei es dagegen meist kostengünstiger, sich auf einen bewährten Partner zu verlassen, der wiederum auf eigene Ressourcen im Ausland zurückgreife. "Für unseren Bedarf reicht es nicht, super programmieren zu können. Ebenso wichtig sind Kenntnisse unserer Unternehmensprozesse", begründet Kormann. Bei der Wahl der Offshore-Standorte des IT-Partners behält sich BMW allerdings ein Mitspracherecht vor: "Wir wissen genau, mit welchen Subunternehmern gearbeitet wird. Wir führen zwar keine schwarzen Listen, aber wenn wir in einem Land bei einer Aufgabe Bedenken haben, dann sprechen wir das an", so Kormann. Gemeint sind erster Linie Sicherheitsstandards: "Daten- und Patentschutz spielen bei uns eine große Rolle." Nicht-EU-Länder würden unter diesen Aspekten besonders unter die Lupe genommen.

A.T.-Kearney-Experte Röder hält diese Vorsicht für berechtigt: "Bei den neuen Offshorern ist die Frage der Datensicherheit noch eine Schwachstelle. Grundsätzlich sind alle Staaten außerhalb der EU verdächtig, weil dort andere Gesetze gelten", fasst der Berater zusammen. Es gebe aber auch Länder, die sich EU-konform verhalten - beispielsweise Kanada. "Auch Indien bemüht sich derzeit um eine Standardisierung, um seinen Ruf als etablierter Offshore-Standort nicht aufs Spiel zu setzen."

Neben Indien hoffen immer mehr andere asiatische Länder, im Markt Fuß zu fassen. Bangladesch, die Philippinen, Malaysien und Indonesien sind schon heute wegen ihrer niedrigen Lohnkosten bevorzugte Offshore-Länder für Australien oder Singapur. Die Frage ist, ob sich die Partnersuche dort auch für deutsche Firmen lohnt. "Infrastruktur und Qualität sind - verglichen mit den indischen Regionen um Mumbai und Bangalore - ein Problem", meint Röder dazu. Daher postuliert er unabhängig vom Kontinent: "In Billiglohnländer sollten nur einfache, gut strukturierte und leicht steuerbare Aufgaben ausgelagert werden – etwa Datenerfassung oder Server-Administration."

China als Offshore-Land für deutsche Firmen wenig attraktiv

Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China, in der Studie auf Platz zwei hinter Indien, steht nach Ansicht von Röder für hiesige Firmen derzeit nicht zur Debatte: "In den entwickelten Regionen, in denen deutsche Unternehmen präsent sind und die Nutzung von IT-Kompetenzen vor Ort sinnvoll sein könnte, sind die Faktorkosten zu hoch. Und sobald die IT-Ressourcen billiger sind, weil sie aus dem Hinterland kommen, leidet die Steuerbarkeit der Services", erläutert der Experte. Auch BMW-Manager Kormann gibt sich zurückhaltend: "China hat zwar Potenzial. Aber die Sicherheitsstandards müssen noch verbessert werden." BMW bevorzuge daher nach wie vor die bewährten Nearshore-Regionen, beim Offshoring bleibe Indien der wichtigste Standort. Daran werde sich auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern.

Insgesamt werden es die "neuen Offshorer" auf dem deutschen Markt schwer haben, gegen die etablierte Konkurrenz anzukommen. Hiesige Unternehmen, die die neuen Anwärter verschmähen, vergeben damit auch keine Chancen, meint Röder. Die Regionen unterschieden sich in Sachen Branchenfokussierung nur unwesentlich voneinander. "Auch in vielen anderen Branchen – etwa der Automobilindustrie - werden die relevanten IT-Services häufig für Querschnittsfunktionen erbracht." (sp)