Chaotische Softwareentwicklung kostet Milliarden

15.10.2007
Von Jan-Peter Welsch
Die Novar GmbH hat ein softwaregestütztes Anforderungs-Management aufgebaut, um wesentliche Gründe für den Misserfolg von Projekten zu eliminieren.

IT-Projekte geraten ins Trudeln, dauern länger als gedacht und kosten mehr als veranschlagt. Die Gründe dafür liegen häufig in unzureichend ausgeführten Pflichtenheften: Da werden Funktionen ergänzt, an die anfangs niemand gedacht hatte, und häufig ändern Projektbeteiligte die Anforderungen an die Applikation im Laufe des Entwicklungszyklus. Ein softwaregestütztes Anforderungs-Management, wie es der Brandschutzspezialist Novar GmbH eingeführt hat, hilft den Entwicklern dabei, die Requirements vollständig zu erfassen, zu validieren und zu verwalten.

Jedes vierte Projekt verfehlte sein Ziel

In einem Brandraum erzeugt Novar Miniaturbrände, um Gassensoren testen und die entstehenden Brandgase analysieren zu können.
In einem Brandraum erzeugt Novar Miniaturbrände, um Gassensoren testen und die entstehenden Brandgase analysieren zu können.
Foto: Novar

Diese Bilanz sieht alles andere als rosig aus: In den vergangenen zwei Jahren schloss nur jede fünfte Softwareschmiede alle IT-Projekte erfolgreich ab. Jedes vierte Projekt verfehlte sein Ziel. Das stellte eine im Juni dieses Jahres vom Beratungsunternehmen Infora veröffentlichte Studie fest, für die mehr als 400 Firmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 100 Millionen Euro befragt worden waren (siehe auch: "Führungskräfte wissen zuwenig über ihre Projekte").

Wo liegen die Gründe hierfür, und wie lassen sie sich ausräumen? Eine unzureichende Projektsteuerung und mangelhaftes Projekt-Controlling trügen eine wesentliche Mitschuld an der Misere, räumten drei von fünf der interviewten IT-Manager ein. Und zwei Drittel der Verantwortlichen klagten, die Anforderungen hätten sich im Verlauf der Projektmaßnahmen verändert.

Das Unternehmen

  • Mit ihren Marken Esser und Ackermann Clino ist die Novar GmbH Marktführer im Bereich Brandmeldetechnik sowie Krankenhaus- und Pflegekommunikation.

  • Am 31. März 2005 wurde die britische Novar Plc. von dem US-Mischkonzern Honeywell übernommen.

  • Die Novar-Sparte IBS (Intelligent Building Systems) ist in den Honeywell-Unternehmensbereich Automation and Control Solutions (ACS) integriert.

Damit stehen bereits einige der Hauptschuldigen fest. Auch die Gartner-Analysten resümierten in einer 2005 veröffentlichten Studie zum Thema "Optimierungspotenziale in der Softwareentwicklung": Wenn Anforderungen nicht gründlich beschrieben seien, leiste dies möglicherweise Lücken und Fehlern Vorschub, die erst in späteren Iterationen zu Tage träten und dann zu umfassenden Nacharbeiten führten.

Der Brandmelder IQ8Quad OTG von Novar reagiert auf Rauchentwicklungen durch unterschiedlichstes Brandmaterial, indem er Streulicht, Temperatur und Kohlenmonoxid-Konzentration auswertet.
Der Brandmelder IQ8Quad OTG von Novar reagiert auf Rauchentwicklungen durch unterschiedlichstes Brandmaterial, indem er Streulicht, Temperatur und Kohlenmonoxid-Konzentration auswertet.
Foto: Novar

Die Experten sind sich darin einig, dass ein professionelles, softwaregestütztes Anforderungs-Management die Entwicklung verkürzt, die Kosten senkt und letztlich zu erfolgreichen IT-Projekten beiträgt. "Zum Werkzeugeinsatz im Requirements-Engineering gibt es kaum eine sinnvolle Alternative", lautet das abschließende Urteil von Holger Röder, Informatiker am Institut für Softwaretechnologie der Universität Stuttgart. Das gelte vor allem, wenn eine große Zahl von Anforderungen oder viele Änderungen zu erwarten seien (siehe auch: "Aus Beschaffung wird Beratung").

