Zwölf entscheidende Fragen zu BPM

21.07.2008
Business-Process-Management gab es lange, bevor IT-Hersteller darin einen Markt entdeckten. Doch was verbirgt sich wirklich hinter dem Konzept, und wie können Unternehmen davon profitieren?

Was genau steckt hinter dem Begriff BPM?

Business-Process-Management ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Methoden, die der strategischen Ausrichtung sowie der Entwicklung und Verbesserung von Geschäftsprozessen dienen. Das gilt unabhängig von den verwendeten Technologien - BPM muss also nicht zwangsläufig etwas mit IT zu tun haben.

Was ist ein Geschäftsprozess?

Ein Geschäftsprozess ist zunächst eine zeitlich-logische Abfolge von Aktivitäten. Er erbringt eine definierte Leistung gegenüber einem Kunden, benutzt Input- und erzeugt Output-Parameter und ist von spezifischer Bedeutung für das Unternehmen. Die Begriffe Geschäftsprozess und Prozess werden in der Praxis synonym verwendet.

Was bringt BPM?

Die Wirkung von BPM ist umso stärker, je komplexer eine Organisation ist und je mehr informationszentrierte, sich wiederholende betriebliche Abläufe darin existieren. Dort lässt sich mit BPM die Transparenz, Effizienz und Agilität der Organisation signifikant steigern. Große Banken und Versicherer gehören zu den klassischen BPM-Anwendern, ein Kreativbüro mit drei Mitarbeitern eher nicht. Dazwischen befindet sich der industrielle Mittelstand, der BPM bislang weitgehend ignoriert hat, aber sehr davon profitieren könnte.

Wie lässt sich der Erfolg von BPM-Initiativen messen?

Das hängt von den Zielen der Prozessverbesserung ab, die sich im Idealfall von der strategischen Ausrichtung ableiten. Die häufigste Messgröße ist die Durchlaufzeit, also die Differenz zwischen Start und Ende eines Prozesses. Sie hängt meistens direkt mit der Kundenzufriedenheit zusammen und lässt partielle Rückschlüsse auf die Prozesskosten zu. Durchlaufzeiten können wiederum heruntergebrochen werden, beispielsweise auf Bearbeitungs-, Liege- oder Transportzeiten, um weitere Erkenntnisse über die Prozessverbesserung zu gewinnen. Je nach Unternehmen existieren aber viele andere spezifische Kennzahlen, die gemessen werden, um die Verbesserung zu quantifizieren. Einzuräumen ist auch, dass sich eine Prozessverbesserung häufig überhaupt nicht konkret messen lässt, sondern eher als "gefühlte Verbesserung" bei Kunden, Mitarbeitern und Managern festgestellt wird.

Wie verbreitet ist BPM in Deutschland?

Das organisatorische Prozess-Management ist in Deutschland traditionell stärker etabliert als in anderen Ländern, wobei auch dies von Branche zu Branche variiert. Die IT-Perspektive von BPM, also das Human-Workflow-Management und SOA-Ansätze, steht hierzulande ähnlich wie in Amerika oder Großbritannien noch am Anfang. Deutsche Unternehmen könnten jetzt einen Vorsprung erzielen, wenn sie ihre Stärke im organisatorischen Prozess-Management mit den neuen Methoden und Techniken der IT-Perspektive kombinieren. Leider ist die "Orga-Fraktion" in vielen Unternehmen häufig eher IT-avers. Die IT hingegen nimmt die neuen Möglichkeiten begeistert auf und prescht voran, ohne die Organisation einzubeziehen und von ihren Erfahrungen zu lernen.

Welche Bedeutung hat BPM für mittelständische Unternehmen?

Bislang wird BPM im Mittelstand sehr viel weniger praktiziert als in Großunternehmen. Das liegt an den hohen Initialaufwänden, deren Nutzen sich nicht kurzfristig einstellen kann. Der mittelständische Unternehmer kratzt sich eben, wo es gerade juckt. Neue Angebote im Bereich Software as a Service (SaaS) können dem Mittelstand helfen, seine Geschäftsprozesse nach genau diesem Prinzip stärker zu automatisieren, denn das ist das eigentliche Potenzial von BPM. Hier geht es längst nicht mehr nur um Effizienz durch weniger manuelle Aufwände, sondern zunehmend um Transparenz im Geschäftsbetrieb und die Beweglichkeit des Unternehmens. Wir nennen eine solche Lösung "Process as a Service".

Welche organisatorischen Voraussetzungen sind für BPM zu schaffen?

Wer sich in aller Breite prozessorientiert entwickeln möchte, muss die entsprechenden Kompetenzträger einkaufen oder ausbilden und ihnen Verantwortung übertragen. Momentan schaffen viele Mittelständler die Position des "Organisators" und unterstellen ihm die klassische DV. Ein interessanter Trend, galt der Organisator doch lange als vom Aussterben bedroht. Er scheint im Mittelstand auch eher die Rolle eines CIO einzunehmen, nur dass der Titel eben deutlich bescheidener ist.

