Einsatz von AV-Medien im Bildungswesen:

Zwischen Begeisterung und Verdammnis

27.02.1978

Professor Dr. Hans Maier Kultusminister des Landes Bayern

Nimmt man die in der Presse veröffentlichte Meinung als Spiegel der Öffentlichen Meinung zum Einsatz von AV-Medien im Bildungswesen, so zeigte sich teils enthusiastische Begeisterung, teils totale Verdammnis.

Hinter dem Widerstreit, der in solchen Schlagzeilen zum Ausdruck kommt, verbirgt sich die noch immer bestehende Unsicherheit in der Bewertung der Rolle, die audiovisuelle Medien im Bildungsgeschehen spielen können und spielen.

Das Warten auf eine wissenschaftliche Theorie der Mediendidaktik, aus der man alles für die Praxis Wissenswerte einfach hätte ableiten können, würde sich nicht lohnen. Es gibt diese Theorie bekanntlich auch heute noch nicht. Es wäre ja auch unrealistisch, wollte man von einer Wissenschaftsdisziplin, die genötigt ist, empirisch vorzugehen, erwarten, daß sie die Theorie vor der Empirie liefert.

Aus der Sicht des Bildungspolitikers, mehr noch aus der des Leiters einer Schulverwaltung, die für ihre Planungen gerne für längere Zeit von festen Grunddaten ausgehen möchte, klang die auf der Visodata 75 getroffene Feststellung, daß die technische Entwicklung neuer audiovisueller Medien zu einem Abschluß gekommen ist, beruhigend, Diese Beruhigung tat auch not nach einer Epoche, in der im Medienbereich eine Neuerung die andere jagte und in der jede Bildungsverwaltung gewärtigen mußte, daß eine den Schulen und ihren Sachbedarfsträgern heute zur Anschaffung und Anwendung empfohlene audiovisuelle Technik morgen schon als überholt abzuschreiben sein könnte Lind mit ihr der gesamte finanzielle Aufwand.

Zwar wird gerade die Industrie überraschende technische Neuentwicklungen nicht völlig ausschließen wollen, aber nach menschlichem Ermessen dürfte sich deren Zahl und Gewicht schon wegen des enorm gestiegenen personellen und finanziellen Entwicklungsaufwands in engen Grenzen halten. Damit aber wären sie -anders als in den vergangenen 15 Jahren - für die Bildungsplanung kalkulierbar.

So ein Phänomen wird gerade durch die neueste Erhebung über audiovisuelle Geräte schlaglichtartig beleuchtet: Von 1975 bis 1977 stieg der Bestand an Overheadprojektoren an den rund 5200 bayerischen Schulen - wenn man die jeweils an zirka 80 Prozent dieser Schulen erhobenen Daten auf die Gesamtzahl linear hochrechnet - von zirka 22 700 auf rund 39500: Ein Zuwachs von 74 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Hier hat sich in kürzester Zeit ein Gerät durchgesetzt, das nicht nur vielseitig verwendbar ist und sich leicht in jeden Lehrerunterricht einfügen läßt, sondern für das auch - und dies scheint mir der springende Punkt zu sein - die Beschaffung der notwendigen Software, der Folien - sei es durch Kauf, Entleihen oder Selbstherstellung - keinerlei Probleme aufwirft. Die Vergleichszahlen für fertig vorrätige Folien einschließlich ganzer Foliensets (ohne die aus Bildstellen entleihbaren Folien) lauten übrigens 177000 beziehungsweise 310 000, zeigen also ebenfalls eine Steigerung um 75 Prozent.

Hier zeigt sich meines Erachtens besonders augenfällig die große Bedeutung ausreichend vorhandener bzw. leicht beschaffbarer Software für die Nutzung des Hardware-Marktangebots. Bekanntlich littt und leidet die pädagogisch und wirtschaftlich effiziente Verwendung des einen oder anderen audiovisuellen Geräts unter dem anfänglichen und zum Teil noch fortdauernden Mangel an geeigneter Software. Ohne geeignete Software keine sinnvolle Nutzung der Hardware!

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang auch der Siegeszug der schuleigenen Tischcomputer für den multifunktionalen Einsatz im Unterricht und in der Schulverwaltung. Auch hier ist die Software, sind die Programme entweder lieferbar oder selbst herstellbar oder liegen gleichsam in der Natur der Sache wie auch beim elektronischen Taschenrechner, der nach entsprechenden Versuchsserien vom kommenden Schuljahr an auch in Bayerns Schulen den Rechenschieber und die Logarithmentafel ablösen soll.

Bei den Problemen, die durch den Rückgang der Schülerzahlen entstehen, sehe ich im verstärkten Einsatz von geeigneten audiovisuellen Medien eine Chance, einen etwa verlorenen Differenzierungsspielraum - wenigstens teilweise - wieder zu gewinnen, Darin steckt eine große Herausforderung an die Medienproduzenten, die schulischen Sachbedarfsträger und Verteiler medialer Informationen: Es geht um nicht weniger als um die Fortführung des Kampfes gegen das Bildungsgefälle von Stadt zu Land mit anderen Mitteln.

Alle noch so gut gemeinten Planungen und Aktivitäten, über den Einsatz von audiovisuellen Medien den Unterricht zu intensivieren, zu rationalisieren und zu aktualisieren und Lernfreude und Lernerfolg der Schüler zu steigern, müßten jedoch zum Scheitern verurteilt sein, wenn die Lehrer nicht mit den Medien und zugehörigen Geräten pädagogisch und technisch richtig umzugehen und die Vorteile ihrer Verwendung im Unterricht nicht einzuschätzen wüßten.

Wie mit Hilfe eines eigenen Medienverbundsystems Lehrer für (..)sachgerechte Verwendung von audiovisuellen Medien im Unterricht gewonnen werden können, demonstriert das auf einem Staatsvertrag zwischen dem Bayerischen Rundfunk und dem Freistaat Bayern beruhende Lehrerkolleg, das - nach 1976 - in diesen Tagen zum zweitenmal eine 13- bzw. 10teilige Sendefolge "AV-Medien im Unterricht" ausstrahlt. An diesem Kolleg, dessen Fernsehsendungen durch schriftliches Begleitmaterial und durch über das ganze Land verstreute Direkt-Unterrichtsveranstaltungen ergänzt werden, beteiligten sich im Frühjahr 1976 - abgesehen von der nicht erfaßten Zahl von Gelegenheits-Zusehern - immerhin knapp tausend für die Direktveranstaltungen eingeschriebene und mit einem Erfolgszertifikat bedachte Lehrer.