XML löst EDI-Systeme nur langsam ab

06.04.2005
Von Matthias Feßenbecker
Noch vor wenigen Jahren war XML eines der großen Hype-Themen des E-Business. Nun ist es an der Zeit zu überprüfen, ob XML der ihm zugewiesenen Rolle tatsächlich gerecht geworden ist.

Angesichts der Euphorie, mit der die Diskussion um XML seinerzeit geführt wurde, war die darauf folgende Ernüchterung quasi vorprogrammiert. Wie schon so oft erwies sich die unternehmerische Wirklichkeit als harter Prüfstein, und der kometenhafte Aufstieg von XML als "Lingua franca" für B-to-B und EDI blieb aus. Dennoch hat der Standard mittlerweile einen festen Platz im elektronischen Geschäftsdatenaustausch eingenommen.

Der Verbreitungsgrad variiert jedoch stark von Branche zu Branche. Dies ist kaum verwunderlich, steht und fällt der elektronische Datenaustausch doch mit der Vereinbarung von Standards, welche die Interoperabilität sicherstellen. Und diese Aufgabe wird nach wie vor von den Branchenverbänden wahrgenommen. So ist gemäß einer Studie der Technischen Universität Darmstadt aus dem vergangenen Jahr in den Bereichen "Industriegüter" und "Transport/ Logistik" eine überdurchschnittliche Verbreitung von XML festzustellen, während der Standard in den klassischen EDI-Domänen "Konsumgüterindustrie und Handel" - wie zu erwarten - noch in den Startlöchern steht.

Ein universeller, branchenübergreifender Ansatz hat sich bisher nicht durchgesetzt. Das von Oasis und UN/Cefact entwickelte ebXML (beziehungsweise die ebXML Core Components) trat zwar mit genau diesem Anspruch auf den Plan, der E-Business-Standard wartet aber noch immer auf die breite Umsetzung und kämpft dabei gegen Wettbewerber aus den eigenen Reihen, beispielsweise in Form des auf XML-basierenden Standards UBL (Universal Business Language).

Der Vorteil von UBL liegt darin, dass es auf Basis von xCBL entwickelt wurde. Hierbei handelt es sich um ein von Commerce One (und damit auch von SAP Markets) geprägtes XML-Derivat, das durch die weite Verbreitung von SAP-Produkten bereits relativ fest im Markt verankert ist.

Erste Erfolge für ebXML

Im Gegensatz dazu haben es die ebXML Core Components ungleich schwerer. Sie sind quasi auf der grünen Wiese entstanden und bieten lediglich eine Art Baukasten, aus dem sich die unterschiedlichen Branchen eigene Standards zusammenstellen können.

Doch auch ebXML kann mit einem konkreten, erfolgreichen Umsetzungsfall aufwarten. Der CAP-Standard (Common Aftermarket Protocol) für den Ersatzteilehandel in der Automobilindustrie wurde auf Basis der ebXML Core Components erstellt und hat es innerhalb dieser Branche zum breiten Einsatz gebracht. Der Nutzen von CAP liegt dabei in der Harmonisierung des elektronischen Datenverkehrs für eine international agierende Branche, die bis dato durch unterschiedliche regionale, teilweise auch proprietäre und veraltete Standards (ARUA, TECCOM) geprägt war. Dies erklärt auch die schnelle Akzeptanz des Protokolls.

Ob sich eines der XML-Derivate zukünftig zum universellen Standard aufschwingen wird, steht in den Sternen. Für den Konverter, der die Nachrichten verarbeitet, ist es jedenfalls vollkommen unerheblich, ob es sich hierbei um xCBL, UBL oder ein anderes Derivat handelt. Solange ein entsprechendes Schema zur Beschreibung der Nachricht existiert, funktioniert die Verarbeitung unabhängig vom eingesetzten Standard.

Wer nun das Rennen macht, ist daher weniger eine technische Frage. Entscheidend ist, ob die Branchenverbände und große Anwender sich selbst und ihre Anforderungen in dem Standard wiederfinden.

Generell lässt sich jedoch ein kontinuierlicher Anstieg des Einsatzes von XML verzeichnen. In der von der TU Darmstadt erarbeiteten Studie gaben immerhin knapp 40 Prozent der Befragten an, XML-basierende Standards zu nutzen. Weitere 20 Prozent befinden sich bereits in der konkreten Planung beziehungsweise in der Evaluierungsphase. Dennoch geht diese Entwicklung bisher kaum zu Lasten des altbewährten EDI. Angesichts der nicht unerheblichen Summen, die in den letzten Jahren in klassische Systeme für den elektronischen Datenaustausch investiert wurden, ist dies auch kaum verwunderlich.

Ist XML das bessere EDI?

Getreu dem Motto "Totgesagte leben länger" erfreut sich EDI nach wie vor großer Beliebtheit. Vor allem in Unternehmen mit einem hohen Transaktionsvolumen ist es eine feste Größe, auch wenn im Rahmen der XML-Euphorie lautstark die Ablösung von EDI durch XML propagiert wurde. Diese Forderung war jedoch schon damals umstritten, wurde sie doch vor allem durch Internet-Startups erhoben, die nach der Lektüre der XML-Spezifikation meinten, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Da sich viele dieser XML-Verfechter zuvor noch nie ernsthaft mit dem Themenkomplex des elektronischen Datenaustauschs beschäftigt hatten, ist es kein Wunder, dass das angekündigte Ende von EDI nie eingetreten ist.

