Sachsen

Sachsens Glanz rührt heute von Siliziumscheiben

16.01.2001
Von Kathi Seefeld

Sieben Zentimeter hoch, 260 Gramm schwer - unter der Inventarnummer 1994-334 000 ruht er nunmehr im Museum für Deutsche Geschichte zu Bonn: der Megabit-Chip vom Typ U 61000, Baujahr 1988, made in GDR. Einst hatte Erich Honecker mit stolzgeschwellter Brust dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Michail Gorbatschow einen solchen überreicht.

Szenetreff "Markt 9" in Leipzig
Szenetreff "Markt 9" in Leipzig

Elf Milliarden Ost-Mark investierte die DDR-Führung zwischen 1986 und 1988, um “bei der Entwicklung mikroelektronischer Bauelemente an der Weltspitze mitzuhalten” und sich von Importen aus dem Westen unabhängig zu machen. “Unsere Mikroelektronik ist die Größte” spottete dabei so mancher DDR-Bürger. Zudem sah er, dass die einseitige Förderung der “Schlüsseltechnologien” zu weiteren Disproportionen in der Wirtschaft führte und dass es trotz allem eines immer noch nicht zu kaufen gab: mehr oder weniger erschwingliche “Heimcomputer”. Tatsächlich war die DDR unter den Ländern des Ostblocks das einzige, das bei einigem Abstand noch mit den Entwicklungen im Westen mithalten konnte. Siemens hatte seinen Megabit-Sprung gerade zwei Jahre zuvor absolviert. Die bereits 1961 gegründete “Arbeitsstelle für Molekular-Elektronik Dresden”, deren Mitarbeiter über Beschaffungsprobleme und Informationsbarrieren hinweg mit dem Megabit-Chip ihre Kompetenz in Sachen Halbleitertechnologie unter Beweis stellten, gehörte zu den ersten deutschen Mikroelektronik-Instituten überhaupt. Ob die Softwareentwicklung für den Schaltkreisentwurf, das Bereitstellen vielfältiger Materialien oder das Beherrschen einer “extremen Reinstraumtechnik”, wie es im Begleittext des musealen DDR-Megabit-Chips heißt - die Entwicklung und Herstellung des U 61000 war eine echte Herausforderung für Verfahrensentwickler und Konstrukteure mikrolithografischer Geräte wie Elektronenstrahlschreiber oder Wafer-Stepper.

Das heutige Sachsen und insbesondere die Stadt Dresden profitieren von den wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Leistungen, die Forscher und Entwickler mit dem ausdrücklichen Segen der DDR Staats- und Parteiführung erbringen durften, vom Selbstverständnis, auch unter schwierigen Bedingungen nach kreativen Lösungen zu suchen, inzwischen mehr denn je. Die Hochtechnologen der Welt haben den ehemaligen “Leuchtturm der DDR-Mikroelektronik” für sich neu entdeckt. Wer heute in Sachsen von AMD redet, meint keineswegs mehr die “Arbeitsstelle für Molekular-Elektronik Dresden”, sondern die amerikanische Prozessorenschmiede AMD (Advanced Micro Devices). Seit sich das Unternehmen an der Elbe niederließ - auch im Wissen um das große Fachkräftepotenzial, wie Jens Drews, Unternehmenssprecher der AMD Saxony Manufacturing GmbH, konstatierte -, sieht so mancher sächsische Politiker eine neue Ära für Dresden voraus. Nur dass anders als zu Zeiten von August dem Starken der Glanz der Elbemetropole nicht mehr von gewaltigen Palästen, sondern von fingernagelgroßen Silizium-Chips ausgeht. Vom “Mikroelektronik-Standort Nummer eins in Europa” schwärmt gar der sächsische Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit Kajo Schommer. Die Region sei auf dem Weg, zum “Mekka der Chip-Produktion” zu werden, heißt es. Dabei wäre es mit dem “Saxony Valley” beinahe nichts geworden. Bei der Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft hatten die Manager der bundeseigenen Treuhandanstalt nämlich keineswegs vor, Dresden als Standort der Mikroelektronik aufrechtzuerhalten. Doch die sächsische Landesregierung intervenierte. Zu guter Letzt mit Erfolg: In nur fünf Jahren siedelten sich im Dreieck Dresden, Leipzig und Chemnitz führende Unternehmen der Hochtechnologie an.

AMD entschied sich 1995, an der Elbe das erste Werk Europas zu errichten, das bei der Produktion von Prozessoren die noch junge Kupfertechnologie verwendet. Nach nur dreijähriger Bauzeit nahm die Fab30 ihren Betrieb auf. Im vergangenen Jahr wurden im Durchschnitt täglich 1,5 Mitarbeiter neu eingestellt. 1400 Arbeitsplätze sind bislang entstanden. Zwei Drittel der Mitarbeiter kommen dabei unmittelbar aus der Region, weitere 13 Prozent aus anderen neuen Bundesländern. 27 Prozent von ihnen waren vorher arbeitslos. Knapp 2000 Beschäftigte sollen hier Athlon-Prozessoren fertigen. In das Dresdner Halbleiterwerk von AMD werden insgesamt 3,2 Mrd. Mark investiert. Das ist eine der größten ausländischen Investitionen in den neuen Bundesländern überhaupt. Wenn die Endausbaustufe erreicht ist, sollen wöchentlich 5000 Siliziumscheiben, die so genannten Wafer, mit jeweils 150 bis 300 Prozessoren die Dresdener Chipfabrik verlassen. Ein Gigahertz Taktfrequenz sind gegenwärtig angesagt. Doch AMD will in Sachsen noch höher hinaus. “2001 soll für uns das Jahr der Volumenproduktion, der Geschwindigkeit und der Innovation werden”, erklärte AMD Saxony Geschäftsführer Hans Deppe. Im Mittelpunkt des Dresdener Fertigungsgeschehens steht 2001 eine neue Version des Athlon-Prozessors, der noch unter dem Codenamen “Palomino” geführt wird. Er soll mit geplanten Geschwindigkeiten von 1,5 GHz ab dem zweiten Quartal zum Einsatz kommen. Doch nicht nur AMD greift, wenn es um Sachsen geht, zu Erklärungen mit Superlativen. Der aus dem Siemens-Konzern hervorgegangene Halbleiterhersteller Infineon errichtet auf einem einstigen Armeegelände die wohl leistungsfähigste Chip-Fabrik Europas. In den Dresdner Produktionsstätten werden derzeit etwa zehntausend 200 Millimeter große Siliziumscheiben hergestellt. Wenn in diesem Jahr das neue Werk fertiggestellt ist, will Infineon auch mit der 300-Millimeter-Wafer-Fertigungstechnologie zur Massenproduktion übergehen. Mehr als 170 Stellen hat Infineon derzeit ausgeschrieben. Die Angebote reichen vom Produktingenieur über den Experten für Oxid-Ätzprozesse bis zum Fachberater für Quality-Management.