Zur Führung gehört eine Gesamtkonzeption

19.08.1983

Eine der wichtigsten Aufgaben einer Führungskraft besteh darin, in der Gruppe ein Klima zu schaffen, das die Angehörigen der Gruppe befähigt und dazu anregt, die Leistungen der anderen Gruppenangehörigen anzuerkennen. Denn nicht nur die Anerkennung durch den Vorgesetzten ist wichtig, es zählt auch und vor allem die Anerkennung durch die Gruppe.

Diese Aufgabe wird von vielen Führungskräften überhaupt nicht gesehen, sie achten - wenn überhaupt - auf ihre Beziehungen zur Gruppe, während die Beziehungen der Gruppenangehörigen untereinander weitgehend unbeachtet bleiben. Es ist im Berufsleben genauso wie beim Sport. Als Beispiel unter vielen die Äußerung eines bekannten Fußballtrainers, der seine Mannschaft von Erfolg zu Erfolg führte: "Ein erster Schritt war, sich gegenseitig nicht mehr bei jeder Fehlaktion anzumeckern. "

Häufiger Einwand: Das Tagesgeschäft lastet aus

Wenn diese Probleme in Führungsseminaren erörtert werden, kommt immer wieder der Einwand: "Aber dafür habe ich einfach keine Zeit, ich kann mich doch nicht auch noch um die Probleme, die meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander haben, kümmern. Das Tagesgeschäft frißt mich ohnehin schon auf!" Diese Einwände kommen insbesondere von Unternehmern und Führungskräften der oberen Leitungsebene. Offensichtlich werden hier die Schwerpunkte in der fachlich-sachlichen Arbeit und nicht in der Führungsaufgabe gesehen. Gerade hier haben sich aber in den letzten Jahren die Akzente deutlich zugunsten der Führungsaufgaben verschoben. Führungskräfte müssen sich einfach mehr Zeit dafür nehmen und dazu gehört, daß sie wieder Herr ihrer Zeit werden und sich nicht zum Sklaven des Tagesgeschäfts machen lassen. "Zyniker behaupten schon lange, das Kriterium einer Führungskraft sei nicht das Führen, sondern das Eingeständnis, man habe keine Zeit" meinte Siegfried Sterner im Blick durch die Wirtschaft einmal. Und: "Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, wer du bist". Nach dieser Einsicht glaubt man, den Charakter und das soziale Verhalten eines Menschen zu erkennen. Sage mir, wie du mit deiner Zeit umgehst. . . " Treffender kann man das Problem wohl nicht kennzeichnen.

Gerade bei der Erörterung dieser Probleme mit Führungskräften verdichtet sich immer mehr der Eindruck, daß sowohl diese selbst als auch die Mitarbeiter über ein gutes, zum Teil hervorragendes Fachwissen verfügen. Auch an Kenntnissen über ein richtiges, Verkaufsverhalten zum Beispiel fehlt es nicht. Nur im täglichen Verhalten vor Ort wird gerade davon wenig Gebrauch gemacht und Kenntnisse in der Verkaufspsychologie werden im zwischenmenschlichen Bereich völlig ignoriert. Ein Grund für viele Firmenleitungen, die Schulungsmaßnahmen in fachlicher Hinsicht zu verstärken, weil man der Andie fortschreitende Technisierung, wird immer größer. "Ich wage die Behauptung, daß es in den Betrieben mindestens so viele grüne Witwer und Witwen gibt wie draußen", so Professor Neuberger, der Verfasser der Schrift "Miteinander arbeiten - miteinander reden".

Erfolgserlebnisse werden im Gespräch vermittelt

Dabei sind die Erkenntnisse über die Bedeutung des Gesprächs gerade im Arbeitsleben nicht so neu. Ein Großteil der hier möglichen Erfolgserlebnisse wird durch Gespräche vermittelt. Es hat aber den Anschein, daß viele erst einmal das, was sie für das Einfachste halten, nämlich zu reden und Gespräche zu führen, lernen müssten. Selbsteinschätzung und Bewertung durch andere klaffen, wie auf vielen anderen Gebieten menschlichen Verhaltens, auch hier auseinander. Hier hilft nur eine sehr kritische Selbstprüfung oder noch besser, die Bereitschaft, sich durch andere prüfen zu lassen. Denn man kann jahrelang dieselben Fehler machen, ohne es zu merken. Und selbst dann, wenn man es bisher "richtig" gemacht hat und es richtig macht, gibt es sicher noch unausgeschöpfte Möglichkeiten, etwas dazuzulernen oder sich zu vervollkommnen,

Seinen Mitarbeitern Erfolgserlebnisse zu verschaffen, heißt aber auch, ihnen soweit wie möglich die Gelegenheit zur Selbstentfaltung zu geben. Das setzt zunächst einmal voraus, daß die richtige Frau oder der richtige Mann am richtigen Platz eingesetzt werden.

Gerade hier wird oft der "Grundstein" für spätere Mißerfolgserlebnisse gelegt, zumindest bleiben die von beiden Seiten erhofften Erfolgserlebnisse aus, wenn Mitarbeiter ohne vorherige, gründliche Abklärung von Kenntnissen und Fähigkeiten mit Aufgaben konfrontiert werden, denen sie nicht gewachsen sind. Bei allem guten Willen, den gestellten Anforderungen zu entsprechen, fühlt sich der "Betroffene" überfordert und scheitert früher oder später. Genauso schlimm wirkt sich Unterforderung aus, wenn jemand mit Arbeiten betraut wird, die er sozusagen "spielend mit der linken Hand" erledigt. Auch hier fehlt es am Erfolgserlebnis. Die Folge: Frustration und Leistungsabfall.

Das Führungsmittel "Motivation" darf auf keinen Fall isoliert betrachtet werden. Führung ist ein Komplex, der aus vielen einzelnen Mosaiksteinchen besteht. Jede Anstrengung, Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zu motivieren, geht buchstäblich ins Leere, wenn nicht gleichzeitig andere Führungsmittel planmäßig eingesetzt werden, wie hier zum Beispiel eine gezielte Personalpolitik. Vor jedem Einsatz von Führungskräften und Mitarbeitern müssen Anforderungsprofile erarbeitet werden. Im konkreten Fall können Stellen nicht mit nur "ungefähren Vorstellungen" ausgeschrieben werden, in der Hoffnung: "Kommt Zeit, kommt Rat." Zur Führung gehört vielmehr eine Gesamtkonzeption.

*Dr. jur. Gesine Göschel und Dr. jur. Georg Wolff sind in leitender Position in einer großen Verwaltung mit Sitz in Frankfurt tätig.

Was für Führungskräfte im allgemeinen gilt, gilt natürlich im besonderen auch für den DV-Spezialisten in entsprechender Position: Das erforderliche Fachwissen ist vorhanden. Dieses allein macht jedoch noch lange nicht den perfekten Manager; hinzukommen müssen auch Führungswissen und Mitarbeitermotivation.