Den Rat der Fachleute beherzigt

Der Brandschutzspezialist Novar GmbH hat den Rat der Fachleute beherzigt. Das zur Honeywell-Gruppe gehörende Unternehmen mit Sitz in Neuss bekämpft den Flammenteufel mit Gefahrenmelde- und Rauchansaugsystemen, Lösungen zur Löschmittelsteuerung und zur Brandfrüherkennung.

Die Entwicklung der Brandschutzmodule ist ein komplexer Vorgang, an dem Produkt-Manager, Analysten und Entwicklungsingenieure mitwirken. Zudem fließen die Anforderungen der Kunden direkt in die Produktentwicklung ein.

Bislang hat Novar bei der Entwicklung neuer Module und Komponenten alle Anforderungen in dem Textverarbeitungsprogramm Word erfasst. Die Projektbeteiligten definierten die Requirements, änderten sie oder ergänzten sie durch Einfügen in die dokumentenbasierte Sammlung. Doch in der Konsequenz konnten die Teammitglieder nicht verfolgen, wer welche Änderung vorgenommen hatte.

Projektsteckbrief

  • Projektart: Einführung eines Anforderungs-Managements.

  • Branche: Produktion von Brandmeldetechnik.

  • Stand heute: in einigen Bereichen seit April 2006 produktiv.

  • Produkt: CaliberRM von Borland, fünf Concurrent-User- und drei Named-User-Lizenzen.

  • Dienstleister: Borland.

  • Ziel: Entwicklungsprozess und Time-to-Market bei der Einführung neuer Produkte im Bereich Brandmeldetechnik optimieren, Entwicklungszeit ohne Qualitätsverlust verkürzen.

  • Ergebnis: übersichtliche und strukturierte Gestaltung der Anforderungen, effizientere Prozesse, verbesserter Workflow.

  • Nächster Schritt: Ausweitung des Einsatzes von CaliberRM und Implementierung einer Test-Management-Lösung.

Zudem wurden häufig verschiedene Dateiversionen abgespeichert, ohne dass eine Historie ablesbar gewesen wäre. Ebenso wenig ließ sich verfolgen, welche Anforderungen von welchen anderen abhängig waren.

Nicht zuletzt ließen sich die manuell definierten Informationen biswielen durchaus unterschiedlich interpretieren. Für den Projekt-Manager bei Novar und den Entwickler stellten sich die Anforderungen und deren Bedeutung damit jeweils anders dar.

Die Eckpfeiler des Projekts

Um den Anforderungs-Management-Prozess zu strukturieren und für alle Projektbeteiligten transparent zu gestalten, entschied sich Novar deshalb, den manuellen Prozess durch eine softwaregestützte Lösung abzulösen (siehe auch: "Mit Tools führen"). Alle Projektbeteiligten sollten ihre Anforderungen mit einer für alle verständlichen Methodik erfassen, spezifizieren und verwalten können.

Im Wesentlichen zielte Novar mit der Umstellung darauf ab, Zeit und Kosten zu sparen, den Nachbesserungsbedarf in der Entwicklung zu reduzieren sowie den Definitionsprozess von Projektbeginn an punktgenau und übersichtlich zu strukturieren.

  • Der Kostenfaktor: Wie Untersuchungen belegen, fließen durchschnittlich etwa 40 Prozent eines vorgegebenen Projektbudgets in Nachbesserungen. Anforderungen von Anfang an genau zu erfassen und zu definieren spart also Zeit und Geld.

  • Weniger Korrekturen: Die frühe Bewertung und Abstimmung der Requirements mit allen Prozessbeteiligten verringert die Zahl späterer Nachbesserungen.

  • Punktgenaue Erfassung: Alle Projektbeteiligten – sowohl von der Fach- als auch von der Entwicklerseite – sind direkt in den Prozess eingebunden. Sie definieren die Anforderungen und stimmen sie miteinander ab. Die freigegebenen Requirements sind Basis für die weitere Arbeit.

