Anforderungen des technischen und kommerziellen OEM-Marktes zeigen unterschiedliche Schwerpunkte:

Zuverlässigkeit und Service gelten für beide

06.03.1981

HAMBURG - Nach dem Unterschied der Anforderungen, die kommerzielle und technische Kunden auf dem OEM-Markt für Minis und MDT-Anlagen stellen, fragen sich viele Hersteller. Einige wollen beide Marktsegmente gleich behandeln - und wissen ihr Vorgehen auch zu begründen. Viele, die sich so verhalten, tun sich im jeweiligen, für sie neuen Markt schwer.

Betrachtet man im Bereich MDT und Minicomputer ein Hardware-System der 70er und 80er Jahre, erscheint ein prinzipieller Schnitt zwischen technischen und kaufmännischen Systemen sinnlos. Die Anforderungen an Prozessorgeschwindigkeit, mikroprogrammierten Instruktionssatz, Bandbreiten der internen und Ein-/Ausgabekanäle, Unterbrechungsfähigkeit und -Struktur, Umfang und Durchsatzraten interner wie externer Speicher, Verfügbarkeit von Peripheriegeräten etc. sind, wo nicht identisch, so doch von primär kommerziellen wie technischen Anlagen gleichermaßen erfüllbar und erfüllt. Natürlich stärkt dieser Umstand die Verlockung vor allem für technisch orientierte Hersteller, sich im kommerziellen Markt zu versuchen - aber auch umgekehrt.

In bezug auf die Ausstattung mit Basis-Software (Betriebssysteme, Hilfsprogramme, Compiler) sind schon eher unterschiedliche Anforderungen zu konstatieren - jedoch sind diese nicht mehr zwingend an unterschiedliche Realisierungsformen gebunden.

Gemischte Quellsprachen

Ist eine sinnvolle Interrupt-Struktur gegeben und wird diese unterstützt durch ein Multiprogramming-Betriebssystem, das die Ableitung einer speicherresidenten Version mit minimalem Overhead ebenso gestattet wie die Erweiterung um ein Datenverwaltungssystem mit einer komfortablen Abfragesprache und handhabbare Maskengeneratoren, führt sie auf erfolgreiche Kombinationen sowohl für den Timesharing-/Batch-Betrieb als -auch für den Realtime-Einsatz. Sie ermöglicht heute - bei Beachtung der Limitationen des Zeitverhaltens und einem hinreichend "intelligenten" Scheduler - gar die "gleichzeitige" Ausführung aller drei Aufgabenbereiche innerhalb eines Systems.

Setzt man zudem ein standardisiertes, gemeinsames Interface sowohl für die im technischen Bereich bevorzugten Sprachen wie Fortran, Pearl, Assembler und die im kommerziellen Einsatz vorgezogenen Sprachkonstruktionen wie Cobol oder Basic ein, so ist auch hier kein prinzipieller Unterschied gegeben. Es besteht für beide hier betrachteten Problemfelder die häufig sinnvolle Möglichkeit zu einem gemischten Einsatz der Quellsprachen.

Sehr unterschiedlich sind hingegen die Applikationen im technischen oder kommerziellen OEM-Bereich. Außer einer eventuellen Beistellung von unproblematischer "Fremd-Hardware" - häufig ausschließlich aus Gründen der Kostenoptimierung - ist die OEM-Leistung im kommerziellen Markt auf die Anwendungs-Software beschränkt. Es kann sich hierbei ebenso um Individuallösungen wie um sogenannte Standardlösungen für bestimmte betriebswirtschaftliche Aufgaben oder bestimmte Branchen handeln. Das Endprodukt ist in jedem Fall ein Rechnersystem zur Lösung einer gegebenen Aufgabenstellung.

Der typische OEM im technischen Bereich hingegen addiert überwiegend nicht nur Hardware in erheblichem Maße und hohe Komplexität zum (zugekauften) Rechnersystem, sondern hat eher den umgekehrten Vorgang der Addition des Rechners zu seinem Produkt zu vollziehen. Der Rechner wird ein unter Umständen nach außen verschwindender Teil einer technischen Anlage - eines Flugsimulators, eines Massenspektrometers, eines Hochregallagers, einer Platinenbohranlage, eines Betankungssystems oder eines Ganzkörperscanners beispielsweise.

