Eine neue Generation von Benutzer-Schnittstellen entsteht

Zoomen statt klicken

16.02.2001
Mit dem Macintosh hat Apple vor mehr als 20 Jahren das Zeitalter der grafischen Benutzeroberfläche eingeläutet. Jef Raskin, Koordinator des Projektes, stand der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" Rede und Antwort. CW: Warum denken Sie über neue Benutzer-Schnittstellen nach? Ist das Mac-Interface nicht gut genug?

CW: Warum denken Sie über neue Benutzer-Schnittstellen nach? Ist das Mac-Interface nicht gut genug?

RASKIN: Zuallererst: Hier geht es nicht um den Mac. Es geht auch nicht um Wintel oder Sun, sondern um den Menschen. Mir ist noch niemand begegnet, der mit der Art und Weise glücklich ist, wie ihn sein Computer behandelt. Die größten Probleme in diesem Bereich kommen durch schlechtes Interface-Design zustande: zum Beispiel übermäßig komplexe Software, fehlende Handbücher sowie Hilfesysteme, die selbst Hilfe bräuchten.

Es ist jetzt 22 Jahre her, dass ich mit der Arbeit am Mac begonnen habe. Heute wissen wir eine Menge mehr als vor 30 Jahren, als das Xerox Parc zum ersten Mal Douglas Englebarts Maus benutzte und windows - mit kleinem "w" wohlgemerkt - erfand. Wenn man heute Anwender nötigt, immer noch mit solchen Interfaces zu arbeiten, dann ist das, als würde man ihnen die alten VGA-Bildschirme und die lahmen Prozessoren aufnötigen, die wir damals benutzt haben.

CW: Welche konkreten Vorteile hätten Anwender von besseren Schnittstellen?

RASKIN: Jedesmal, wenn ein System schneller zu benutzen und leichter zu erlernen ist und damit weniger Frustration auslöst, hat das positive psychologische Auswirkungen auf den Benutzer und führt damit auch zu höherer Produktivität im Unternehmen. Es gibt aber auch physische Vorteile: Ein Interface, das mit weniger Tasten- und Mausbewegungen auskommt, führt seltener zu RSI (Repetitive Stress Injuries).

CW: Scheren sich die Anwender überhaupt um solche Dinge?

RASKIN: Sie glauben gar nicht, wie oft ich mir während der Macintosh-Entwicklung anhören musste, niemand wolle eine grafische Benutzerführung. Die Kritik ging sogar weiter, als das System schon am Markt war. Jetzt benutzt sie jeder.

CW: Wie stellen Sie sich die Verbesserungen der Benutzer-Schnittstellen in den kommenden zehn Jahren vor?

RASKIN: Eine große Frage. Im Allgemeinen machen heutige Interfaces zu starken Gebrauch von Maus und Icons und verlassen sich zu sehr auf Methoden, von denen wir wissen, dass sie zu Fehlern bei der Benutzereingabe führen. Außerdem verwandeln wir gerade das Web in ein Labyrinth kleiner Räume mit undurchsichtigen Türen namens "Reiter" (gemeint sind "Karteikarten"-Navigationsleisten, Anm. d. Red.) und URLs, so dass man nie sieht, wo man gerade hingeht.

CW: Was halten Sie von adaptiven Schnittstellen wie den "persönlich angepassten Menüs" in Windows ME/2000?

RASKIN: Adaptive Interfaces sind ein Desaster. Wenn sich eine Schnittstelle "anpasst", dann tut sie das ohne Warnung. Plötzlich sitzt man vor einem veränderten System, wo Dinge auf einmal anders funktionieren oder die Menüs durcheinander geraten sind. Windows 2000 hat ein paar adaptive Features, und jeder Anwenderbericht, den ich kenne, bezeichnet diese als Ärgernis. Die Leute wollen eine stabile Umgebung, die vom Start weg gut funktioniert, nicht abstürzt und dabei ihre Arbeit oder gar Arbeitsumgebung mitreißt, und die sich nicht verändert.

CW: Bietet Linux Aussicht auf bessere Benutzer-Schnittstellen?

RASKIN: In dieser Beziehung ist das Betriebssystem eine Riesenenttäuschung. Ich mag Linux, aber dessen Entwickler entwerfen bestenfalls kindische Verbesserungen von Standard-GUIs (Graphical User Interfaces). Ein Interface kann man nicht häppchenweise entwickeln.

CW: Werden neue Interfaces einmal die Notwendigkeit beseitigen, neue Programme zu lernen?

RASKIN: Die Schnittstellen, die ich entwickelt habe, tun genau das. In meinen aktuellen Entwürfen wird Ihnen all das angeboten, was Sie brauchen. Sie zoomen heran, und sobald Sie Details eines Texts oder einer Grafik erkennen können, lassen sich diese auch schon bearbeiten. Dann braucht man keine Fenster mehr, die man ständig nur öffnet, schließt, bewegt oder mit denen man herumspielt.

CW: Brauchen denn unterschiedliche Anwendungen nicht auch unterschiedliche User Interfaces?

RASKIN: Ich halte es für möglich, alle denkbaren Anwendungen in eine einheitliche Struktur zu fassen, die man schnell erlernen kann und dann niemals wieder neu lernen muss. Man nutzt praktisch nie alle Features eines Programms. Ich bezweifle, dass es auf diesem Planeten zehn Menschen gibt, die alle Befehle von Microsoft Office kennen. Ein Lösungsansatz ist, dass man nur die Kommandos lädt, die man tatsächlich braucht, statt jedes Mal eine gigantische Anwendung aufrufen zu müssen.

CW: Wie macht sich denn Ihr Zooming-Interface bei den Anwendern?

RASKIN: Bei unseren Tests haben wir festgestellt, dass Leute solche Schnittstellen in Minuten erlernen und schnell lieben. Hinterher fällt es ihnen richtig schwer, zu einem schwerfälligen alten Mac- oder Windows-GUI zurückzukehren. Deswegen bin ich sicher, dass sich solche Ansätze durchsetzen werden, wenn entsprechende Rechner erst einmal erhältlich sind.

CW: Wie wollen Sie solche radikalen Neuerungen in den Markt bringen?

RASKIN: Das ist leider keine Sache, die man in kleinen, allmählichen Schritten angehen kann. Dazu braucht man eine Company wie Apple, die es gewohnt ist, neue Schnittstellen zu bringen. Auf der anderen Seite wäre das eine der wenigen Chancen, ein Milliarden-Dollar-Player im Markt für PCs, PDAs und andere Informationsgeräte zu werden.

Zurzeit befindet sich der PC-Markt in einem Abwärtstrend, und mit ihm die zugehörige Software. Aber ein neues Interface, das PC, Handheld, drahtlose Übertragung und Web integriert, könnte die Wachstumsmaschine wieder ganz neu anwerfen.