Neun Produkte im Vergleich

Workflow-Studie: Filenet hat an Boden verloren

06.02.1998

Neun marktgängige Produkte hat sich Martin Ader, Autor der "Workflow Comparative Study", vorgenommen. Das Spektrum reicht von Applikationen für transaktionsintensive High-end-Anwendungen bis hin zum E-Mail-basierten Desktop-Tool. Anhand von 247 getesteten Features, gruppiert in zwölf Disziplinen, arbeitet Ader die Eignung der Systeme für die verschiedenen Workflow-Varianten heraus.

Das größte Angebot, zumindest unter den Testkandidaten, gibt es für den sogenannten Production-Workflow, bei dem Formulare nach einem festgelegten Schema mit bis zu drei Aktivitäten pro Minute bearbeitet werden. Diese Art des Workflows verspricht ein besonders hohes Rationalisierungspotential, wenn die Vorgangsbearbeitung zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehört. Ständig wiederkehrende und nur wenig variierende Arbeitsschritte lassen sich damit automatisieren. Beispiel ist hier das strukturierte Antragswesen von Versicherungen und Finanzdienstleistern. Zu den typischen, von Ader untersuchten Angeboten dieses Segments gehören die Lösungen von Eastman ("Eastman Workflow"), Staffware ("Staffware"), W4 ("World Wide Web Workflow"), IBM ("Flowmark"), Filenet ("Visual Workflo") sowie Software-Ley ("Cosa Workflow").

Als ein für Production-Workflow aussagekräftiges Leistungskriterium wurden die Durchsatzraten der Produkte definiert, kombiniert mit der Workflow-Distribution auf Multi-Server-Umgebungen. Der beachtliche Nutzungsgrad von Single-Prozessorsystemen in Verbindung mit guten Eigenschaften zur Workflow-Verteilung (Distribution) auf mehrere Rechner sicherten Staffware den ersten Platz in dieser Disziplin. In kurzen Abständen folgen die Eastman-Software, der eine nahezu perfekte Workflow-Skalierung auf mehrere Multiprozessor-Maschinen attestiert wurde, sowie Flowmark mit kleineren Schwächen bei der Distribution.

Alle drei Produkte unterstützen bis zu 100000 Aktivitäten pro Stunde in verteilten Konfigurationen (Formulare empfangen, bearbeiten, absegnen, weiterleiten etc.). Visual Workflo rangiert dagegen am unteren Ende der Skala: Es fehlen die Distributions-Features, die Leistung reicht bis zu 40000 Aktivitäten stündlich.

Weiterhin untersuchte der Pariser Marktforscher das Potential der Entwicklungsumgebungen, um Workflow-Prozeduren und -Aktivitäten definieren zu können. Gerade im Production-Workflow muß die Abbildung komplex vernetzter Vorgangsstrukturen und die Einbindung externer Werkzeuge über APIs möglich sein.

In beiden Disziplinen lag das Produktfeld eng beieinander. Daß W4 jeweils zum Klassenbesten aufrückte, lag ausschließlich an der Fortschrittlichkeit und dem modernen Design des komplett auf Internet-Techniken basierenden Newcomers.

In diesem Zusammenhang nahm Ader auch den Tool-Komfort ins Visier - eine Voraussetzung für schnelle Entwicklungsergebnisse (das Definieren einer Prozedur dauert beim Production-Workflow ohne Analyse etwa einen Tag). Das Resultat: Obwohl mittlerweile alle untersuchten Lösungen über eine grafische Oberfläche verfügen, zeigen sich dennoch gravierende Unterschiede. Spitzenreiter Cosa Workflow beispielsweise bietet zur Entwicklung von Prozeduren eine Reihe integrierter Features wie "Undo", "Status akzeptiert/verweigert", "Zurückleiten" oder "Anmerkungen". Auch W4 nimmt für sich in Anspruch, Prozeduren ohne eine Zeile Programmcode gestalten zu können.

Die grafischen Tools von Visual Workflo schneiden deutlich schlechter ab, da sie über keine derartigen Software-Assistenten verfügen. Auch die von den Analysten geforderte Online-Verbindung zur Datenbank, mit deren Hilfe die Zusammenarbeit mehrerer Workflow-Autoren und die entsprechenden Konsistenzprüfungen unterstützt werden, erfüllt das Filenet-Produkt nicht.

Was den Komfort der Aktivitäten-Definition betrifft, muß Cosa allerdings einen herben Rückschlag in Kauf nehmen. Hier erwarten die Tester Bibliotheken und einfache Scriptsprachen, um Funktionen wie "Annehmen", "Verweigern" oder "Delegieren" eines Vorgangs festzulegen. Cosa, Flowmark und Visual Workflo setzen dafür jedoch eine Programmiersprache voraus.

