Entlassung und die Folgen

Zuständigkeit bei Kündigungsschutzklage

10.08.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Ort der Ausübung der Tätigkeit

Ebenso dürfe dabei nicht unberücksichtigt bleiben, an welche Orte die Waren hauptsächlich transportiert werden, wo sie entladen werden und wohin Herr K. nach seiner Arbeit zurückehre. Das Recht des so ermittelten Ortes der Ausübung der beruflichen Tätigkeit bzw. der Ausübung des größten Teils der beruflichen Tätigkeit ist das auf das Arbeitsverhältnis anwendbare und nicht das, das arbeitsvertraglich durch Vereinbarung geregelt wurde. Erst wenn ein solches Recht nicht zu ermitteln sei, könne auf das Recht des Staates abgestellt werden, in dem der Arbeitgeber seine Niederlassung habe.

Bedeutung für das deutsche Recht

Haase weist darauf hin, dass sich der EuGH in seiner Entscheidung vom 15. März 2011 einer in der Praxis bislang umstrittenen Frage angenommen habe, einer Frage, die gerade für Arbeitsverhältnisse von enormer Bedeutung ist, die in der EU grenzüberschreitend durchgeführt werden. Dabei hat der EuGH diese Frage nicht nur zutreffend beantwortet, sondern zugleich auch die Rechte von Arbeitnehmern gestärkt, deren Arbeitgeber aus dem EU-Ausland stammen.

Im Rahmen einer immer weiter fortschreitenden wirtschaftlichen Verflechtung und eines immer weiter fortschreitenden Zusammenwachsens innerhalb der EU wird es auch immer mehr die Regel und nicht mehr nur die Ausnahme sein, dass Arbeitnehmer aus einem Mitgliedsstaat der EU Arbeitsverhältnisse mit einem Arbeitgeber aus einem anderen Mitgliedsstaat der EU begründen und ihre Tätigkeit sodann in mehreren Mitgliedsstaaten der EU ausüben. Dies trifft nicht nur den Bereich des Transportgewerbes, sondern z. B. auch den weiten und viele Branchen umfassenden Bereich der Außendienstmitarbeiter. Bislang war es in solchen Fallgestaltungen schwierig, das auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Recht herauszukristallisieren.

Für den Fall, dass die Arbeitsvertragsparteien für das Arbeitsverhältnis arbeitsvertraglich keine Rechtswahl getroffen haben, also das Arbeitsverhältnis keinem Recht eines Mitgliedsstaates der EU unterstellt haben, ist nach Art. 6 des Übereinkommens von Rom zu verfahren (vgl. auch Art 30 Abs. 1 und 2 EGBGB. Treffen die Arbeitsvertragsparteien hingegen arbeitsvertraglich eine Rechtswahl, stellen sie mithin das Arbeitsverhältnis unter das Recht eines bestimmten Mitgliedsstaates der EU, so können sie im Wege dieser freien Rechtswahl hingegen nicht die zwingenden Bestimmungen des Rechts ausschließen, dem der Arbeitsvertrag unterläge, wenn sie keine Rechtswahl getroffen hätten.

In diesem Fall ist anhand der durch Art. 6 ABS. 2 des Übereinkommens von Rom vorgegebenen Kriterien das anwendbare Recht im Wege einer weiten Auslegung zu ermitteln, das ohne die freie Rechtswahl gelten würde, also das am Ort der wesentlichen bzw. der überwiegenden Erfüllung der Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers. Dieses verdrängt sodann hinsichtlich seiner zwingenden (arbeitnehmerschutzrechtlichen) Bestimmungen das im Wege der freien Rechtswahl vereinbarte Recht, um einen angemessenen Schutz des Arbeitnehmers sicherzustellen.

So klar und nachvollziehbar die Argumentation des EuGH auch sein mag, so sehr stellt seine Rechtsprechung die nationalen Arbeitsgerichte doch vor zum Teil erhebliche Probleme in tatsächlicher Hinsicht. Denn diese müssen nun anhand einer weiten Auslegung und anhand einer Fülle von Tatsachen und Anknüpfungspunkten jeweils im Rahmen von ausschließlichen Einzelfallentscheidungen (mühselig) ermitteln, an welchem Ort die wesentlichen bzw. die überwiegenden Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers erbracht werden.

Der Beispielsfall von Herrn K. zeigt dabei sehr plakativ auf, dass dies - je nach Einzelfall - nicht immer einfach ist. Es wird sich daher zeigen müssen, an welchen Ort der wesentlichen bzw. der überwiegenden Erfüllung der Arbeitsleistungen der Berufungsgerichtshof Luxemburg im Fall von Herrn K. anknüpft. Ist es das deutsche Arbeitsrecht, so ist der besondere Kündigungsschutz eines (Ersatz-) Mitglieds eines Betriebsrats eine zwingende Bestimmung des deutschen Arbeitsrechts.

Nationale Gerichte sind nun gefragt

In einem weiteren Schritt müssen die nationalen Gerichte sodann die zwingenden Bestimmungen des Rechts herauskristallisieren, die als arbeitnehmerschutzrechtliche Bestimmungen nicht der freien Rechtswahl unterliegen, mithin nicht dispositiven Charakters sind.

All das, was hier für die nationalen Gerichte gesagt wurde, gilt selbstverständlich auch für im Bereich des Arbeitsrechts tätige Rechtsanwälte, die Arbeitnehmer vertreten. Im Interesse und im Sinne ihrer Mandanten haben diese Rechtsanwälte bereits im Vorfeld eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens die Frage nach dem anwendbaren Recht zu klären.

Haase empfiehlt daher, die Entscheidung des EuGH unbedingt zu beachten und bei aufkommenden Fragen dazu Rechtsrat in Anspruch zu nehmen, wobei er u. a. auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. (www.vdaa.de) verweist. (oe)

Weitere Informationen und Kontakt:

Karsten Haase, Rechtsanwalt / Fachanwalt für Arbeitsrecht / Mediator und Leiter des VdAA Fachausschusses "EU-Arbeitsrecht", Schäferstraße 1, 40479 Düsseldorf, Tel.: 0211 1645733, E-Mail: haase@raehalieb.de, Internet: www.raehalieb.de