IG-Metall-Veranstaltung

Wunsch und Wirklichkeit des E-Business - was die Zukunft bringen könnte

16.03.2001
FRANKFURT/M. (jm) - Jeder redet über das E-Business, keiner weiß genau, was es bringen wird. Von manchen Erwartungen in das neue Geschäftsmodell wird man sich möglicherweise mittelfristig verabschieden müssen.

Anlässlich einer Veranstaltung der IG Metall zum Thema "E-Business in der Automobilindustrie und IT-Branche" räumte Brigitte Preissl vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, mit einigen positiven wie negativen Vorurteilen auf, die in der öffentlichen Diskussion über die Möglichkeiten von E-Business-Geschäftsmodellen gehandelt werden. Preissl zitierte eine Prognose von Forrester Research, in der das Marktforschungsinstitut für Westeuropa in den kommenden zwei bis drei Jahren raketenhaft wachsende Umsätze im B-to-B- und - allerdings sehr viel geringer boomend - im B-to-C-Geschäft voraussieht.

Dichtung und Wahrheit im E-Business-ZeitalterDem hält die Wirtschaftsexpertin entgegen, dass diese Umsatzsprünge nicht zusätzlich zu den zu erwartenden Erträgen erwirtschaftet werden: "Es handelt sich hierbei nicht um wirklich neue Umsätze, sondern um solche, die statt bisher über herkömmliche nun über neue Medienwege erzeugt werden." Die Umsätze "insgesamt" blieben aber gleich.

Sie stellte sich auch gegen die häufig geäußerte Behauptung, über E-Business-Wege ließen sich die Transaktionskosten reduzieren: "Das ist empirisch kaum belegbar." Richtig sei allerdings, dass die Beschaffungskosten durch E-Business-Geschäftsmodelle sinken. Auch der Wettbewerb zwischen den Unternehmen wird sich durch das E-Business verschärfen. Vor allem aber, so Preissl, werden die Produktionsverfahren endlich von Optimierungsmöglichkeiten profitieren, die durch den Fortschritt in der IT jetzt schon existieren. Ein wesentliches Potenzial sei etwa, dass Wertschöpfungsketten sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehr wirkungsvoll miteinander verknüpfen und Abläufe so erheblich verbessern lassen. Interessant werde das E-Business-Geschäftskonzept vor allem deshalb, weil es eine erhöhte Markttransparenz schaffe.

Für den Fall eines E-Commerce-Booms geht Preissl von einem zusätzlichen Stellenbedarf aus. Dafür würden die dann notwendigen organisatorischen und strategischen Anpassungen sowie der Ausbau der Infrastruktur in den betroffenen Unternehmen sorgen. Nutze Deutschland seine Chancen als Standort für internationale Angebote, könnten viele neue Infrastrukturunternehmen aus dem Boden schießen. Die so entstehenden Beschäftigungsimpulse würden gleichzeitig auftretende Rationalisierungseffekte überkompensieren.

Sollte sich der E-Commerce-Boom allerdings verzögern, trete mit aller Voraussicht nach das Gegenteil ein. Außerdem ließen sich in diesem Fall auch Rationalisierungspotenziale nur zeitversetzt nutzen. Auf der Angebots- und Anwendungsseite entstünde deutschen Unternehmen im Falle einer nur zögerlichen Annahme des E-Commerce auf internationaler Ebene ein Wettbewerbsproblem. Verschliefen deutsche Unternehmen die sich durch das E-Commerce-Modell ergebenden Möglichkeiten, so sei damit zu rechnen, dass ausländische Firmen "auf elektronischem Weg in hiesige Märkte eindringen und diese besetzen". Die Infrastruktur wird sich in diesem Fall vor allem im Ausland ansiedeln. Eine inländische Nachfrage führt dann logischerweise nur im Ausland zu Beschäftigungsschüben.

Auch Joachim Klink von der Fraunhofer-Gesellschaft IPA (FHG-IPA) bewertete das E-Business-Modell kritisch. Dessen Verbreitungstempo und Wertschöpfungskraft in Unternehmen seien zwar groß, würden derzeit jedoch stark überschätzt. Genauso aber unterschätzten viele Diskutanten momentan E-Business in seiner Tragweite für die Wertschöpfung in der Gesellschaft.

Im Weiteren offerierte Klink Thesen, die das Fraunhofer-Institut im Zuge der hausinternen Beschäftigung mit dem Thema E-Business aufgestellt hat und die auch in ihrer Vorläufigkeit - O-Ton Klink: "Unsere Untersuchungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen" - recht provokant sind.

Die Wissenschaftler sehen in Zukunft eine Teilung der Gesellschaft. Diese werde sich durch eine "Rock-and-Roll-Mentalität" auszeichnen nach dem Motto: "Arbeite viel, werde schnell erfolgreich und stirb früh." Zudem dürfte sich ein privilegierter Menschentypus herausbilden, der aufgrund seiner Qualifikation in der Lage ist, Beruf, Familie und Freizeit zu koordinieren. Dem stünde in Zukunft ein E-Proletariat gegenüber: Menschen, die die Anforderungen an "E-Jobs" nicht erfüllen und die deshalb unattraktive Arbeiten annehmen müssen, um ihr bloßes Überleben zu sichern.

Das Fraunhofer-Institut sieht die Bedeutung von Unternehmen als stabile organisatorische und soziale Heimat von Berufstätigen schwinden. Ganz allgemein könne man davon ausgehen, dass in Zukunft die Arbeitswelt sehr viel "ungeregelter" sein werde. Das gilt sowohl für die Arbeitsinhalte wie für die Arbeitszeiten. Auch die Arbeitsmittel und -orte werden viel weniger organisiert sein.

Die Generation @ - Love and LeaveDie FHG-Wissenschaftler sehen eine "Generation @" heranwachsen, die sich durch eine - so Klink - "Love-and-Leave-Mentalität" auszeichne: Darunter versteht er flexible, leistungsorientierte, selbstbewusste, beruflich engagierte Menschen, die sich allerdings auch durch ihren Egoismus, ihre Treulosigkeit gegenüber dem Arbeitgeber und durch ihre Oberflächlichkeit auszeichnen würden. Leiten ließen sie sich durch "die Sucht nach dem Kick, dem sofortigen Lustgewinn und dem schnellen Erfolg".

Abb: Entwicklung der B-to-B- und B-to-C-Umsätze

Quelle: Forrester Research 2000, DIW