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Speichel hin, Ergebnis zurück

Zweifelhafte Aussagekraft: Gentests über das Internet

11.01.2008
Von Handelsblatt 
Das Geschäft mit Gentests boomt: Immer mehr Menschen sind fasziniert von der neuen Möglichkeit, mal eben die Schwächen ihres Erbgutes kennen zu lernen. Findige Geschäftsleute haben diesen Wunsch erkannt und bieten Genanalysen im Internet an. Der medizinische Wert der präventiven Erbgut-Checks ist allerdings höchst umstritten.

BERLIN. Die beunruhigende Nachricht kam per Post: Es bestehe eine erhöhte Gefahr für Autismus, erfuhr der junge Mann. Allerdings war es kein Arzt, der ihn da warnte - sondern ein Internetanbieter für Gentests. Das Procedere ist simpel: Man versendet eine Speichelprobe per Post, die Erbinformation wird entschlüsselt und eine wortreiche Interpretation retourniert. Alles anonym, versteht sich.

Immer mehr Menschen sind verlockt von der neuen Möglichkeit, mal eben die Schwächen ihres Erbgutes kennen zu lernen. Findige Geschäftsleute haben diesen Wunsch erkannt und bieten Genanalysen im Internet an. Seit kurzem ist auch das Web-Unternehmen Google in diesen jungen Markt eingestiegen. Es investiert in das amerikanische Start-up 23andMe. Für 999 Dollar können US-Bürger ihr Erbgut in Teilen dekodieren lassen.

Aus den Daten werden in erster Linie Krankheitsrisiken und Ratschläge für einen gesunden Lebensstil abgeleitet. Daneben will das Unternehmen seine Kunden zu allerlei genetischen Spielereien ermuntern: Wenn alle Familienmitglieder Nutzer von 23andme sind, lassen sich genetische Ahnentafeln erstellen und der Weg der Erbinformationen über die Generationen verfolgen.

Leidet der Onkel an Autismus, sollen Cousins und Cousinen erfahren, wie gefährdet sie sind. "Sogar die Familiengeschichte eines adoptierten Kindes lässt sich rekonstruieren", wirbt Linda Avey, eine der Gründerinnen. Ihre Vision ist klar: Im Webportal soll eine virtuelle Gen-Welt entstehen, in der Geschwister, Freunde, Promis und andere Teilnehmer bestimmte Bausteine ihres Lebens miteinander abgleichen und daraus auch Schlüsse über Gesundheit und Persönlichkeit ziehen.

Gegenwärtig sind erst die Daten von rund 200 Personen im Portal eingestellt - großteils von Firmenmitarbeitern und deren Angehörigen. Entgegen des ersten Eindrucks, den 23andme erweckt, werden keinesfalls alle Gene entschlüsselt, sondern nur wenige punktuelle Informationen. Im Auftrag von 23andme wertet die amerikanische Firma Illumina knapp 600.000 Single Nukleotid Polymorphismen (SNP) aus. Dabei handelt es sich um Abweichungen in einem einzigen Basenpaar im Erbgut, in zwei Buchstaben der DNA. Diese subtilen Variationen können zumindest manche zwischenmenschlichen Unterschiede erklären.

Die Entschlüsselungs-Konkurrenz steht schon parat: So bietet die isländische Firma Decode ihre Erkennungsdienste für einen vergleichbaren Preis an. Das kalifornische Unternehmen Navigenics nimmt 2.500 Dollar - und begutachtet dafür rund eine Million SNPs. Nach Firmenangaben würden damit die Risiken von mehr als zehn Erkrankungen erfasst.

Der Wert der Analysen wird jedoch selbst von den wissenschaftlichen Beratern in Frage gestellt: "Die SNPs haben nur eine sehr begrenzte Aussagekraft", gibt Uta Francke, Professorin für Genetik und Kinderheilkunde an der Stanford Universität, offen zu. Sie ist eine der Beraterinnen von 23andme. "Würde man das gesamte Erbgut mit seinen drei Milliarden Basenpaaren auslesen, bekäme man zwar sehr viele spezifische Informationen. Aber das kostet 350.000 US-Dollar", wendet Francke ein.

Linda Avey räumt noch dazu ein, dass die SNPs bisher kaum sinnvoll interpretiert werden können: "Im Moment weiß man in der Wissenschaftsgemeinde sehr wenig darüber." Im gleichen Atemzug verweist sie aber auf laufende Forschungsarbeiten bei Autismus, Grauem Star, Herz-Kreislauferkrankungen und Parkinson. Die Nutzer der 23andme-Gen-Welt bekämen lebenslang kostenlos neue Informationen über ihre genetische Konstitution, sobald weitere Forschungsergebnisse vorlägen.

Harald Funke, Gendiagnostik-Forscher an der Universität Jena, glaubt trotz allem nicht an eine bevorstehende Revolution durch die SNPs: "Heute gibt es eine nicht mehr überschaubare Zahl von Polymorphismen, für die diese oder jene Assoziation mit Erkrankungsrisiken reklamiert wird", kritisiert er. "Aber nicht mehr als eine Handvoll dieser SNPs haben bislang eine bescheidene Bedeutung in der klinischen Medizin erlangt." Dass SNPs als Krankheitsmarker eine Rolle spielen, hält er abgesehen von Einzelfällen für unwahrscheinlich. Denn: Die punktuellen Variationen alleine lösen nur äußerst selten eine Krankheit aus.

Gegenwärtig liefern SNPs vor allem Aussagen über den Stoffwechsel und den Abbau von Medikamenten im Körper. Ein Polymorphismus im FoxC2-Gen wird zum Beispiel mit Diabetes in Verbindung gebracht. Eine Variation in einem Basenpaar im Gen GSTT1 kann dazu beitragen, dass sich im Darm Zellgifte anreichern. Auf lange Sicht würde dies einen Darmkrebs begünstigen. Ballaststoffe aus Vollkornbrot und Müsli kurbeln aber die Aktivität des Gens GSTT1 im Tierversuch an und bringen so die Müllabfuhr im Darm wieder in Schwung. Damit läuft die SNP-Analyse letztlich auf eine altbekannte Empfehlung hinaus: Eine ballaststoffreiche Ernährung beugt Darmkrebs vor.

Der positive Test bedeutet keinesfalls, dass der Betroffenen unausweichlich an Krebs erkrankt, wohl aber, dass die Wahrscheinlichkeit dafür leicht erhöht ist und der Lebensstil überdacht werden sollte. "Deshalb ist eine vorherige Beratung durch den Facharzt sehr wichtig", fordert der Qualitätsbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik, Clemens Müller-Reible. "Das Recht auf Nichtwissen kann man nur nach entsprechender Aufklärung wahren." Ohne Beratung würden viele Menschen sich unnötig Sorgen machen und als Quasi-Kranke gebrandmarkt. Zu oft kämen schon Patienten nach einem Internet-Gentest in Arztpraxen, irritiert über das Ergebnis und Rat suchend.

Internetanbieter wie 23andme beraten ihre Kunden weder vor noch nach der Analyse. Die Gründerinnen des Unternehmens verweisen auf die Internetseite, wo passende Unterrichtseinheiten bereit stünden. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik hält Internetanbieter von Gentests schlichtweg für unseriös, wenn sie ihre Dienste ohne ärztliche Beratung anbieten. Auch lehnt sie Gentests strikt ab, bei denen Hunderte von Krankheitsanlagen wie bei 23andme präventiv ermittelt werden. Gentests sollten nur bei Symptomen oder bei einem familiären Erkrankungsrisiko stattfinden.