Fusionen/Hypo-Vereinsbank: 14 Monate nach dem Merger

Zusammenwachsen wurde von IT- und speziellen Fusions-Managern gesteuert

26.11.1999
Um eine konkurrenzfähige europäische Großbank zu schaffen, reicht die organisatorische Verschmelzung der Vorstände, Abteilungen und Filialen nicht aus. Erst die Integration der IT-Systeme macht das neue Unternehmen arbeitsfähig und profitabel. Das Zusammenwachsen der Bayerischen Vereinsbank und der ebenfalls in München ansässigen Hypobank zur Hypo-Vereinsbank ist - 14 Monate nach dem Start - nahezu abgeschlossen. Johannes Kelch* hat sich bei Fusions-Managern des Konzerns nach ihren Entscheidungen und Erfahrungen erkundigt.

Während des Oktoberfests 1999 läuft nicht nur auf der "Wies''n" ein Spektakel, auch in den Filialen der Hypo-Vereinsbank (HVB) spukt es. In den Schaufenstern hängt eine Botschaft: "Wir schließen - aber nur für kurze Zeit." Eine Nacht lang bleibt alles ruhig, doch dann tragen Heerscharen von Handwerkern und Helfern Computer und Kabelsalat heraus und stapeln das Material auf LKWs.

Kaum ist das Fahrzeug abgefahren, parkt ein Umzugswagen, eine neue Truppe trägt Rechner und Zusatzgeräte ins Haus, verlegt über Nacht Kabel und schließt die Geräte zusammen. Am nächsten Morgen ist die Aktion abgeschlossen.

Lächelnd begrüßen die Kundenbetreuer am Bankschalter ihre Klientel. Sie tun, was Kollegen in der Mitarbeiterzeitung "Das Beste" empfehlen: "Immer lächeln und gute Laune verbreiten. Wenn wir lächeln, kann uns der Kunde ja gar nicht böse sein."

Tag für Tag läuft dieses nächtliche Szenario mit Heinzelmännchen und morgendlichem Gute-Laune-Schauspiel ab. Nur am Donnerstag, dem "Puffertag", bleibt alles still.

Was spielt sich da ab? Wo bleiben die Daten der Kunden? Wozu dient überhaupt der nächtliche Aktionismus?

Im Sommer 1997 bestellten die Bayerische Vereinsbank (BV) und die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank das Aufgebot zur Elefantenhochzeit. Wenige Wochen später begann der Leiter des Privatkunden-Marketings, Reinhard Klein, mit dem ersten Arbeitsschritt: der Vermarktung des Aktienumtauschs. Im Zuge dieser Tätigkeit kamen auf den Direktor, der als Quereinsteiger aus der Industrie zur Bayerischen Vereinsbank gekommen war, immer mehr Fragen rund um die Fusion zu.

Anfang 1998 war klar, daß das Zusammenwachsen der Institute nur mit einer professionellen Führungsstruktur zu bewältigen war. Klein wurde vom Vorstand zum Leiter der Filialzusammenführung bestellt und holte für eine zehnköpfige "Kerntruppe" Fachleute aus allen Abteilungen.

Als Verantwortlicher für die Fusion im IT-Bereich arbeitete der Leiter der HVB-Info, Norbert Büker, im Spezialistenteam mit. Büker hatte sich bereits bei der Integration der Vereins- und Westbank in die Bayerische Vereinsbank engagiert. Aus Erfahrung wußte der IT-Fachmann, daß es nicht möglich war, aus zwei Systemen mit dem Best-of-breed-Ansatz auf Anhieb ein drittes, noch leistungsfähigeres Nonplusultra-System zu schmieden. Dies habe sich als zu kompliziert erwiesen.

Auf seiten der BV hatte man die Integration der Töchter bereits weit vorangetrieben, so daß das System der Bayerischen Vereinsbank in der Bewertung zuletzt die besseren Karten erhielt als das der ehemaligen Konkurrenz. Die IT- und Fusions-Manager entschieden deshalb, daß das System der BV das Basissystem der neuen Bank werden sollte.

