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"Zeitbomber" wollen Debatte über Gefahren des Internet anstoßen

27.09.2011
Das Internet ist allgegenwärtig. Aber es ist nie dafür entworfen worden, eine so große Rolle zu spielen. Ein gefährlicher Gegensatz, warnen die Autoren des Buchs "Zeitbombe Internet", die uns vor einer großen Krise sehen.

Steile Thesen verkaufen sich gut - das wissen auch die Wirtschaftsjournalisten Götz Hamann und Thomas Fischermann. Darum warnen sie in ihrem Sachbuch "Zeitbombe Internet" markig: Das globale Netz, diese so wichtige Infrastruktur der digitalen Gesellschaft, sei "erschütternd anfällig" und steuere "auf die größte Krise seiner Geschichte" zu. Auch wenn die "Zeitbomber" - wie sich die Autoren auf Twitter nennen - stark zuspitzen, ist das Buch ein wichtiger Anstoß für eine Debatte über die Zukunft des Internets.

Die Argumentation der beiden Journalisten, die im Wirtschaftsressort der "Zeit" arbeiten: Ohne Internet geht heute nicht mehr viel. Doch diese Infrastruktur sei nicht dafür ausgelegt, dass Milliarden von Menschen darüber kommunizieren, Bankgeschäfte abwickeln oder ihre intelligenten Häusern steuern: "Die offenen und ungesicherten Strukturen, mit denen das Netz von seinen idealistischen Gründervätern ausgestattet wurde, versagen gerade im großen Stil. (..) Die Fundamente wackeln."

Auf knapp 250 Seiten reißen die Autoren eine Fülle von Themen an: Von den Methoden der Cyber-Mafia über die Gefahren für Kraftwerke und vernetzte Häuser bis zum Datenschutz bei Facebook und Google. Von der gezielten Online-Werbung - Targeting - über die Risiken des Cloud Computing bis zum Versagen der deutschen Politik bei Netzthemen. Die Liste der Gesprächspartner liest sich beeindruckend.

Dabei menschelt es kräftig. So kommt eine Unternehmerin zu Wort, der Cyberkriminelle das Konto leergeräumt haben. Ein indischer Hacker plaudert, wie er die Rechner seiner Nachbarn ausspioniert. Und ein Sicherheitsberater doziert durchs Telefon über den Cyberkrieg. Auch die "grün-lila-gelb geringelten Wollsocken" eines Start-up-Gründers und die Prosciutto-Feigen-Sandwiches der Yuppies finden Beachtung.

Bei den technischen Hintergründen lassen die beiden dagegen viele Details weg. Oft dient das der Lesbarkeit - auch ohne den Begriff "Drive-by-Download" versteht man, dass es gefährliche Websites gibt, die schon einem einfachen Besuch den Rechner infizieren.

Allerdings geht die Vereinfachung und Verknappung auf Kosten der Genauigkeit. So fällt im Kapitel über das Targeting weg, dass Nutzer sich gegen die Schnüffeldienste durchaus schützen können - dafür bedarf es lediglich einer kleinen Browser-Erweiterung. Neue Browser haben sogar serienmäßig ein Anti-Tracking-Knöpfchen an Bord.

Zudem dürfte gerade kundigen Lesern die Möglichkeit fehlen, die oft drastisch formulierten Schlussfolgerungen nachzuvollziehen. So berichten die Autoren, wie ein Hacker ohne großen Aufwand geheime Daten von den Handys und Laptops reisender Manager stehlen konnte - die "Wirtschaftswoche" hatte dieses Experiment 2007 angestoßen. Was sie nicht schreiben: Viele der potenziellen Opfer missachteten elementare Sicherheitsregeln und ließen etwa den Nahfunkdienst Bluetooth an. Eine Einladung zum Einbruch.

Das Verdienst der "Zeit"-Journalisten ist es, ein dringendes Thema für eine breite Leserschaft aufzubereiten, ohne sie mit technischen Details überfordern. Das geht manchmal allerdings auf Kosten der Trennschärfe. In der Netzgemeinde handelten sich die Autoren dafür den Vorwurf des "Alarmismus" ein.

Die Autoren enden mit Forderungen an die Politik: Etwa dass Atomkraftwerke oder das Militär nicht ans Netz angeschlossen werden, oder dass Datenpannen strenger bestraft werden und die Unternehmen somit einen finanziellen Anreiz haben, mehr in die Datensicherheit zu investieren. Eine Debatte über Netzthemen jenseits des Datenschutzes bei Facebook und Google wäre längst fällig - vielleicht bringen die Autoren ja etwas ins Rollen. Immerhin: Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) lobte das Buch bei der Vorstellung. (dpa/tc)