Zwischen Profilierung und Kompetenz (Teil 4 und Schluß):IBM verstärkt die Kritikerfront gegen die Bundespost

04.04.1986

Zusammen mit den großen deutschen Wirtschaftsverbänden zählt der Marktführer zu den vehementesten Gegnern des Fernmeldemonopols. Möglichst noch bis 1988, wenn der Startschuß für das ISDN fällt, soll die Bundespost ihrer umfassenden Zulassungskompetenz für Endgeräte und Mehnwertdienste weitgehend entkleidet werden. Kraft Marktmacht gäbe es vor allem einen Gewinner: IBM.

Anfang August letzten Jahres wurden die Mitglieder der "Regierungskommission Fernmeldewesen", deren Aufgabe es unter anderem ist über neue Strukturen im Fernmeldebereich nachzudenken, mit umfassendem Lesestoff aus Stuttgart versorgt.

Titel des Papiers, das neben einer "Eingabe der IBM Deutschland bei der Regierungskommission Fernmeldewesen" auch eine Stellungnahme zum Aktionsprogramm Telekommunikation der EG eine "Denkschrift" zum Regierungsbericht Informationstechnik sowie Begriffsdefinitionen beinhaltete: "Die Entwicklung der Telekommunikation in Deutschland". Auf 119 Seiten stellt darin die deutsche Tochter des US-Multis "die Sicht der IBM und ihrer Kunden" dar, gestützt auf 25 Feststellungen und sieben Forderungen (siehe Kasten).

Im Kern nichts Neues enthaltend, stellte das IBM-Papier doch ein Novum dar: Ausgerechnet der Weltmarktführer und von vielen als privater Quasimonopolist mißtrauisch beäugte DV-Riese fühlte sich dazu berufen, Vorschläge für die Liberalisierung des Fernmeldewesens und die Machtbegrenzung des öffentlichen Monopolisten Bundespost zu machen. Mit seiner Stellungnahme bündelt Big Blue freilich eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit Postminister Schwarz-Schilling. Die gegenüber Liberalisierungsforderungen als eine der hartleibigsten Fernmeldeverwaltungen der Welt geltende Behörde steht seit Anfang der 80er Jahre zunehmend im Kreuzfeuer der Kritik.

Diese Kritik wird vornehmlich aus zwei, wenn auch sehr unterschiedlichen Quellen gespeist. Den Verfechtern des Wettbewerbsprinzips ist das Fernmeldemonopol allein schon aus ordnungspolitischen Gründen ein Dorn im Auge; sie wachen daher mit Argusaugen darüber, daß die Post ihre Kompetenzen nicht noch weiter ausdehnt.

So plädierte die Monopolkommission bereits 1981 in einem Sondergutachten für eine sehr weit gehende Liberalisierung bei Netzen, Endgeräten und Dienstleistungen. Das Bundeswirtschaftsministerium nahm des öfteren Anstoß, so zuletzt bei der Einführung des schnurlosen Telefons im März 1985. Die Wettbewerbshüter bei der EG-Kommission störten sich am Modem-Monopol der Bundespost. Ende November letzten Jahres schließlich kritisierte auch der Sachverständigenrat die Regulierungen im Fernmeldebereich.

Großkunden beklagen Verhalten der Bundespost

Die zweite Ecke, aus der der Monopolist arge Schelte bezieht, sind die großen Wirtschaftsverbände, allen voran der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT). Ihre Klientel, die professionellen Anwender, moniert als Großkunde der Bundespost immer wieder deren herrschaftlich-herablassende Attitüde bei der Bereitstellung und Tarifierung von Datenkommunikationsnetzen sowie dazugehörigem Equipment.

Die Liste der Kritikpunkte ist denn auch entsprechend lang: Sie reicht von zu geringen Leitungskapazitäten und mangelnder Ausfallsicherheit über zu hohe Tarife und falsche Kostenrechnungen bis hin zu dem Vorwurf, bei der Gestaltung des Zulassungs- und Benutzungsrechts übergehe die Post geflissentlich die eigentlichen Bedürfnisse ihrer Kunden.

Zudem behindere sie, wie etwa mit dem Zusammenschaltverbot bei festgeschalteten Leitungen, die Einführung neuer attraktiver Dienstleistungen durch private Anbieter oder sie blockiere deren Aktivitäten, indem sie selber mit einem eigenen Dienstangebot wie zum Beispiel Telebox auf den Markt komme.

