Zertifikat setzt Potentiale frei Qualitaetsnorm ISO 9000 ist in der Dokumentation notwendig

25.11.1994

Die Qualitaetsnorm ISO 9000 stellt fuer viele auch in puncto technische Dokumentation lediglich ein notwendiges Uebel dar. Diesem Thema widmete sich die Tagung "ISO 9000 - Technische Dokumentation & Qualitaetsmanagement", die unlaengst in Wien stattfand. Nils Schiffhauer* berichtet ueber die dort diskutierten Probleme und ihre Loesungen.

Wem die Forderungen der ISO 9000 bezueglich technischer Dokumentation vorher nur als eine mehr oder minder laestige Absicherung gegenueber dem Produkthaftungsgesetz erschienen, dem wurde auf der Veranstaltung der ACS GmbH das ausserordentliche Rationalisierungspotential dieser Norm bewusst. Michael Kantel vom Softwarehersteller Frame Technology GmbH erklaerte: "Heute liegen 95 Prozent aller Informationen in den Unternehmen in Papierform vor." Erst die konsistente Umsetzung dieser Dokumente - sie reichen von einer wenige Seiten umfassenden Arbeitsanweisung bis zum 50 000 Seiten dicken Handbuch etwa einer Boeing 737 - ermoeglicht es, die entsprechenden Qualitaetsbausteine nach ISO 9000 zu erfuellen.

Als wichtige Elemente stellte der TUEV Oesterreich die Punkte "Lenkung der Dokumente und Daten" sowie "Lenkung der Qualitaetsaufzeichnungen" heraus, nach denen sich im Rahmen des Qualitaets-Managements dokumentierte und nachvollziehbare Ablaeufe fuer das Erstellen, Pruefen, Genehmigen, Verteilen, Einziehen, Aendern, Archivieren und Wiederfinden technischer Dokumente ergeben.

SGML hilft bei der Dokumentstrukturierung

Je komplexer Produktion und Anwendung sind, desto hoehere Anforderungen werden an die gemeinsame Sprache gestellt, in der Dokumente kuenftig abzufassen sind. Typische Beispiele sind etwa die global vernetzte Luft- und Raumfahrtindustrie oder die arbeitsteilige Autoproduktion. Hier ist in den letzten Jahren mit SGML (Standard Generalized Markup Language) eine Lingua franca mit faszinierenden Eigenschaften entstanden, in deren Mittelpunkt neben dem eigentlichen Inhalt vor allem die Struktur der Dokumente steht.

Eine SGML-Datei laesst sich dabei durchaus auf verschiedene Software anwenden und nach firmenspezifischen Gesichtspunkten optisch individuell darstellen. Aber auch dabei bleiben die Integritaet und Authentizitaet der Dokumente unangetastet. Die Vorteile von SGML liegen beinahe so offen auf der Hand, dass das dahinterstehende Rationalisierungspotential unmittelbar sichtbar wird.

Zentrales Format hat groesstes Ratiopotential

Hans-Peter Wiedling vom Zentrum fuer Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt sieht in SGML ein Medien- sowie Systemuebergreifendes, zentrales Dokumentenformat, dessen wirtschaftliches Ratiopotential sich selbst gegenueber anderen strukturierten Formaten bereits erwiesen hat: In der dreistufigen Prozesskette Dokumentieren/Aktualisieren, Verwalten/Bereitstellen und Nutzen erzielt SGML vor allem in den ersten beiden Stufen gegenueber Papier-basierten Dokumenten ein Ratiopotential von 50 beziehungsweise 85 Prozent.

Die Vergleichswerte gegenueber allgemein strukturierten Dokumenten fallen demgegenueber mit nur 10 beziehungsweise 70 Prozent signifikant ab. Ausserdem, weist Wiedling im Hinblick auf den Dokumentenaustausch zwischen verschiedenen Systemen hin, sei jede Konvertierung mit einem Informationsverlust verbunden.