Verzögerungen oder Nachbesserungen im Entwicklungsprozess wirken sich unmittelbar auf die gesamte Wertschöpfungskette aus. Damit kommt der Einführung der neuen Lösung auch eine geschäftliche Bedeutung bei. Sie trägt dazu bei, dass die Komponenten neuer Feuermeldesysteme, die am Markt eingeführt werden sollen, pünktlich und fehlerfrei zur Verfügung stehen (siehe auch: "Tipps für eine bessere Softwareentwicklung").

Auswahl des Produkts

Novar testete mehrere verfügbare Softwarelösungen hinsichtlich der Bedienbarkeit, des Funktionsumfangs und der zu erwartenden Weiterentwicklungen. So prüften die Projektbeteiligten beispielsweise, ob die wichtigsten Funktionen schnell zu erlernen sind, denn der Erfolg neu implementierter Lösungen hängt auch von der Akzeptanz der Mitarbeiter ab. Darüber hinaus sollte das Werkzeug mit anderen eingesetzten Tools interoperabel sein. Nicht an letzter Stelle stand die Forderung nach Flexibilität.

Schließlich entschied sich das Unternehmen für das Borland-Produkt "CaliberRM". Zu dessen Gunsten sprach unter anderem die intuitive Bedienbarkeit. Innerhalb weniger Stunden konnten die Teammitglieder die neue Lösung einsetzen – ein deutliches Plus gegenüber anderen Lösungen, die sich als weit komplizierter im Umgang erwiesen (mehr zum Tool-Angebot unter: "Requirement im Zentrum").

Abhängigkeiten und Auswirkungen

Seit einigen Monaten arbeitet Novar in der technischen Erweiterung von Brandmeldezentralen, bei den Konfigurationsprogrammen und für die Neuentwicklung von Feldbus-Komponenten mit dem Tool. Feldbusse sind quasi das Nerven- und Kommunikationssystem des Brandschutzes, das ein Netz aus Sensoren, Alarmdetektoren und Stellgliedern miteinander verbindet.

Wenn sich dort die Anforderungen während des Entwicklungsprozesses ändern, erstellt CaliberRM nicht nur eine Änderungshistorie, sondern analysiert auch die Abhängigkeiten und deren Auswirkungen auf den Projektverlauf. Im Fachjargon heißt dieses Fähgikeit "Lifecycle Traceability". Die Requirements werden untereinander und mit externen Artefakten, zum Beispiel mit Quellcodes oder UML-Modellen (Unified Modeling Language), verknüpft (siehe auch: "Ende des Programmierens").

Vorteile sind bereits sichtbar

Im Rahmen des Gesamtvorhabens befindet sich das Projekt noch in einem frühen Stadium. Doch zeigt sich bereits heute, dass die Verbindung zwischen der Realisierung und den Anforderungen im Vergleich zur herkömmlichen, dokumentenbasierten Vorgehensweise ein deutliches Plus darstellt.

Laut Jan-Peter Welsch, Entwicklungsleiter EMEA bei der Novar GmbH in Neuss, sind die Vorteile trotz des frühen Projektstadiums schon erkennbar.
Laut Jan-Peter Welsch, Entwicklungsleiter EMEA bei der Novar GmbH in Neuss, sind die Vorteile trotz des frühen Projektstadiums schon erkennbar.
Foto: Novar

Von er neuen Transparenz profitiert Novar zweifellos: Die Anforderungen lassen sich nun übersichtlicher und strukturierter gestalten. Und das transparente Anforderungs-Management macht die Prozesse nicht nur effektiver, sondern auch verlässlicher hinsichtlich ihrer Qualität.

Anstieg von ausreichend auf gut

Professionelle Softwareentwicklung beginnt mit exaktem und flexiblem Anforderungs-Management. Es muss in der Lage sein, alle Änderungen zu berücksichtigen und die Folgen für das Gesamtprojekt abzuschätzen.

Bis 2009 wird die Prozessautomatisierung im Bereich Anforderungsdefinition und -verwaltung die Kosten der Softwarequalitätssicherung um 30 Prozent senken, prognostiziert Gartner. Gleichzeitig steige die Kundenzufriedenheit bei Unternehmen, die ein professionelles Anforderungs-Management betreiben, im Allgemeinen von "ausreichend" auf "gut". (qua)