Wer hingegen schrittweise vorgehen möchte in der Form, wie es in der vorangegangenen Frage beschrieben ist, muss nicht unbedingt zuerst organisatorische Veränderungen einleiten. Diese können sich eher von selbst entwickeln, nachdem mit neuen Prozessen Fakten geschaffen wurden.

Welche Software-Tools brauchen Unternehmen für BPM?

Prozesse lassen sich für einen ersten Überblick mit Visio und ähnlichen Tools gut visualisieren. Eine echte Modellierung erfordert hingegen ein entsprechendes Werkzeug, das die Standard-Notation Business Process Modeling Notation (BPMN) unterstützen sollte. Solche Tools ermöglichen mitunter auch die kennzahlenbasierende Prozessanalyse und -simulation. Ersteres kann sehr nützlich sein. Eine Simulation ist hingegen nach unserer Erfahrung kaum praxisrelevant.

Wer Prozesse automatisieren will, braucht eine Process Engine, die Human-Workflow-Management und gegebenenfalls auch die prozessorientierte Applikationsintegration unterstützt. Die Alternative hierzu wäre das Hosting-Prinzip mit Process as a Service. Dies kann für den Einstieg sinnvoll sein, da für die meisten Process Engines fünf- bis sechsstellige Lizenzgebühren zu zahlen sind.

Woraus bestehen typische Business-Process-Management-Systeme?

Modellierung, Analyse, Simulation, Human Workflow und Integration (EAI, SOA) sind die zentralen Funktionsbereiche. Sie werden von BPM-Softwarelösungen ganz oder teilweise abgedeckt, und zwar sowohl im kommerziellen als auch im Open-Source-Bereich.

Welche verlässlichen Standards gibt es für BPMS?

Der weltweite Standard für die Prozessmodellierung, egal ob technisch oder fachlich, ist die BPMN. Sie ist inzwischen weithin akzeptiert. Im Bereich der Prozessautomatisierung dominiert die Business Process Execution Language (BPEL), die aber nur begrenzt praxistauglich ist und daher von fast allen BPMS-Anbietern proprietär ergänzt wird. Das gilt noch stärker für die XML Process Definition Language (XPDL), die deshalb zunehmend als Austauschmodell für BPMN-Diagramme verstanden wird. Im Bereich der Integration ist es selbstverständlich, dass die ESB-Komponente (ESB = Enterprise Service Bus) der BPM-Lösung mit Web-Services umgehen kann.

Für den Mittelstand sollte aber auch Edifact nicht vergessen werden - ein Austauschformat, das unter IT-Professionals als völlig veraltet gilt, in der Praxis aber sehr verbreitet ist. Wer also unternehmensübergreifende Prozesse automatisiert, muss sowohl Edifact als auch Web-Services bedienen können, und sei es, um eine Migration in Richtung SOA zu realisieren. In diesem Szenario kann ein BPMS natürlich auch für das Wrapping (Kapselung) von Altanwendungen (Legacy) dienen.

Wie unterscheidet sich BPM von Workflow-Management?

Workflow-Management ist als Begriff im Grunde überholt. Heutzutage sollte man von Human-Workflow-Management sprechen, wenn die Automatisierung von Prozessen, an denen menschliche Akteure beteiligt sind, gemeint ist. Genau genommen wird also die Steuerung des Prozesses automatisiert. Davon abweichend lässt sich auch von "Service-Orchestration-Workflows" sprechen, um die Integration von IT-Systemen zu berücksichtigen. BPM hingegen ist die große Klammer. Darunter lässt sich neben den genannten Themen auch das organisatorische Prozess-Management subsumieren.

Wie passen BPM und Service-orientierte Architekturen (SOA) zusammen?

Es ist Unfug zu behaupten, Service-orientierte Architekturen ließen sich ohne BPM nicht effektiv aufbauen oder nutzen. Sowohl SOA als auch BPM sind Paradigmen oder Disziplinen, die isoliert voneinander großen Nutzen stiften können. Die Kombination der beiden kann aber tatsächlich essenzielle Vorteile bringen. Die Services in einer SOA können mit Hilfe von Prozessmodellen präziser identifiziert und abgegrenzt sowie im Rahmen der Prozessautomatisierung flexibler und wirksamer orchestriert werden. Das sind die beiden Basis-Anwendungsfälle, aus denen sich alle möglichen Überlegungen im BPM-SOA-Themenfeld ableiten lassen.

SOA meets BPM

Mehr zum Thema Serviceorientierte Architektur und Geschäftsprozess-Management im CW-Experten-Blog "SOA meets BPM" unter www.computerwoche.de/soa-meets-bpm