Dass dies nicht immer der Fall ist, konnte Helmut Faasch von der Lufthansa AG eindruecklich demonstrieren, indem er mit DocMan ein Dokumentationsprogramm vorstellte, das auf SGML basiert. "Die Lufthansa", so Faasch, "verteilt im Jahr etwa 12,8 Millionen Seiten. Die 40 Dokumente pro Flugzeugtyp umfassen zwischen fuenf und 50 000 Seiten, sie werden meist viermal im Jahr revidiert, wobei bisher etwa jeweils 10 Prozent des Dokuments in die Hand genommen werden."

Diese ungeheuren Papierfluten einzudaemmen wird aber laenger als geplant dauern. Bisher ist nur die Dokumentation des Airbus A340 in dieser Form erstellt, Betatests anderer Flugzeuge laufen.

Aber nicht nur der Rationalisierungseffekt ist verlockend, auch die Sicherheit koennte profitieren: "Bei einem elektronisch gepflegten System," so Faasch, "hat beispielsweise der Mechaniker vor Ort immer automatisch die aktuelle Fassung einer Anweisung oder kann sich diese als Arbeitskarte aus dem Dokument ziehen."

Die allgemein anerkannte Sprache dieser Luftfahrtdokumente ist Englisch, Texte in anderen Bereichen aber muessen vielfach uebersetzt werden. Die Konvertierungsprobleme sind hier nicht formeller, sondern inhaltlicher Art, was bisher Heerscharen von Uebersetzern beschaeftigte, die auch die jahrzehntelangen Bemuehungen um ein automatisches Dolmetschen noch nicht um Brot und Lohn gebracht haben. Mit "Logos" und "Metal" stellten Friedericke Bruckert von der Logos GmbH und Alois Neudorfer von der Sietec Systemtechnik ihre pro Sprachpaar etwa 40 000 Mark teuren Uebersetzungsprogramme vor, die sinngemaesse Rohuebersetzungen von beachtlicher Qualitaet bieten.

Goethe verfuegte ueber einen Wortschatz von mehr als 200 000 Woertern mit natuerlich fein abgestuftem Sinngehalt aehnlicher Ausdruecke. Eine Computeruebersetzung wird auch in absehbarer Zeit ihr Heil in der Spezialisierung auf branchenuebliche Fachausdruecke suchen muessen; wobei derartige Lexika auch schon 40000 Eintraege aufweisen koennen. Besonders Neudorfer machte sich - durchaus in Anlehnung an die Form strukturierter Dokumentation - auch fuer einen strukturierten Inhalt und damit fuer die Anpassung von Texten an die Maschine stark. Seine Forderung fuegte sich nahtlos in das ISO- 9000-System ein, das ja selbstverstaendlich eine auch inhaltliche Konsistenz erfordert.

Wie die vor allem formalen Anforderungen an zeitgemaesse technische Dokumentation umgesetzt werden, zeigte Kurt Nagler von Sun, dem Hersteller von Unix-Workstations und Servern. Viele Teile des Unternehmens sind bereits nach ISO 9000 zertifiziert. Wie man sich auf die Ende dieses Jahres anstehende Zertifizierung der Sun Deutschland GmbH vorbereitete, zeigte Nagler anhand seines Qualitaetssystems. Die Ansprueche an dieses System sind in jeder Hinsicht hoch, soll es doch unter anderem jedem Mitarbeiter ohne Schulung Zugriff auf alle Dokumente bieten, zentral zu pflegen sein und die internationale, automatische Verteilung ermoeglichen.

Dass Strukturen im wahrsten Wortsinn das Rueckgrat heutiger wie zukuenftiger technischer Dokumentation ist, das hat die Tagung in Wien eindrucksvoll gezeigt. Sie war zugleich auch eine Bestandsaufnahme von Theorie und Praxis. Vor allem aber hat sie deutlich hervorgehoben, mit welchen Werkzeugen das vielfach brachliegende Innovations- sowie Ratiopotential zu heben ist, und dass sich deshalb - ISO 9000 hin oder her - die Beschaeftigung mit der allgemein als "fuenftem Rad am Wagen" belaechelten technischen Dokumentation auch betriebsintern lohnt.

* Nils Schiffhauer ist freier Journalist in Burgdorf.