Im Hinblick auf den für 1988 vorgesehenen ISDN-Start fürchten die User nun noch mehr Unbill, sprich Restriktionen, vom Supermotopolisten: Er könnte auf dem Verordnungsweg verfügen, daß alle laufenden Anwendungen umgehend ISDN-tauglich umgerüstet werden müssen, was wiederum hohe Investitionen erforderlich macht. Zugleich bezweifeln sie aber auch - die Unzulänglichkeiten der heutigen Technik und die Schwierigkeiten der Bundespost mit ihr tagtäglich vor Augen -, daß das Haus Schwarz-Schilling mit der ungleich komplexeren ISDN-Technik besser zu Rande kommen wird.

Was liegt da näher, als den ISDN-Anfängen zu wehren und schon im Vorfeld das Fernmeldemonopol samt Hüter auf ein Minimum an Regulierungsmöglichkeiten zu beschränken, und das auch noch mit einem so potenten Verbündeten wie der IBM, dem Hoflieferanten der meisten Großanwender?

Nach einem Modell für die zukünftige Gestaltung des Fernmeldewesens in der Bundesrepublik wie auch sonst in Europa muß nach Meinung vieler Anwender ohnehin nicht lange gesucht werden: Das Beispiel Datenverarbeitung und -übertragung zeigt, wie sich ein Markt durch das Spiel der Kräfte nahezu von selber zu Nutz und Frommen aller Beteiligten reguliert.

Den größten Nutzen aus den dort herrschenden Gegebenheiten zog freilich Big Blue. Dank seiner Marktdominanz schlüpfte der US-Multi praktisch in die Rolle einer Normierungsinstanz und schuf mit dem "Quasistandard" SNA für die Datenkommunikation Fakten, an denen sich die gesamte übrige Branche, aber auch die IBM-Kunden orientieren müssen. International verbindliche Standards gibt es nur bis zu den Transportfunktionen, alles weitere sind kundenspezifische Einzellösungen. Im Unterschied zur "Jeder-mit-jedem-Kommunikation", wie sie in der Nachrichtentechnik durch die Standardisierung bis in die Endgerätefunktionen gang und gäbe ist, erfolgt die Kompatibilität der DV-Anwendungen entweder auf Herstellerebene oder über umständliche Gateways.

Eine ähnlich günstige Ausgangsposition strebt IBM natürlich auch für den Telekommunikationsbereich an, wie die der Regierungskommission Fernmeldewesen unterbreiteten Vorschläge nachdrücklich dokumentieren: Mit Erweiterten Diensten und Endgeräten, die der Regulierungs- und Zulassungsbefugnis der Bundespost entzogen und statt dessen dem Wettbewerb unterworfen sind, läßt sich die DV-Welt ohne jedwede Änderung auf den Telecom-Bereich übertragen .

Das Wettbewerbsargument ist es auch, mit dem Big Blue möglichen Bedenken gegen sein Modell den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht: "Gegen den Wettbewerb bei Erweiterten Diensten", so heißt es unter anderem in dem 119-Seiten-Papier für die Kommission, "wird oft der Mangel an Kompatibilität angeführt. Das ist sicher richtig, da technologischer Fortschritt und Kundenbedarf zu rascher Einführung neuer Dienste führen. Aber auch der Wettbewerb hat regulierende Kraft. Industriestandards entwickelten sich und wurden auf freiwilliger Basis immer dann akzeptiert, wenn sie sinnvoll und notwendig waren. Vielleicht entstehen auch zwei oder drei verschiedene Standards."

Postangebot entbündeln

Auch über die künftige Rolle der Bundespost als Anbieter auf dem Endgerätesektor hat sich IBM Gedanken gemacht: Um als "fairer Wettbewerber" den Markt nicht zu beeinträchtigen, müsse sie ihr Endgeräteangebot entbündeln: "Einen Gesamtpreis für Anschluß, Endgeräte und Wartung", so Big Blue kategorisch, "darf es nicht geben."

Der immer wiederkehrende Verweis auf die heilenden Kräfte des Wettbewerbs als Allheilmittel gegen das staatliche Fernmeldemonopol der Post überdeckt freilich eine zentrale Frage: Ob es auch tatsächlich im Telecom-Bereich zu dem immer wieder von den Liberalisierungsbefürwortern gepriesenen paradiesischen "freien Spiel der Kräfte" kommt, oder ob sich nicht doch derjenige mit dem größten Marktpotential über kurz oder lang wieder an die Spitze der Bewegung setzt und den Takt schlägt.