Profil-Differenzen

Aus der Art des Endproduktes ergibt sich für den technischen OEM gegenüber dem kommerziellen OEM meistens auch ein anderes Profil seines Verhandlungspartners bei seinem Endkunden. Dieser wird nicht nur in der Lage, sondern auch daran interessiert sein, die technischen Einzelheiten des angebotenen Rechnersystems zu durchleuchten, wohingegen die Fragestellung im kommerziellen Bereich weit häufiger auf die Applikation und die geforderten Erweiterungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Kosten - unter Ausklammerung des "Wie?" - begrenzt bleibt.

Für jeden OEM stellt sich die Frage: Welchen Teil des Marktes kann ich mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg bearbeiten? Die pauschale Antwort lautet: Den Teil des Marktes, den die großen und möglicherweise besser etablierten Anbieter - und somit nicht zuletzt vor allem mein Lieferant - mir überlassen oder überlassen müssen.

Nun ist unter diesem Gesichtspunkt der technische OEM, der sich in komplexen Anwendungsbereichen bewegt, eindeutig gegenüber dem kommerziellen OEM im Vorteil. Dies trifft besonders dann zu, wenn er bereits lange "seine" Nische besetzt. Für ihn fällt zumindest die Konkurrenz durch den eigenen Lieferanten aus. Es ist auch nicht absehbar, daß ein spezialisierter Rechner-Hersteller vorhätte, vollständige Flugsimulatoren etwa selbst zu erstellen.

Anders stellt sich die Lage für den kommerziellen OEM dar. Zum einen gehen mehr und mehr Rechner-Lieferanten wegen fallender Hardware-Preise zur Erhöhung ihrer Marktchancen dazu über, zu Hardware und Basis-Software, auch Applikations-Software bis hin zu branchenspezifischen Paketen mit anzubieten. Zum anderen liegt mittlerweile eine Vielzahl marktfähiger - auch sehr spezieller - Lösungen sowohl von Seiten der Anwender als auch von Software-Häusern vor, deren Adaption auf ein bestimmtes System dank begrüßenswerter Zunahme der Portabilität (Normung der Programmiersprachen) häufig wenig Schwierigkeiten bereitet. Diese Punkte erschweren auch dann dem kommerziellen OEM die Etablierung in einer geeigneten Marktnische, wenn "sein" Hersteller bewußt auf bestimmte Märkte ganz verzichtet. Häufig tritt bis zum Abschluß einer Systementwicklung auch für bei deren Start noch freie Nischen der Igel-Effekt des "Ich bin schon da" eines etablierten Anbieters mit umfassendem Service-Angebot auf.

Eine gute Chance zur Etablierung im Markt besteht auch hier in der Erschaffung eines eigenen, neuen Marktes, der bis dato nicht existent war. Bei gegebener genereller Abdeckung im kommerziellen Bereich bietet sich dem OEM aufgrund der sehr positiven Entwicklung der Preis-/ Leistungsrelation bei der Hardware die Erschließung von Anwendergruppen an, für die ein Rechnereinsatz zur Lösung ihrer Aufgaben bisher außerhalb der Reichweite lag. Auch dieser Weg führt dann zwangsläufig zu einer sehr hohen Preissensitivität des kommerziellen OEM.

Diese Betrachtungen lassen dann auch die wesentlichen Unterschiede zwischen technischem und kommerziellem OEM-Markt deutlich werden:

Während für den technischen OEM Breite, Tiefe und Kompatibilität des Angebotes "seines" Herstellers neben den in beiden Märkten deckungsgleichen Forderungen nach Zuverlässigkeit und umfassendem Service seine Wettbewerbsfähigkeit wesentlich bestimmt, treten diese Forderungen für den kommerziellen OEM deutlich hinter den absoluten Preis zurück. Er stellt für ihn ein wesentliches Kriterium zur Erschließung neuer und Erhaltung traditioneller Märkte dar. So sicher diese Kriteriendifferenz keinen Absolutheitsanspruch erheben kann, so sicher wird ihre Bedeutung mit wachsender Maturität der Märkte bei der Herstellerwahl eines OEM zunehmen.