IBM gewinnt Wang als Vertriebspartner für RS6000, PS2 und AS400

Zukunft von Wang Laboratories als Hardwarehersteller fraglich

28.06.1991

NEW YORK/NEU ISENBURG - Die Wang Laboratories Inc. und die IBM Corp. haben eine "strategische Allianz" (O-Ton der gleichlautenden Presseerklärungen) geschlossen, die den krisengeschüttelten Mini-Hersteller zum OEM-Kunden und Vertriebspartner von Big Blue macht - das Ende Wangs als Hardwarehersteller, urteilen Branchenkenner.

Das Abkommen sieht vor, daß Wang in Zukunft unter eigenem Label IBMs RS/6000 und PS/2-Systeme vermarktet. Außerdem wird die AS/400 ins Wang-Programm aufgenommen, aber unter dem Wappen von Big Blue vertrieben.

Die Armonker engagieren sich auch finanziell: In den nächsten zwei Jahren sollen Wang bis zu 100 Millionen Dollar beim Abbau ihres Schuldenbergs helfen.

Welche Konsequenzen das vergangene Woche angekündigte OEM-Abkommen haben wird, ist umstritten. Die Optimisten unter den Branchenbeobachtern sehen in Big Blue den starken Partner, den der Mini-Hersteller zum Überleben braucht. Die Pessimisten betrachten das Abkommen als erstes Indiz für Wangs Ausstieg aus der Hardwareszene.

Noch können jedoch selbst Insider nicht genau einschätzen, ob die Armonker nur einen zusätzlichen großen Vertreiber für ihre Rechner gesucht haben oder ob sie auch an Wangs Erfahrungen in der Bild- und Dokumentenverarbeitung interessiert sind.

Klar scheint nur, daß Wang die 100-Millionen-Dollar-Investition dringend braucht und dafür bereit zu sein scheint, teilweise auf Unabhängigkeit zu verzichten.

Wie die Unternehmen mitteilten, wird der Mini-Hersteller für die neu aufgenommenen Produkte auch Service und Support bieten. Im Gegenzug investieren die Armonker zunächst 25 Millionen Dollar in Form von Wandelschuldverschreibungen, die in Wang-Klasse-B-Aktien konvertierbar sind. Dabei handelt es sich um Papiere, die nur eingeschränkt stimmberechtigt sind, auf die aber eine höhere Dividende gezahlt wird als auf die zumeist in Familienbesitz befindlichen Klasse-C-Aktien.

Im Board of Directors wird es keinen IBM-Mann geben

Darüber hinaus hat IBM für die nächsten zwei Jahre weitere Investitionen in Höhe von 75 Millionen Dollar in Aussicht gestellt, die aber an Bedingungen geknüpft sind. "Man hat da bestimmte Vorstellungen zum Geschäftsumfang", erklärte Gerhard Feucht, Pressesprecher der IBM-Deutschland. Trotz des finanziellen Engagements der Armonker betrachtet sich Wang nach wie vor als unabhängig. "Im Board of Directors wird es keinen IBMer geben. Die IBM nimmt keinen Einfluß auf die Organisation unseres Unternehmens", betont Angelika Scheiffele, Marketing-Communications-Mangerin der Wang Deutschland GmbH.

Offensichtlich hat die Wang-Kundenbasis im Midrange-Bereich Begehrlichkeiten bei der IBM geweckt: Weltweit benutzen rund 60 000 Anwender die proprietären VS-Systeme, die vor allem im Kommunikations-, Office- und Archivierungsbereich eingesetzt werden. Diese bereits seit geraumer Zeit abbröckelnde Basis will man für die AS/400 gewinnen, bevor sich weitere Anwender nach Alternativen umschauen. Für das entsprechende Migrationsangebot werden sogenannte gemeinsam finanzierte "Conversion-Center" sorgen, die unter der Regie von Wang Konvertierungsapplikationen entwickeln.

Außerdem soll der Minihersteller seine weitreichenden Erfahrungen in der elektronischen Bild- und Dokumentenverarbeitung einbringen können. Dem offiziellen Statement zufolge werden diese Kenntnisse jedenfalls bei der gemeinsamen Entwicklung einer Anwendungsarchitektur für künftige Büro-Automationslösungen auf Unix-Basis "wesentlicher Bestandteil" sein.

Ob dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt wird oder ob es nur dem Wang-Selbstbewußtsein dient, ist noch offen. Für IBM-Chairman John F. Akers steht jedenfalls die Ausweitung des eigenen OEM-Geschäfts klar im Vordergrund: "IBM begrüßt es, daß Wang sich für die Systeme AS/400, PS/2 und Risc-System/6000 als passende Lösungen für seine Kunden entschlossen hat. Wir glauben, daß sich diese Partnerschaft langfristig für beide Unternehmen positiv auswirkt. Den Wang-Kunden bietet sie eine größere Auswahl an Systemplattformen."

