Stress

"Der Mensch braucht Pausen"

11.10.2007
Von 
Michael Schweizer ist freier Autor in München.
Die Diplompsychologin Angelika Wagner-Link betreibt in München das Institut für Mensch und Management. Neben anderen Trainings und Seminaren veranstaltet sie dort auch Kurse zum Zeit-Management.

CW: Wie hat sich der berufliche Zeitdruck in den letzten Jahren entwickelt?

WAGNER-LINK: Er hat stark zugenommen. Mitarbeiter bekommen unrealistische Vorgaben, vieles wird nicht mehr langfristig geplant. Die Informationsflut wächst, auch durch E-Mails, immer weiter. Es herrscht ein sinnloser Aktivismus. Arbeitgeber spielen bewusst mit dem Risiko, dass die Leute zusammenbrechen. Die Kosten trägt dann die Solidargemeinschaft.

CW: Was ist besonders belastend?

WAGNER-LINK: Dass keine Pausen mehr vorgesehen sind. So ist der Mensch nicht konstruiert. Zu den Folgen der Hetzerei zählen Stress, Burnout, Konflikte, Gereiztheit und Aggressivität.

CW: Wie wirkt sich das auf die Arbeitsqualität aus?

WAGNER-LINK: Je weniger wir planen können, desto mehr Fehler machen wir. Wir sind eine planlose Gesellschaft geworden.

CW: Welche Berufe sind stark betroffen?

WAGNER-LINK: Schlimm ist es in der IT, bei Pflegern, Ärzten und Sicherheitsleuten. Aber auch Buchhalter und Steuerberater stehen schwer unter Druck.

CW: Welche speziellen Probleme haben IT-Experten?

WAGNER-LINK: Sie sind mit gestressten, fordernden Kunden konfrontiert. Viele Gespräche beginnen mit "Mein System ist abgestürzt". Die Problemlösung soll dann ganz schnell gehen. Die Kommunikation ist oft angespannt bis aggressiv. Durch die technische Unwissenheit des Users fehlen wesentliche Sachinformationen.

CW: Hat sich auch etwas verbessert?

WAGNER-LINK: Richtig eingesetzt, sind Computer, Telefon und E-Mail Zeitsparer und ermöglichen Arbeitsmodelle mit mehr Freiheitsgraden. Das hilft zum Beispiel Frauen, die zu Hause arbeiten wollen.

CW: Was kann der Einzelne tun, um sich nicht aufzureiben?

WAGNER-LINK: Der Mensch braucht immer wieder Langsamkeit, jeden Tag wenigstens eine Viertel- oder halbe Stunde. Die kann man sich auch in der U-Bahn nehmen. Zeitpuffer, in denen man auf Unvorhergesehenes reagieren oder einfach gar nichts tun kann, sind Gold wert. Auch Bewegung tut gut: Es hilft schon ein bisschen, die Treppe hochzulaufen, statt mit dem Aufzug zu fahren. Auf längere Sicht muss man zwischendurch aus dem Hamsterrad heraus, um andere Perspektiven zu gewinnen und unter Umständen neue Prioritäten zu setzen. Besonders gut geht das am Wochenende oder im Urlaub.

CW: Was lernen die Teilnehmer in Ihren Seminaren?

WAGNER-LINK: Zum Beispiel, Aktivitäten zu bündeln. Wer bei seiner Arbeit in mehrere Zimmer kommt, kann versuchen, in jedem alles, was er dort zu tun hat, gleich auf einmal zu erledigen. Auf einer anderen Ebene liegen Beobachtung und Selbstreflexion. Man kann üben, Abstand zu gewinnen und sich zu fragen: Was hat mir das heute gebracht?