Zeitarbeit - Impulse für den Arbeitsmarkt?

21.02.2003
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Die Euphorie über das Hartz-Konzept ist verflogen. Lobbyisten streiten um Kleingedrucktes, mehr als 4,62 Millionen Menschen sind ohne Job. Mehr Zeitarbeit soll den stagnierenden Arbeitsmarkt wieder in Schwung bringen.

Mit ihren Vorschlägen wollte die Hartz-Kommission die Arbeitslosenzahlen in den kommenden drei Jahren halbieren. Dieses Ziel ist in weite Ferne gerückt. Auf der Tagung „Erfolgsmodelle zur Arbeitsmarktbelebung“, die das Zeitarbeitsunternehmen Manpower in Frankfurt am Main veranstaltete, war vom ursprünglichen Optimismus nichts mehr zu spüren. „Die Lobbyisten haben Lücken entdeckt und besetzt“, kritisiert Heinz Fischer, Bereichsvorstand Personal der Deutschen Bank AG und Kommissionsmitglied. Gemeint sind die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Fischer zeigte sich wie der Namensgeber der Kommission, der VW-Personalvorstand Peter Hartz, enttäuscht darüber, dass die Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes zerpflückt und zerredet werden.

Als kleinsten gemeinsamen Nenner favorisieren die verschiedenen Interessengruppen die Beschäftigung bei Zeitarbeitsfirmen als möglichen Lösungsweg aus der aktuellen Misere. Bisher fristet diese Beschäftigungsform in Deutschland ein Randdasein. Weniger als ein Prozent der Beschäftigten wählen diese Alternative. In einigen europäischen Ländern sieht es anders aus. In den Niederlanden beträgt der Anteil an Zeitarbeitskräften am gesamten Arbeitsmarkt zirka 4,2 Prozent, in Großbritannien 4,7 Prozent und in Frankreich 2,1 Prozent.

Auch in den Niederlanden gab es Vorbehalte seitens der Gewerkschaften gegenüber der flexibleren Beschäftigungsform. Mit der Zeitarbeitsorganisation „Start“ gründeten Arbeitsamt, Regierungsvertreter sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände im Jahr 1977 Vermittlungsbüros. Das Arbeitsamt Utrecht unter seinem damaligen Direktor Aart van der Gaag nahm eine Vorreiterrolle ein. „Ich war der erste und einzige Direktor eines Arbeitsamtes, der beruflich nicht innerhalb der Arbeitsbeschaffungsorganisationen aufgewachsen war, und der gute Erfahrungen mit Zeitarbeitsfirmen gesammelt hatte“, erinnert sich van der Gaag, inzwischen Direktor der Algemene Bond Uitzendondernemingen (Allgemeiner Bund für Zeitarbeitsunternehmen = ABU).

Allerdings zeigt sich der ehemalige Arbeitsamtsdirektor heute kritisch gegenüber intensiven staatlichen Förderprogrammen. „In meiner Vision ist es sogar so, dass Arbeitsämter selbst überhaupt nicht mehr vermitteln, sondern Arbeitslose erfassen, nach Fertigkeiten differenzieren, eventuell weiterqualifizieren und die Vermittlung anderen Organisationen überlassen sollten. In den Niederlanden vermitteln heute in erster Linie private Dienstleister Arbeitskräfte.“

In Deutschland ist man vom niederländischen Modell weit entfernt. Seit Januar 2003 wurde die Zahl der staatlichen Arbeitsvermittler um 2069 erhöht. An eine Privatisierung ist derzeit nicht gedacht. Insgesamt stehen jetzt 12500 behördliche Berater zur Verfügung. Wie in den Niederlanden wird aber auch hierzulande die Zeitarbeit neuerdings groß geschrieben. „Die Zeitarbeit ist raus aus der Schmuddelecke“, konstatiert Fischer.

Die bisher schon privatwirtschaftlich organisierte Arbeitnehmerüberlassung soll durch die Personal-Service-Agenturen (PSAs), ebenfalls ein Bestandteil aus dem Hartz-Konzept, weiter ausgebaut werden. Dabei möchten die Arbeitsämter die schon am Markt agierenden Zeitarbeitsunternehmen als Partner gewinnen. Ihre Aufgabe wird es sein, arbeitslose Menschen an Unternehmen zu verleihen und nötigenfalls zu qualifizieren. Möglichst viele Arbeitslose sollen so in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Bis Mitte des Jahres sollen in allen 180 Arbeitsamtsbezirken die neuen Service-Agenturen mit der Arbeit beginnen. Ob die großen Zeitarbeitsunternehmen allerdings an einer engeren Kooperation mit den Arbeitsämtern interessiert sind und in das PSA-Geschäft einsteigen, ist nicht sicher.

Schlechter Start für Personal-Service-Agenturen

Kritiker fürchten, dass die Arbeitsämter in erster Linie ihre schwierigen Fälle an die PSAs übergeben. „Wenn sich jemand arbeitslos meldet, nehmen wir eine Einschätzung der Vermittlungswahrscheinlichkeit und der Risiken vor. Besteht kein Qualifizierungsbedarf und findet sich nach drei bis vier Monaten keine Beschäftigung, kann der Arbeitssuchende in die PSA wechseln“, erklärt Ulrich Gawellek, Referatsleiter für Einstellungs- und Beschäftigungshilfen von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg, das Procedere, dem sich Arbeitssuchende zukünftig stellen müssen. Ob jemand in die staatlich unterstützte Zeitarbeit wechseln kann, hängt allein vom Berater ab. „Wir haben die Empfehlung an die Arbeitsämter gegeben, dass von 100 Arbeitslosen für einen ein Platz in einer PSA vergeben werden kann“, fügt Gawellek hinzu.

Anfangs strebt die BA 50000 PSA-Beschäftigte an. Unklar ist derzeit auch, ob die Zeitarbeiter angesichts der hohen Lohnforderungen vermittelbar sein werden. Ein neues Gesetz sieht Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche vor. Bisher konnten Unternehmen und Zeitarbeitsfirmen individuelle Verträge aushandeln, bis zum Januar 2004 müssen sich die Gewerkschaften und der Bundesverband der Zeitarbeit (BZA) über Tarifverträge einigen.

„Es wird von gleicher Bezahlung (equal pay) von Zeitarbeitern und festangestellten Mitarbeitern gesprochen, im Gesetz wird aber eine Gleichstellung im Sinne des equal treatment gefordert“, präzisiert Wolfgang Böhm, Arbeitsrechtsexperte an der Universität Dortmund. Unternehmen, die Zeitarbeitskräfte beschäftigen, müssten dieser umfassenderen Vorgabe zufolge neben dem Arbeitsentgelt alle Lohnzusatzleistungen zahlen, die Festangestellte erhalten.

„Das ist für Unternehmen unzumutbar, also werden sie, wo es möglich ist, auf Zeitarbeit verzichten“, vermutet Fischer von der Deutschen Bank. Das gleiche Gehalt wie Festangestellte erreichen derzeit nur wenige Leiharbeiter. „Unsere IT-Spezialisten haben fast das Vergütungsniveau erreicht wie ihre festangestellten Kollegen. Das Hauptproblem sind dagegen weniger qualifizierte Mitarbeiter“, schildert Thomas Reitz, Geschäftsführer von Manpower.