Buchtipp: "Sind Telearbeiter anders?"

Zu Hause arbeiten: Zielvorgaben und Realität klaffen noch weit auseinander

06.10.2000
Die EU erwartet bis zum Jahr 2004 etwa 31 Millionen Telearbeitsplätze. Tatsächlich gab es 1998 in der Europäischen Union erst gut sechs Millionen solche Beschäftigungsverhältnisse, davon in Deutschland zirka eine Million. Es ist fraglich, ob eine Verfünffachung in sechs Jahren als realistisch eingestuft werden kann oder ob die Prognosen zu optimistisch sind. Von Helga Ballauf*

Sascha Hörmann äußert sich in seiner veröffentlichten Dissertation "Sind Telearbeiter anders?" nicht so positiv wie die EU, was das Wachstum der angebotenen Jobs im Telearbeitsbereich anbelangt. Er kritisiert, dass Telearbeitsplätze auf dem Reißbrett konstruiert würden, ohne dass die Unternehmen sich Gedanken darüber machten, ob es die geeigneten Beschäftigten dafür gibt. Wer aber "passt" ins Bild?

Hörmanns Datengrundlage liefert eine Befragung von knapp 3000 ausgewählten Bundesbürgern zu ihren Einstellungen und Zielen in Bezug auf Telekommunikation und Technik sowie zu ihrem Alltagsverhalten. Dabei wollte er herausfinden, wie gesellschaftliche Anerkennung im Beruf, intaktes Familienleben und das Streben nach Karriere bewertet werden. Außerdem hat er hinterfragt, ob der Einzelne glaubt, dass er seine Ziele eher in einem traditionellen Angestelltenverhältnis oder als Freiberufler beziehungsweise Telearbeiter erreichen kann. Im Ergebnis bildet Hörmann sieben Gruppen, die sich von Arbeitsalltag, Lebensstil und Motivationsbereitschaft für Telearbeit stark unterscheiden.

Zehn Millionen potenzielle TelearbeiterIm ersten Beispiel arbeitet die einfache Verwaltungsangestellte mittleren Alters halbtags und widmet sich danach Haushalt und Familie. Wichtig am Job sind für sie Geld, Kontakt zu Kolleginnen, eine klar umgrenzte Aufgabe und die völlige Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Telearbeit wäre selbst dann nichts für sie, wenn sich ihr Aufgabengebiet gut auslagern ließe. Im zweiten Beispiel verzichtet die Kauffrau jüngeren Alters vorerst der Kinder wegen auf Karriere. Sie managt selbstbewusst Job, Haushalt und persönliche Freiräume. Informationstechnik - vom Computer bis zum Handy - hilft ihr dabei. Sie bringt die Voraussetzungen für Telearbeit mit. Jetzt liegt es am Arbeitgeber, ob er darauf eingeht.

Unter dem Strich ermittelt Hörmann zirka zehn Millionen so genannte potenzielle Telearbeiter in Deutschland. Sie sind in hohem Maße diszipliniert und selbstbestimmt, haben ihre Zeit im Griff und würden sich gern den Weg zur Arbeit sparen. Sie sind fähig und bereit, den Erfahrungsaustausch mit Kollegen virtuell zu pflegen, und es stört sie nicht, wenn Arbeit und Freizeit ineinander fließen - so bleibt der Kontakt zu den Kindern enger. Sie sind souverän genug, sich über Meinungen hinwegzusetzen, wonach nur derjenige "richtig" arbeitet, der das Haus verlässt.

Damit aus potenziellen Telearbeitern wirkliche werden, muss der Arbeitgeber einiges tun: geeignete Kandidaten schulen, Arbeitsabläufe zeit- und ortsunabhängig organisieren sowie neue Formen der Mitarbeiterführung und -kontrolle zulassen. Hörmann bietet Personalabteilungen an, aus den im Buch dokumentierten Fragen, die er seinen Interviewpartnern vorlegte, ein Instrumentarium zu entwickeln, um geeignete Mitarbeiter ausfindig zu machen.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.