Diese Wahl bedeutete allerdings einen Verzicht auf bestimmte Leistungen, die von der Hypobank längst eingeführt worden waren. "Wir haben bewußt Rückschritte in Kauf genommen", erklärt Norbert Büker die für viele Mitarbeiter zunächst völlig unverständliche Entscheidung. Doch wurde auch festgelegt, daß die "Deltas", die ausgeklügelten Anwendungen der Hypobank, für das System des neuen Unternehmens nachentwickelt werden sollten.

Nur beim ersten Abgleich der Produktionssysteme nahm die Bank die Dienste von Unternehmensberatern in Anspruch: McKinsey-Mitarbeiter moderierten den Dialog der Manager beider Institute über die folgenden Weichenstellungen. Danach kamen die internen Fusionierer, wie Reinhard Klein stolz berichtet, ganz ohne Consultants klar.

Anfang 1998 mußten die Fusions-Manager erst einmal die volle Funktionsfähigkeit der IT zum offiziellen Start der neuen Bank regeln. Die Aufgabe: Alle Mitarbeiter sollten ab dem Stichtag 1.9.1998 in der Lage sein, an jedem Arbeitsplatz mit den Großrechnersystemen beider Vorgängerbanken zurechtkommen.

Ein raffinierter technischer Kunstgriff machte dies möglich und schuf zugleich die Voraussetzungen für die Reorganisation und die daraus folgenden Umzugsaktionen in der Verwaltung und in den Filialen. Die Großrechnersysteme der Geldinstitute wurden über doppelte Glasfaserverbünde ringförmig zusammengeschaltet, die Steuerung der physisch getrennten Systeme zusammengelegt.

Tag und Nacht wurde im Sommer 1998 in München zwischen dem Tucherpark, der Zentrale der BV, und dem Arabellapark gegraben, wo das Hypo-Hochhaus steht. Mit dem Link zwischen den Großrechnern ersparte man sich die komplizierte und aufwendige Zusammenlegung der beiden Firmennetze.

Pünktlich zum 1. September 1998 waren die Mitarbeiter in den Filialen mit zusätzlichen Paßwörtern und Personalnummern ausgestattet und in der Bedienung des zweiten Großrechnersystems geschult. Sie konnten nun am Schalter auch die Kunden der jeweils anderen Vorgängerbank bedienen, obwohl nach wie vor zwei unterschiedliche Banksysteme existierten.

Kaum war die Arbeitsfähigkeit des fusionierten Konzerns hergestellt, wuchsen die beiden Banken organisatorisch zu einer Einheit zusammen. Nicht nur Filialen wurden verschmolzen, auch im Tucher- und im Arabellapark begann eine Serie von Umzügen. Etliche Mitarbeiter mußten mehrmals die Koffer packen. Schon übersteigt die Zahl der Umzüge die Zahl der Beschäftigten.

Als logistische Infrastruktur des Konzerns wurde die IT-Abteilung "möglichst frühzeitig" neu aufgestellt, betont Norbert Büker. Wie bei der Besetzung der Management-Positionen anderer Abteilungen vermied man Doppelbesetzungen. Frühere Fusionen hatten gezeigt, daß ein Leiter das Sagen haben muß, wenn eine Organisationseinheit vernünftig arbeiten soll. Alle Führungskräfte mußten sich somit einem "Assessment" unterziehen.

Parallel zur Reorganisation wurde die Anwendungsentwicklung zügig vorangetrieben. Schon im Mai 1999 war das 1 GB starke Bankenpaket "BV+" mit den nachprogrammierten Anwendungen der Hypobank bis zur Testreife gediehen. Die ersten Praxiseinsätze von BV+ liefen im oberbayerischen Ampfing, hier bestand das Softwarepaket die "Feuerprobe", so das BV-Blatt "Das Beste".

Unterstützt von einem Standby-Team tastete sich die kleine Mannschaft am "Integrierten Arbeitsplatz" von BV+ zu den Anwendungen vor. "Meine Ängste waren unberechtigt", vertraute Filialmitarbeiterin Doris Bobenstetter später der Hauszeitung an. Die Testkandidaten machten sogar positive Überraschungen. "Es läuft vieles einfacher und bequemer", urteilte Sandra Sperl aus Ampfing.

