Itil - Rettung oder Regulierungswut?

30.07.2007
Von Paul G. Huppertz
Die IT Infrastructure Library (Itil) hat Anfang der 90er Jahre den längst überfälligen Umschwung von der Technikzentrierung zur Prozessorientierung angestoßen. Nun droht die Überregulierung.

Wo früher Techniksilos das integrierte Zusammenwirken aller IT-Spezialabteilungen bremsten, entstehen heute oft Prozesssilos. Im Extremfall werden die einzelnen Itil-Prozesse mit großem Aufwand eingeführt und in mehreren Schritten optimiert, während gleichzeitig das Zusammenwirken aller Itil-Prozesse durch die entstehenden Prozesssilos gehemmt wird. Die Gründe dafür sind zahlreich: Trotz Itil gibt es weiterhin unterschiedliche Begrifflichkeiten, die organisatorischen und hierarchischen Abgrenzungen sind lückenhaft, Abläufe wurden bürokratisiert und dadurch umständlich, divergierende oder nicht kompatible Tools sowie inkonsistente Datenbestände erschweren die Steuerung und Unterstützung des Servicebetriebs. Und nicht zuletzt verhindern unzulänglich konzipierte, ausschließlich auf Kosteneinsparung fixierte Outsourcing-Versuche eine sinnvolle Auslieferung von Services. Als Reaktion auf die Klagen der Serviceabnehmer und –kunden wird oftmals die Prozessdefinition nochmals verschärft. Damit steigt die Tendenz zur Überregulierung, die sich möglicherweise bis zur Regulierungswut ausweitet, wenn sich auch nach einer strengeren Abstimmung noch immer keine wesentlichen Verbesserungen ergeben, etwa in Form von geringeren Service-Ausfallzeiten.

Hier lesen Sie ...

  • Was den Servicebetrieb erschwert;

  • warum Prozessregeln und -definitionen nicht automatisch helfen;

  • welche Probleme eine enge Itil-Orientierung bereitet;

  • welche Schritte zum Erfolg führen.

Klare Definitionen des Servicekatalogs sowie der Service-Level-Agreements sind Voraussetzung, um auch externe Provider in die Lieferkette einzubinden. Damit lassen sich den Nutzern zuverlässige IT-Dienste bereitstellen.
Klare Definitionen des Servicekatalogs sowie der Service-Level-Agreements sind Voraussetzung, um auch externe Provider in die Lieferkette einzubinden. Damit lassen sich den Nutzern zuverlässige IT-Dienste bereitstellen.
Foto: avanade

Die immer genauer ausgearbeiteten und abgestimmten Regulierungen (Policies) und Prozesse haben zur Folge, dass die IT-Dienstleister (intern oder extern) ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren: einen Service bei jedem einzelnen Abruf durch einen Verbraucher verzugs-, naht- und reibungslos in der vereinbarten Qualität zu erbringen – so oft der Konsument ihn braucht. Doch in den meisten Fällen wird der Kunde beim Messen und Erfassen der Serviceverfügbarkeit gar nicht berücksichtigt, obwohl er in jedem einzelnen Service Dreh- und Angelpunkt sowie der entscheidende erfolgskritische Produktionsfaktor ist. Aus Sicht des Service-Providers ist er jedoch ein externer und deswegen kaum zu beeinflussender und zu steuernder Produktionsfaktor. Dagegen lassen sich interne Mitarbeiter und Prozesse sowie wie die eigenen IT-Systeme und die erforderlichen Servicekapazitäten besser beeinflussen.

Das Augenmerk gilt immer noch den Systemen

Da meist nur die IT-Systeme betrachtet werden, handelt es sich deshalb bei den abgeschlossenen Vereinbarungen eher um System-Level-Agreements als um sachgerechte Service-Level-Agreements. Das Nachsehen haben die Mitarbeiter, die die Services in Anspruch nehmen, schließlich bauen sie auf verlässliche Dienste, damit sie ihre geschäftlichen Aktivitäten effizient und produktiv ausführen können. Demzufolge verursacht nicht erfolgreich erbrachter Service einen wirtschaftlichen Schaden, sei es, weil der jeweilige Mitarbeiter im Fluss seiner Aktivitäten aufgehalten oder vollkommen unterbrochen wird, sei es, weil er auf anderem Weg das erforderliche Ergebnis zu erreichen versucht, indem er beispielsweise bei nicht funktionierendem E-Mail-Zugang ein Fax verschickt.

Ein wesentlicher Grund für derartige Unzulänglichkeiten bei der Serviceerbringung sind die Defizite von Itil selbst, denn auch detaillierte Regeln für die Prozesse können nicht beheben, dass weder in der Version 2 noch in der Version 3 des IT-Handbuchs vollständig, konsistent und umfassend beschrieben ist, was einen Service ausmacht.

Erst wenn auf beiden Seiten (zum einen sind dies die Serviceauftraggeber und die von ihm bedachten Servicekonsumenten, zum anderen sind es die Service-Provider und ihre externen und internen Lieferanten) Klarheit herrscht über die Charakteristika eines Dienstes (immateriell, unwiederholbar, jeweils einmalig zu erbringen, flüchtig etc.), werden die Beteiligten zu sachgerechter und wirksamer Spezifikation, Konziption, Erbringung und Konsum von ICT-basierenden Business-Support-Services kommen und dabei die Konzepte und Prozessbeschreibungen aus Itil produktiv einsetzen.