Wang-Chef Richard W. Miller setzt in seinem Kommentar verständlicherweise andere Schwerpunkte: "IBMs Hardware zusammen mit Wangs VS-Produkten sowie elektronischen Bild- und Dokumentenverarbeitungs-Lösungen ermöglichen es uns, eine der breitesten Produktpaletten der Branche anzubieten." Er gibt auch erste Hinweise auf die künftigen Pläne von Wang, die eher mit Dienstleistungen und Software als mit Hardware zu tun haben. "Diese Partnerschaft erlaubt es uns, die Entwicklungsanstrengungen voll auf unsere kürzlich angekündigte neue Strategie ,Office 2000' zu konzentrieren. Dabei handelt es sich bekanntlich um ein umfassendes, auf offenen Systemen basierendes Produkt- und Dienstleistungsangebot zur Produktivitätsteigerung im Büro- und Verwaltungsbereich."

Verabschiedet sich Wang demnach als Hardwarehersteller, der neben seinen VS-Minis eine eigene PC-Familie sowie Intel-basierte Unix-Maschinen produziert und als Mitglied des ACE-Konsortiums auch RISC-Workstations mit Mips-Prozessoren angekündigt hat? Beim Hersteller selbst herrscht zumindest über das RISC-Engagement offenbar noch Unklarheit: "Das Abkommen mit Mips und unsere Mitgliedschaft in ACE sind nicht von dem Vertrag mit IBM betroffen. Zur Zeit werden beide Sachverhalte geprüft", erklärt Scheiffele. "Das Abkommen mit IBM verbietet es uns nicht, mit anderen Herstellern ähnliche Vereinbarungen zu treffen", ergänzt der für Europa zuständige Wang-Marketing-Manager, Erroll Versnel.

Ob die anderen Konsortial-Teilnehmer Wang noch als ACE-Mitglied wollen, steht auf einem anderen Blatt. Ursprünglich hatten die Unternehmen in einem sogenannten "Term-Sheet" Intel- oder Mips-Prozessoren als Hardwarebasis auserkoren und zum Knockout-Kriterium für den Eintritt in den erlauchten Kreis gemacht.

Die VS-Systeme, so Scheiffele weiter, würden weiter entwickelt und verbessert. "Die angekündigte Öffnung der VS in Richtung Standards ist mit neuen Produkten verbunden." Darüber hinaus stellte die Marketing-Managerin eine neue VS-Maschine in Aussicht, die eine höhere Leistung haben soll als das heutige Top-Modell VS-10 000.

Leistungsstärkere VS ist noch in der Pipeline

Auf einer Wang-Benutzerkonferenz in den USA ist jedenfalls bereits hinter vorgehaltener Hand auf solch ein neues Mehrprozessor-System - Codename "Mercury" - verwiesen worden, das bereits in der Einprozessor-Version die 1,5fache Leistung der VS-10 000, Modell 100, bringen soll. Das Komplett-System und die Mehrprozessor-Versionen sollen ab Anfang 1992 ausgeliefert werden. Bis jetzt weiß allerdings niemand definitiv, ob diese Maschinen angesichts der neuen Situation noch in die Produktpalette aufgenommen werden.

Für den PC-Bereich kündigte die deutsche Wang-Sprecherin weiteres Engagement an: "Wir werden auch in Zukunft PCs produzieren und sie neben OEM-Produkten, die nicht nur aus dem Hause IBM kommen vertreiben." Dabei werde man sich besonders auf High-end-Systeme konzentrieren.

Einige Wang-Partner in Deutschland sehen das Unternehmen in Zukunft allerdings kaum mehr als Hardwarehersteller. "Das ist ein sanfter Abschied von Wang aus der Hardwareszene, der mit dem Ausstieg aus der PC-Produktion beginnt und sich auf die Unix-Maschinen ausdehnen wird. Die VS-Systeme werden sicher weiter gepflegt, aber es läuft wahrscheinlich darauf hinaus, daß im Gegensatz zu den Absichtserklärungen keine leistungsstärkere Maschine als die VS-10 000 mehr die ,Laboratories' verläßt. Upgrades werden in Zukunft womöglich über die AS/400 angeboten, die man entsprechend auf VS trimmt", vermutet Joachim Haessler, Geschäftsführer der Haessler Software GmbH.

Für ihn fungiert der Mini-Hersteller in Zukunft in erster Linie als Vertriebspartner der IBM. Für sein Unternehmen, in dem man bereits vor zwei Jahren begonnen hat, Software für Unix-Systeme anzubieten, spiele das Abkommen kaum eine Rolle: "Ob der Kunde eine RS/6000 von IBM oder von Wang kauft, kann uns egal sein."