Ein für den Production-Workflow ebenfalls relevantes Kriterium stellen die Dispatching-Eigenschaften der Produkte dar. Damit sind Verteilmechanismen gemeint, die eine Zuordnung von Aktivitäten auf Workflow-Teilnehmer und deren Kompetenzen erlauben. Gefragt ist möglichst hohe Flexibilität, um Organisationsmodelle beziehungsweise deren Veränderungen nachzubilden. Aufgrund von ausgefeilten Substitutionsmechanismen wurde Cosa als besonders anpassungsfähig eingestuft, während sich Flowmark, W4 und Staffware im Mittelfeld bewegen.

Für Ader überraschend kam die weit abgeschlagene Plazierung von Visual Workflo und Eastman. Der Experte moniert, daß mit beiden Produkten nur träge auf Organisationsveränderungen reagiert werden kann.

Mangelnde Flexibilität ist auch der Grund, weshalb sich typische Production-Lösungen nur bedingt für den sogenannten Administrative- und schon gar nicht für den Collaborative-Workflow eignen. Im administrativen Bereich, wo es beispielsweise um relativ simple, digitalisierte Formulare für Bürobedarf, Reiseanträge oder Personalwesen geht, ist weniger die Performance gefragt. Die Benutzerrate variiert täglich, auch wenn insgesamt eine große Anzahl von Teilnehmern angeschlossen ist. Ähnlich wie beim Production-Workflow sind allerdings auch für Administrative-Anwendungen genau definierte und stabile Prozeduren erforderlich.

Ader zufolge eignen sich für diesen Bereich neben Staffware und W4 die Produkte "Teamware Flow" (Teamware Group) und "Inconcert" (Xerox-Tochter Inconcert). Die letzteren zwei glänzen laut Test vor allem dann, wenn Ad-hoc-Veränderungen in einen strukturierten Workflow eingebaut werden müssen (neue Verteiler unter den Sachbearbeitern, veränderte Aufgabenzuordnung etc.). Der Vorteil der beiden Testkandidaten besteht darin, daß sie mit Kopien für jede einzelne Prozedur- und Aktivitätendefinition arbeiten und somit selektive Änderungen erlauben. Staffware basiert hingegen auf einem Organisationsmodell, bei dem sich jede Modifikation dynamisch auf alle prozeduralen Instanzen auswirkt.

Ihre Spitzenpositionen in Sachen Flexibilität kommen Teamware und Inconcert vor allem beim Collaborative-Workflow zugute: Dort sind sie die einzigen in der Studie aufgeführten Produkte. In dieser Workflow-Variante sind Prozeduren nicht mehr statisch vorgegeben. Vielmehr kommt es darauf an, Arbeitsgruppen einen strukturierten, aber dynamischen Weg für ihre Aufgaben anzubieten. Einsatzgebiete sind die Vorbereitung, Abstimmung und Freigabe von Dokumenten etwa zur Budgetplanung.

Selbst für den individuellsten aller vier Workflow-Arten, den Ad-hoc-Workflow, sollen sich die Teamware- beziehungsweise Inconcert-Instrumente noch eignen. Hier werden Prozeduren nur noch von Fall zu Fall definiert. In diese Kategorie hat Ader auch die Desktop-Lösung Ensemble von Filenet aufgenommen, das einfachste System unter den neun Testkandidaten. Die Software setzt auf E-Mail-Programme auf und läßt sich dadurch beachtlich skalieren. Dem Anspruch auf möglichst einfache Bedienung trägt das Produkt Rechnung, indem es eine rein grafische, damit aber auch weitgehend eingeschränkte Entwicklung von Prozeduren zuläßt.

Neubewertung möglich

Der Produktvergleich der Workflow Comparative Study erfolgt in zwölf Disziplinen. Die darin zusammengefaßten 247 Features wurden von Autor Martin Ader gewichtet. Sollte ein Leser aufgrund der individuellen Situation eine andere Beurteilung bestimmter Funktionen vorziehen, kann er seine persönliche Gewichtung in die elektronische Fassung der Studie eingeben, eine Neubewertung des Produkts in der entspechenden Disziplin soll folgen. Die Studie von W&GS, Paris, ist in Papierform für 6500 Franc und zusammen mit der elektronischen Kopie für 9750 Franc erhältlich (Telefon: 0033/1 4238 08 02 oder http://www.imaginet.fr/qws).