Daß es IBM mit der reinen Lehre des Wettbewerbs nicht immer ganz genau nimmt, zeigen zwei Beispiele.

So hat Big Blue zum Beispiel auf dem Mainframe-Sektor in früheren Zeiten durch das "Bundling" von Hardware, Software und Wartung dafür gesorgt, daß ein Preisvergleich mit entsprechenden Einzelprodukten der Konkurrenz unmöglich war. Ähnliches ließe sich ohne Mühen im Telecom-Bereich wiederholen: mit der Bündelung von Endeinrichtungen beim Kunden, entsprechender Kommunikationssoftware und einer Value-added-Dienstleistung zu einem Gesamtsystempreis, der je nach Kunde durchaus unterschiedlich ist, auf keinen Fall aber transparent.

Nicht nur ein Gedankenspiel, sondern handfeste Realität ist dagegen der Versuch der IBM, mit erheblichen Subventionen einen mißliebigen Konkurrenten in arge Bedrängnis zu bringen: 1984 gab der Marktführer bekannt, er werde allen interessierten Universitäten und Forschungseinrichtungen in ganz Europa ein Kommunikationsnetz, das European Academic and Research Network (Earn), für die Dauer von vier Jahren zur Verfügung stellen und die gesamten Leitungskosten sowie für die ersten Nutzer auch die Kommunikationskosten übernehmen. Einzige Voraussetzung für Anschlußwillige: Sie müssen über IBM-beziehungsweise über kompatibles Equipment verfügen, denn die Kommunikation verläuft nach den Protokollverfahren des Marktführers.

Das parallel dazu aufgebaute nationale "Deutsche Forschungsnetz" (DFN), für den gleichen Nutzerkreis konzipiert, im Unterschied zu Earn jedoch auf herstelIerneutralen Kommunikationsprotokollen basierend, hatte diese Unterstützung nicht und stand so von Anfang an auf schwachen Beinen. Zur diesjährigen CeBIT-Messe in Hannover zog das Bundesforschungsministerium, unter dessen Ägide das DFN-Projekt läuft, die Konsequenz aus der Konkurrenz: Die Leitungs- und Kommunikationskosten der DFN-Anwender werden nun bis 1988 aus dem Fördertopf des Ministeriums gezahlt. Eine Modellvariante für den "Wettbewerb bei Erweiterten Diensten", wie er IBM in Zukunft vorschwebt?

Das ungeliebte Thema ISDN

Besondere Beachtung verdient auch die Haltung, die die Armonker gegenüber internationalen Standardisierungsgremien wie etwa der ISO oder der CCITT und deren Bemühungen um herstellerübergreifende Kommunikationsnormen einnehmen.

Beim Stichwort ISDN hält sich IBM im Vergleich zu anderen Themen auffallend mit öffentlichen Äußerungen zurück. Immerhin enthielt die der Regierungskommission Fernmeldewesen vorgelegte Lektüre wenigstens einige Hinweise auf die Position von Big Blue. So heißt es unter anderem, die Planung für das zukünftige ISDN müsse sicherstellen, "daß ein allgemein verwendbarer Grund-Übertragungsdienst mit einer Standardschnittstelle zur Verfügung gestellt wird". Die Post dürfe von den Benutzern nicht verlangen, "ihre Anwendungen nach speziellen ISDN-Diensten auszurichten und eventuell sogar zu separieren. Denn diese speziellen Dienste müßten ja letztlich mit Hilfe von Umsetzeinrichtungen im Netz oder beim Benutzer ... wieder aneinander angepaßt und vereinigt werden ..."

Darüber hinaus empfiehlt IBM, die Anwender frühzeitig in die ISDN-Planung und -Standardisierung einzubeziehen, sonst entstünde die Gefahr, daß ISDN am tatsächlichen Bedarf der Benutzer vorbei entwickelt wird".

Auch beim Thema OSI übte der Marktführer sich geraume Zeit in vornehmer Zurückhaltung. Als das "Open Systems Interconnection" - Modell der ISO im Laufe des vergangenen Jahres in Europa, zunächst in den Reihen der DV-Hersteller, dann auch bei Kunden, immer mehr Anklang und Interesse fand, änderte IBM ihre Haltung allmählich, wenn auch nur in Minimalschritten.

