DV-Hersteller beugen sich dem Druck der Kunden

X/Open hofft auf Marktbelebung durch Öffnung zum Anwender hin

23.08.1991

LONDON (CW) - Das zuletzt als "Debattierclub" ins Gerede gekommene X/Open-Konsortium hat jetzt drastische Maßnahmen angekündigt: Gegenüber den DV-Herstellern sollen die bisher unterrepräsentierten Anwender deutlich an Einfluß gewinnen. Von einer umfassenden Restrukturierung erhofft sich die Gruppe, den Standardisierungsprozeß zu beschleunigen.

Der eigentliche Grund, weshalb X/Open reagieren und den Einfluß der Anwender erhöhen wolle, liege in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwäche der gesamten DV-Industrie - so zumindest zitiert der englische Branchendienst "Computergram" X/Open-Präsident Geoff Morris. Die Anwender seien mit der Open-Systems-Politik der Hersteller nicht zufrieden und zögen ihre Konsequenzen daraus. Zunehmend stagnierten die Verkaufszahlen, würden umfassende Sanierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich. Deshalb hätten sich die X/Open-Sponsoren - allesamt DV-Hersteller - zu der Neustrukturierung entschlossen.

Das Konsortium, so heißt es bei "Computergram", soll zum Schmelztiegel verschiedener Anwendervereinigungen gemacht werden, die sich für die Durchsetzung offener Systeme stark machen.

Etwa ein Dutzend der größten unabhängigen User-Gruppen, die dieses Ziel verfolgen, werden demnach schon bald eng mit der X/Open-Gruppe zusammenarbeiten. Mit Organisationen wie der User Alliance for Open Systems oder der Corporation for Open Systems werde das X/Open-Konsortium demnächst Gespräche über künftige Kooperationen führen. Auch ein eventuelles Take-over steht zur Diskussion.

"Die Zunahme von herstellerunabhängigen Anwenderorganisationen innerhalb der IT-Industrie zwingt X/Open dazu, nach neuen Wegen zu suchen, um diesen Gruppen zu mehr Einfluß zu verhelfen", betonte Präsident Geoff Morris auf der Vorstandsversammlung. "In dem Maße, wie der Markt expandiert, wächst auch das Bedürfnis, die Interessen aller beteiligten Gruppen zu berücksichtigen." Daß dies nicht immer der Fall war, wurde dem Londoner Konsortium von seiten der Anwender bereits mehrfach angekreidet (siehe CW Nr. 27 vom 5. Juli 1991, Seite 13: "X/Open-Diskussion: "Wer das Geld hat, hat auch das Sagen" ").

Die Organisation will nach eigenem Bekunden künftig in erster Linie als Integrationsinstanz fungieren: Sämtliche Marktteilnehmer, vom Systemanbieter über den Software-Entwickler bis hin zum User, sollen zur Zusammenarbeit bewegt werden. Dieser erweiterte Anspruch soll auch dazu führen, daß der Input für die angestrebte herstellerunabhängige Anwendungsumgebung Common Applications Environment (CAE) größer wird. Zudem will sich das Gremium um engere Verbindungen zu den verschiedenen offiziellen und inoffiziellen Standardorganisationen bemühen.

Wie dieses große Ziel in der Praxis erreicht werden soll, ist noch nicht geklärt. Der Vorstand gab einen Durchführungsplan in Auftrag, den X/Open gemeinsam mit einem Beratungsunternehmen ausarbeiten soll. Der Anwenderbeirat, die Independent Software Vendors und die Systems Vendors stimmten den Plänen des Vorstands zu.