Freizügigkeit in der EU ab Mai 2011

Zeitarbeit fürchtet Konkurrenz aus Osteuropa

14.12.2010
Von Gaby Müller
Internationalität und Weiterbildung waren die beherrschenden Themen auf dem vierten Zeitarbeitskongress, dem jährlichen Branchentreff in Köln.
Foto: montebelli/Fotolia

Kaum ist die wirtschaftliche Krise des vergangenen Jahres überwunden und die Arbeitnehmerüberlassung boomt wieder, warten schon die nächsten Herausforderungen auf die Branche. "Dienstleistung entwickeln, heißt heute europäische Zeitarbeit entwickeln", fasste Michel Mattoug, Professor am Steinbeis-Transferzentrum internationale Strategien in Freiburg die große Herausforderung der kommenden Jahre zusammen. Denn schon in knapp einem Jahr, im Dezember 2011, tritt die "EU-Richtlinie Zeitarbeit" endgültig in allen Mitgliedsstaaten in Kraft. Gravierende Veränderungen wird sie hierzulande nicht mit sich bringen, wie Burkhard Boemke, Professor an der Universität Leipzig auf dem Kölner Kongress ausführte. Denn der wichtigste Grundsatz "equal treatment, equal pay" - oder alternativ die Entlohnung nach einem Tarifvertrag - sei in Deutschland erfüllt. So blieben als einige wenige Punkte unter anderem noch der Wegfall aller Restriktionen für bestimmte Branchen und der ungehinderte Zugang auch der Zeitarbeitarbeitnehmer zu gemeinschaftlichen betrieblichen Einrichtungen des Entleihers.

Die Arbeitsmarktgrenzen fallen

Mehr Sorgen bereitet den deutschen Personaldienstleistern da schon die Öffnung der Arbeitsmarktgrenzen für die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten. Denn auch wenn die Beschäftigung in Zeitarbeit in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr um rund 39 Prozent zugelegt hat und die Branche boomt wie nie: Ab dem 1. Mai 2011 herrscht die volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer auch aus Osteuropa. Dann könnten die Karten neu gemischt werden. Befürchtet wird ein wahrer Strom von unqualifizierten Kräften, die im Heimatland zu Dumpinglöhnen eingestellt und nach Deutschland verliehen werden. Damit würden nicht nur deutsche Tarifverträge unterlaufen. Ungelernte oder angelernte Kräfte machen jetzt schon rund ein Drittel aller Zeitarbeitnehmer aus - die Konkurrenz und damit der Preisdruck wüchsen rasant. Auch deshalb wird derzeit in der Politik der gesetzlich geregelte Mindestlohn wieder einmal heftig diskutiert.

Händeringend gesucht werden aber in der Zeitarbeit Fachkräfte und Spezialisten - auch für die IT. Kann da der mögliche Zuzug von Arbeitnehmern aus Osteuropa den Arbeitnehmerüberlassern nicht sogar eine Chance bieten? Oder lohnt es sich gar für deutsche Zeitarbeitsfirmen in Staaten wie Polen oder Rumänien Niederlassungen zu gründen, um dort Mitarbeiter anzuwerben?

"Wir überlegen das als eine mögliche Option, um auf die Herausforderungen der nahen Zukunft zu reagieren", sagt Christian Schmalen, Referent der Geschäftsführung und Personalberater IT bei der Gees & Partner GmbH mit Hauptsitz in Düsseldorf. Das Personaldienstleistungs-Unternehmen ist bundesweit mit 14 Standorten vertreten und hat sich neben den kaufmännischen und technischen Berufen auch auf IT-Fachkräfte spezialisiert. "Neben der reinen Überlassung und Vermittlung bieten wir mit unserer Tochter Gess Consulting Interim- Management und vermitteln IT-Freelancer in Projekte", berichtet Schmalen. Insgesamt rund 200 Fachkräfte monatlich kommen mit Hilfe der Düsseldorfer zum Einsatz. "Darunter sind viele junge Fachinformatiker, die über die Zeitarbeit Berufserfahrung erwerben. Ebenso vermitteln wir aber auch spezialisierte Entwickler und Ingenieure", weiß der IT-Personalberater.

Bei dieser Zielgruppe kann der Dienstleister auch dem heiß diskutierten Thema des gesetzlichen Mindestlohns gelassen gegenüber stehen. "Da Gess Mitglied des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen ist, haben unsere Mitarbeiter ohnehin das Anrecht auf den tariflich vereinbarten Lohn. Jedoch zahlen wir in der Regel sogar deutlich mehr", so Schmalen. Mehr Bedeutung als die Lohndiskussion hat für Gess, wie für viele der in Köln versammelten Personaldienstleister, die Rekrutierung von qualifizierten Kräften. Denn der Markt ist eng, neue Strategien sind gefragt.

Kein Massengeschäft mit Osteuropa

"Wir suchen in unseren Datenbanken, per Anzeige in Jobbörsen und Zeitschriften oder in sozialen Netzwerken nach geeigneten Mitarbeitern", sagt Schmalen. Ob es sich für die kleineren oder die Spezialisten unter den Zeitarbeitsunternehmen lohnt, künftig auch in Osteuropa verstärkt Kräfte anzuwerben? Der Düsseldorfer Personalberater bleibt skeptisch: "Ein Massengeschäft wird das sicher nicht, denn es lohnt sich für alle Beteiligten nur dann, wenn es um gesuchte Spezialisten geht." Nicht im fachlichen Know-how sieht er das größte Hindernis. Es sind vor allem die Sprachkenntnisse. "Auch wenn in der IT Englisch selbstverständlich ist, sind gute Deutschkenntnisse eben auch wichtig und an denen mangelt es häufig", weiß Schmalen.

Liegt angesichts dieser Szenarien nicht in der Weiterbildung der Schlüssel, um mehr qualifizierte Mitarbeiter zu finden? Müssen sich die Personaldienstleister nicht viel mehr auch als Weiterbildungsunternehmen betätigen? Die Forderung wurde auf dem Kölner Zeitarbeitskongress kontrovers diskutiert. Denn dazu müsse eben, wie Anne Rosner, Landesbeauftrage NRW des Dachverbandes IGZ anmerkte, spezielles Know-how aufgebaut und vorgehalten werden. Und vor allem: Es müsse sich auch in den Margen der Überlasser deutlich machen. Aber sind die Entleiher wirklich bereit, für diese Dienstleistung zu bezahlen?

Für dringend gesuchte Fachkräfte wie SAP-Entwickler "sind die Unternehmen bereit, die Kosten für eine Qualifizierung zu übernehmen", betont der Gess-Manager. Allerdings eben nicht für Einsätze von wenigen Tagen oder Wochen, sondern nur für langfristig angelegte Projekte, in denen die Leihkräfte oder Freelancer über Monate oder länger im entleihenden Unternehmen bleiben.