Deutsche Großunternehmen zeigen noch wenig Risikobereitschaft, aber:

X/Open-Gruppe nimmt Anwender in die Pflicht

15.01.1988

SAN FRANCISCO (CW) - Die Herstellervereinigung X/Open hat als Beiräte jetzt einige amerikanische sowie europäische Großanwender und unabhängige Software-Anbieter gewonnen. Sie sollen das Unix-Konsortium der elf Internationalen Computerhersteller künftig bei der Festlegung technischer und vertrieblicher Prioritäten unterstützen. Deutsche Anwenderfirmen sind in den neuen X/Open-Gremien nicht vertreten.

Damit hätten bundesdeutsche Unix-Anwender ihre Chance vorerst ungenutzt verstreichen lassen, die Standardisierung des herstellerunabhängigen Betriebssystems nach eigenen Wünschen mitzugestalten, heißt es aus Kreisen der Herstellervereinigung. Unter den Anwendern, die von den X/Open-Mitgliedern Nixdorf und Siemens für diese Initiative vorgeschlagen wurden, befinden sich klangvolle Namen wie Daimler-Benz, Volkswagen und die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Eine Stellungnahme über ihren Rückzieher lehnten die Betroffenen ab.

Wie die X/Open Ltd., London, mitteilt, werden die Beiräte regelmäßig zusammentreten, um die Unix-Gruppe bei der Entwicklung einer einheitlichen Anwendungsumgebung (Common Applications Environment) für die DV-Industrie zu beraten und zu unterstützen. Die Mitglieder der Beiräte sind jeweils leitende Mitarbeiter des Informationswesens bei amerikanischen und europäischen Großanwendern sowie Software-Anbietern.

Einziger deutscher Vertreter aus der Gilde der unabhängigen Weichwerker ist die Softlab GmbH, München (siehe Kasten).

Reiner Fröhlich, Direktor im Bereich Information und Technologie des Münchner SW-Hauses, setzt hohe Erwartungen in die Mitarbeit des Beirates: "Ich verspreche mir mehr Kompatibilität und Einheitlichkeit vor allem bei kommerziellen Unix-Anwendungen, die über die X/Open herbeigeführt werden kann." Verwundert indes ist der Softlab-Manager über die Abstinenz deutscher Anwender. Banken oder Versicherungen würden seit Jahren die zu intensive Herstellerbindung beklagen und bei ihren dezentralen Systemen zunehmend auf Unix setzen. Kommentiert Fröhlich: Wenn das wirklich eine Lösung sein soll, müßten sie sehr stark an einer Standardisierung interessiert sein, um problemlos von einem Hersteller zum nächsten migrieren zu können."

Auch für Axel Kropp, der in der Marketing-Gruppe der X/Open die Nixdorf-Interessen vertritt, kommen die Rückzieher der nominierten Anwender überraschend: "Es ist nicht zu fassen. Wir werden uns auf dem nächsten X/Open-Meeting in London am 22. Januar mit den Anwendern zusammensetzen und versuchen, die Hintergründe zu klären."

Glaubt man den Darstellungen von X/Open-Mitgliedern, ist die Aktion an der mangelnden Bereitschaft der Anwender gescheitert, auf internationaler Ebene mitzuarbeiten. Dazu Jürgen Dippe, Gruppenleiter im Bereich Neue Märkte bei der Siemens AG, München, und Mitglied im Marketing-Komitee von X/Open: "Anfangs waren die Anwender von der Idee begeistert; als sie aber sahen, daß damit eine Menge Arbeit verbunden ist, war die Euphorie vorbei."

Daß die Auswahl der Anwenderunternehmen möglicherweise ein Fehlgriff war, will Dippe nicht ausschließen: "Wir standen bei der Suche nach Partnern unter Zeitdruck; da könnte es sein, daß wir in der Eile die falschen nominiert haben."

Die amerikanischen und europäischen Unix-Beiräte der X/Open-Gruppe

Anwender:

Aetna Life and Casualty; British Airways (UK); Commission of European Communities (Belgien); Central Computer and Telecommunications Agency; Eastman-Kodak Corp.; Lockheed Corp.; Manufacture Pneumatique Michelin (Frankreich); National Bureau of Standards, Institute for Computer Sciences and Technology; Shearson-Lehman Brothers; Swedish Agency for Administrative Development (SAFAD); United States Department of the Treasury.

Software-Anbieter:

Cullinet Software, Foundation Computer System, Information Dimensions Europe Inc., Informix Software, Multihouse Systeemhuizen Gouda BV, Oracle Software, Quadratron Corp., Relational Technologies Inc., Softlab GmbH für Systementwicklung, Sybase, Unify Corp., Uniplex.