Keine Ablösung von EDI in Sicht

Unbestritten ist zwar, dass sich XML einen festen Platz neben den etablierten EDI-Standards erobert hat. Von deren Ablösung kann aber bisher keine Rede sein. Sicher gibt es in diversen Branchenverbänden wie dem VDA oder dem Handel Initiativen, die sich eine Migration der Edifact-Standards in Richtung XML zum Ziel gesetzt haben. Von einem breiten Einsatz in der Praxis sind sie aber noch ein ganzes Stück entfernt.

Tendenziell werden Branchen mit einer starken EDI-Durchdringung auch in Zukunft erst einmal an den bewährten Systemen festhalten, wenngleich mehr und mehr Unternehmen parallel dazu mit XML-basierenden Transaktionsformen experimentieren. XML hingegen wird sich zunächst in den Bereichen durchsetzen, in denen EDI noch gar nicht oder erst seit kurzem im breiten Einsatz ist. Beispiele hierfür sind Rosettanet in der Hightech-Branche, CIDX in der chemischen beziehungsweise PIDX in der Petrolindustrie sowie Papinet im Bereich der papier- und holzverarbeitenden Industrie.

Allheilmittel zur Kostensenkung?

Den Verbänden der genannten Branchen ist es gelungen, die mit dem XML-Hype verbundene Begeisterung und die daraus resultierende Investitionsbereitschaft zu nutzen, um ihr Anliegen im Bezug auf den integrierten Datenaustausch durchzusetzen. Auch bei Anwendungen, die während des Internet-Hypes entwickelt wurden, wie beispielsweise E-Procurement-Systeme oder Marktplätze, hat XML die Nase vorn.

Nachdem die Diskussion um XML lange Zeit sehr technikorientiert geführt wurde, steht derzeit wieder der betriebswirtschaftliche Nutzen im Vordergrund von Investitionsentscheidungen. Doch statt greifbarer Zahlen trifft man häufig auf die gängigen Vorurteile, denen zufolge EDI teuer ist, während XML einen kostengünstigen elektronischen Datenaustausch verspricht. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Ist XML dem guten alten EDI in dieser Hinsicht wirklich überlegen?

Eines ist klar: XML nur um seiner selbst willen eingesetzt bringt keinen finanziellen Vorteil. Der Nutzen liegt nicht in der Wahl des Standards, sondern in seiner Anwendung im Rahmen von integrierten Geschäftsprozessen (Business-to-Business-Integration). Denn durch eine automatisierte Zusammenarbeit mit sämtlichen Geschäftspartnern entlang der Supply Chain lassen sich Kosten reduzieren und die Durchlaufzei- ten verkürzen. Entscheidend ist daher zunächst die Schaffung einer Infrastruktur für unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse.

Die Neueinführung einer solchen Plattform ist natürlich immer mit Investitionen verbunden. Der größte Aufwand liegt dabei in der Bereitstellung der Anwendungsschnittstellen sowie in der Einigung über die organisatorischen und verwaltungstechnischen Abläufe der Partnerintegration. Diese Investitionen fallen jedoch unabhängig von dem gewählten Austauschformat an. Das heißt, hat man sich einmal für den elektronischen Datenaustausch entschieden, spielt es eigentlich keine Rolle mehr, ob die Daten nun per EDI oder per XML übertragen werden. Die Unternehmen profitieren in jedem Fall von einer enormen Kostenersparnis.

EDI von gestern, XML von heute

Anders verhält es sich bei der Umstellung etablierter EDI-Prozesse auf XML-Standards. Hier sind die Kostenvorteile schwer zu beziffern, da der eigentliche Nutzen durch die Partnerintegration bereits gegeben ist. Der mögliche Mehrwert durch den Einsatz von XML liegt höchstens in Details begründet und muss für jeden Einzelfall neu herausgearbeitet und abgewogen werden.

XML ist mittlerweile aus dem bunten Strauß an Standards für den elektronischen Datenaustausch nicht mehr wegzudenken, auch wenn er seinem größten Rivalen das Revier bisher nicht ernsthaft streitig machen konnte. Die Stärken liegen vor allem im Bereich der Web-basierenden Transaktionen. Typische Szenarien sind die Anbindung von Marktplätzen oder die Integration von E-Procurement-Systemen. Von der Zunahme Internet-Anwendungen wird natürlich auch XML profitieren, sofern es gelingt, die unzureichende Standardisierung und den gefürchteten Subset-Wildwuchs in den Griff zu bekommen.

Darüber hinaus gibt es durchaus einen Trend, beim Aufsetzen neuer Prozesse für den elektronischen Datenaustausch auf XML statt auf EDI-Nachrichten zurückzugreifen. Nüchtern betrachtet sind hierfür jedoch weniger wirtschaftliche als vielmehr emotionale Gründe die Ursache. EDI ist eben von gestern und XML von heute. Und man will ja schließlich mit der Zeit gehen.

Die eigentlichen Herausforderungen in Sachen Partnerintegration liegen jedoch in der Abstimmung zwischen den Teilnehmern entlang der Supply Chain. Denn Collaborative Commerce fordert ein effizientes Community-Management der integrierten Partner. Hier könnte XML seinen Nutzen voll entfalten. (ws)