Haessler nimmt an, daß "sich Wang auf das Beratungsgeschäft konzentrieren" will. "Sie glauben, mit ihrer Office-2000-Strategie an diesem Markt partizipieren zu können. Ich halte das allerdings für eine Utopie. Das Geschäft werden große Berater machen, aber kein Hersteller mit gewachsenen Vertriebsstrukturen."

Big Blue hat sich Markt und Kunden gekauft

Egon Nählen, Geschäftsführer der Zeda, Gesellschaft für Datenverarbeitung und EDV-Beratung mbH + Co, sieht die Zukunft von Wang als Value Added Reseller mit einem starken Standbein im Image- und Office-Bereich. "An diesem Know-how könnte IBM durchaus interessiert sein." Für ihn unterstreicht der Deal "eigentlich die Richtigkeit unserer Entscheidung, Lösungen nur noch in portabler Ausprägung herzustellen". Die Zeda, ursprünglich Wang-Vertriebspartner, hat 1990 ihre Beziehungen zu Wang Deutschland "eingefroren". Man bietet keine Lösungen für die Systeme des Herstellers mehr an, betreut aber nach wie vor 50 bis 60 VS-Anwender. "Noch im Oktober vergangenen Jahres hat Herr Enzelmüller Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, daß wir uns künftig auch an IBM orientieren wollen. Ich glaube, inzwischen kann Wang einen Großteil unserer frühzeitig angestellten Überlegungen nachvollziehen."

Das Abkommen selbst beurteilt der Softwerker positiv - auch für sein Unternehmen: Nunmehr könne man den Kunden, deren Lösungen noch auf Wang-Systemen laufen, über die Migration zur AS/400 "problemlos eine umfassendere zeitgemäßere Anwendungslösung auf marktgängiger Hardware anbieten".

Allerdings vermutet er, daß mit dem Abkommen auch "synergetische Effekte" angestrebt werden. "Das kann tatsächlich bedeuten, daß Wang kein Hardwarehersteller mehr sein wird, sondern nur noch Vertriebsorganisation der IBM. Big Blue hat sich Markt und Kunden gekauft, die sie aus bisherigen Produktionsstätten beliefert. Für diese Annahme sprechen auch die Conversion-Center."

Außerdem kann Nählen sich vorstellen, "daß bestimmte Produkte nicht mehr verkäuflich sind". Wenn potentielle Interessenten das Abkommen nämlich als Wangs Eingeständnis werten, technologisch und wirtschaftlich zur Herstellung eigener Hardware nicht mehr in der Lage zu sein, werde sich ein Vertriebsmann schwer tun, in Konkurrenz zur AS/400 noch eine VS-Maschine zu verkaufen.

Wang-VBs werden sich mit der AS/400 schwer tun

"Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, daß die Wang-Vertriebsleute beim Verkauf von IBM-Hardware sehr erfolgreich sein werden", vermutet Martin Glückmann von der Wang User Group Deutschland. "Die haben jahrelang auf die AS/400 geschimpft, weil sie direkt in Konkurrenz zu VS-Systemen angeboten wurde." Glückmann sieht für den Anwender keinen Vorteil in dem Abkommen: "Auch eine so erweiterte Angebotspalette kann ein weiteres Abbröckeln der Wang-Kunden-Basis nicht verhindern. Ein Beispiel: Wenn jemand einen Mercedes will, dann kauft er ihn bei Daimler-Benz und nicht bei einem Hersteller, der das gleiche Auto zum selben Preis, aber unter anderem Namen verkauft."

Im Prinzip positiv sieht Günter Fleischmann, Geschäftsführer der PSM Soft- und Hardware-Vertrieb GmbH, den Vertrag: " So wie sich die Situation bei Wang in letzter Zeit darstellte, mußte ein Partner gefunden werden. Ich nehme an, daß es jetzt zu einer Konsolidierung und Produktstraffung bei Wang kommt."

Die AS/400 kann VS-Systeme nicht problemlos ersetzen

Allerdings stößt der angebotene Migrationspfad von VS-Systemen zur AS/400 bei Fleischmann auf Unverständnis: "Die beiden Maschinen haben so gut wie nichts gemein. Wenn ein Umstieg in die 370-Welt vorgesehen worden wäre, würde es keine Schwierigkeiten geben, weil die VS dazu kompatibel ist. Außerdem kann die AS/400 die VS meiner Ansicht nach nicht ersetzen." Die Wang-Maschine würde nämlich in erster Linie nicht in der kommerziellen Datenverarbeitung eingesetzt, sondern eher systemübergreifend. Sie werde für Textverarbeitung und Kommunikation im großen Stil eingesetzt, arbeite also oft im Verbund mit Rechnern anderer Hersteller. "Wie man das so elegant und problemlos mit einer AS/400 machen will, ist mir noch schleierhaft", rätselt Fleischmann.