Kaum waren die Tests abgeschlossen und die Software noch einmal durchgekämmt, trat eine beispiellose Fortbildungsaktion in ihre heiße Phase. Alle Mitarbeiter erhielten von ihrer Bank das Angebot: kostenloser Laptop gegen freiwillige Einarbeitung in die Firmensoftware BV+ am Feierabend und Wochenende. Die meisten Beschäftigten nahmen diese Offerte gern an. Insgesamt 18 500 Laptops und zusätzliches Schulungsmaterial wurden verteilt.

Als sich der Sommer dem Ende zuneigte, waren IT und Mitarbeiter bestens vorbereitet auf den flächendeckenden "Rollout" von BV+ in allen Filialen der Hypo-Vereinsbank. Seit Juni läuft diese Ablösung der beiden Altsysteme.

Und so ist das eingangs geschilderte wilde Spektakel in Wirklichkeit ein Baustein in einem perfekt geplanten Ablauf. In der ersten Nacht nach der Schließung einer Filiale ist es vor Ort noch ruhig. Es ist die Nacht, in der die Daten der Ex-Hypo-Kunden dieser Filiale auf das Großrechnersystem der BV technisch migriert und in einem Zwischenspeicher gesichert werden. Wenn diese Überspielung geklappt hat, beginnt in der zweiten Nacht der Abbau der alten DV-Systeme und die Installation der neuen IT mit dem Softwarebündel BV+. Und am darauffolgenden Tag stehen die Mitarbeiter lächelnd hinter dem Schalter - lächelnd auch deshalb, weil die neuen Systeme mehr Komfort bieten als die alten. So müssen die Kundenberater nicht immer wieder die Stammdaten aufrufen, sie sind programmübergreifend präsent.

Trotz intensiver Vorbereitung installierte das Fusionsteam ein mehrstufigens Sicherheits- und Hilfesystem, um alles, was vor Ort schiefgehen kann, wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Standby-Teams helfen in den ersten Tagen. Für je sechs Mitarbeiter steht ein Coach bereit, der Unklarheiten im persönlichen Gespräch beseitigen kann. Was weder über Computer-Based Training noch mit Studienbriefen vermittelt wurde, wird bei "Einführungstagen" durchgekaut. Ein User-Helpdesk berät bei technischen Fragen, der Anwender-Service beantwortet Fragen zu den Programmen, und schließlich führt ein Second-Level-Support überforderte Supportmitarbeiter wieder auf die richtige Spur.

Mitte Oktober lief die Umstellung "wie ein Uhrwerk", so Klein. Nur noch einmal pro Woche tagte das Fusionsteam, das in der Hochphase jeden Tag bis zu 14 Stunden gemanagt hatte. Im Dezember 1999, rechtzeitig vor dem Jahrtausendwechsel, wird laut Planung die gesamte Bank mit BV+ arbeiten.

ANGEKLICKT

Die 1998 zur Hypo-Vereinsbank fusionierten Vorgängerbanken waren nicht nur annähernd gleich groß, sondern hatten auch ähnliche DV-Konzepte sowie IBM-dominierte Systemarchitekturen. Diese Homogenität führt jetzt zu einer Reihe von Synergieeffekten, betont HVB-Info-Leiter Norbert Büker.

Die Hypo-Vereinsbank kommt voll in den Genuß der "Economies of Scale". Beim Einsatz von Rechnern, in der Software- und Systempflege sowie im Support sind weniger Ressourcen als in den Vorgängerbanken notwendig, um die gleiche Leistung für weitaus mehr Kunden zu erzielen.

Große Synergien erzielt der HVB-Konzern auch bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder des Wertpapiergeschäfts. Die Fusion hat die Dienstleistungszentren "nach vorn gebracht", unterstreicht Büker.

Einen zweistelligen Millionenbetrag spart sich der neugebildete Konzern durch die Zusammenschaltung der beiden Rechenzentren. Ein Projekt der BV zur Errichtung eines Backup-Rechenzentrums wurde aufgegeben, und auf seiten der Hypobank wurde das Backup-System bei der Allianz-Versicherung überflüssig.

Büker sieht jedoch Grenzen der "Economies of Scale". Seine Warnung: Fusionen können die Komplexität so stark steigern, daß die Einsparung von Ressourcen wieder zunichte gemacht wird.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.