Wo immer die Repräsentanten des Multis in der Öffentlichkeit auftraten, betonten sie nun die Unterstützung der OSI-Normen - und vergaßen im nächsten Satz nicht, auf die damit verbundenen Imponderabilien hinzuweisen und das zuvor bekundete "Ja" mit einem "Aber" zu verknüpfen. Auf dem Elektronikforum des englischen Wirtschaftsblattes "Financial Times" im Juni 1985 in London betonte beispielsweise IBMs Europa-Chef Kaspar V. Cassani, die Anforderungen der Anwender müßten so berücksichtigt werden, daß OSI beziehungsweise internationale Normen "preislich tragbar werden und für alle offenbleiben".

OSI und SNA "kein Gegensatz"

Mitte Juli 1985 erklärte Professor Karl Ganzhorn, einer der Geschäftsführer der IBM Deutschland GmbH bei der Eröffnung des "Europäischen Netzwerk Centers" (ENC) in Heidelberg, man entwickele Produkte für die bereits genormten OSI-Schichten 4 und 5 und werde "auch weiter die OSI-Standardisierungen für die Schichten unterstützen und - sobald hierfür Normen vorliegen - entsprechende Produkte unter Berücksichtigung unserer Geschäftsinteressen entwickeln".

Im übrigen, so ließ Ganzhorn wissen, gebe es den oft konstruierten Gegensatz zwischen OSI und SNA nicht. SNA sei wie Herstellernetze allgemein auf hohe Kommunikationsleistung hin gezüchtet, während OSI verstanden werden müsse "als ein Kommunikationsrahmenwerk, mit dessen Hilfe die speziellen Netze für verschiedene Zwecke auf einen gemeinsamen Nenner der Universalität gebracht werden können".

Im Oktober letzten Jahres konnte Europa-Boß Cassani vor der Presse im französischen La Gaude, wo IBM ein Telecom-Entwicklungslabor betreibt, auf die einen Monat zuvor angekündigten OSI-Produkte für die Ebenen 4 und 5 verweisen und so das Engagement des Marktführers auf diesem Feld hervorheben. Neuerlich aber hieß es auch, daß bis zur vollständigen Implementierung von OSI auf allen Ebenen und im gesamten Produktspektrum noch viel an Hard- und Software zu entwickeln sei. Cassani wörtlich: "Ich hoffe, jedermann ist sich darüber im klaren, daß es während dieser Übergangsphase gegen die Interessen der Anwender wäre, wenn die OSI-Standards unumgängliche Voraussetzung, etwa bei Aufträgen der öffentlichen Hand, würden."

Erstmals bei Multivendor-Demonstrationen dabei

Auf der diesjährigen CeBIT-Messe in Hannover präsentierte sich IBM, wenn auch über den Umweg der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) und nur im Rahmen einer Prototyp-Entwicklung, erstmals in einer OSI-Multivendor-Konfiguration. Das staunende Publikum konnte das Zusammenspiel von Siemens-, ICL-, Bull-, Nixdorf- und IBM-Produkten bei einer Electronic-Mail-Anwendung bewundern, die noch dazu den von der CCITT international verabschiedeten X.400-Empfehlungen entsprach. Ein - wenn auch kleiner - Hinweis darauf, daß IBM auf dem Kommunikationssektor zumindest in Teilbereichen bereit ist, internationale Normen auch bis in die Anwendungsebene hinein zu akzeptieren - und diese nicht von vornherein in Bausch und Bogen als dem Wettbewerb abträglich ablehnt.

Forderungen der IBM

- Die Volkswirtschaft benötigt ß vielfältige sogenannte Erweiterte Dienste, die über die reinen Nachrichten-Transportdienste hinausgehen, diese aber mitbenutzen.

- Erweiterte Dienste sollen im Wettbewerb angeboten werden, auch von der Post.

- Anbieter erweiterter Dienste sollen die Grunddienste der Post auswählen können, und zwar zu kostenorientierten Tarifen

- Einrichtungen auf dem Kundengrundstück (unter anderem Endgeräte) sollen im Wettbewerb angeboten werden, auch von der Post.

- Dazu muß eine genaue Abgrenzung von Monopol (Grunddienste) und Wettbewerb (Erweiterte Dienste, Einrichtungen auf dem Kundengrundstück) geschaffen werden.

- Für die Post als Mitbewerber und Monopolbetrieb und Zulassungsbehörde müssen angemessene Wettbewerbsregeln entwickelt werden.