Workflow: Entscheidend ist die Ablauforganisation Oesterreichische Bundesministerien auf dem Weg zur elektronischen Vorgangsbearbeitung

02.12.1994

Workflow-Management? Nichts weiter als ein moderner Anstrich fuer die gute alte Buerokommunikation! Dieses (Vor-)Urteil ist nicht nur weit verbreitet, sondern bisweilen sogar richtig. Tatsaechlich bilden Textverarbeitung, Dokumentenverwaltung, Kalender und Mail- Funktion die essentiellen Bestandteile jedes Workflow-Management- Systems - ergaenzt allenfalls durch neue Techniken wie Scanner und Image-Processing-Software. Erst der ganzheitliche Ansatz bringt eine neue Qualitaet ins Spiel. Modernes Workflow-Management heisst, einen Vorgang unabhaengig von abteilungs- und hierarchiebedingten Grenzen als Gesamtheit zu erfassen. Genau deshalb stossen diese Systeme aber haeufig auf den Widerstand der Anwender. Eine durchgaengige Vorgangsbearbeitung verlangt ihnen eine neue Arbeitsweise ab und unterlaeuft dabei die gewachsenen Organisationsstrukturen. Diese Erfahrung machten auch die Workflow-Pioniere im Finanzministerium und Kanzleramt der Bundesrepublik Oesterreich.

Eine Behoerde ist ein ganz besonderer Anwenderbetrieb: konsequent hierarchisch aufgebaut, mit strenger, fein aufgegliederter Arbeitsteilung und detaillierten Verfahrensregeln, aber ohne standardisierte Prozesse, wie sie in Fertigungsbetrieben sowie in der Finanzwirtschaft ueblich sind. Die Arbeitsweise zeichnet sich zudem durch die sprichwoertliche Aktenmaessigkeit aller Vorgaenge aus.

Mit der EU-weiten Forderung nach Posix-konformen Systemen und dem gewachsenen Kostenbewusstsein der Regierungen haben nicht nur Client-Server-Systeme, sondern auch die Idee einer DV-gestuetzten Vorgangsbearbeitung in den Amtsstuben Fuss gefasst. Doch wer in die Ablaeufe eines buerokratischen Systems eingreifen will, bekommt es mit dessen notorischem Beharrungsvermoegen zu tun. Diese Stabilitaet konnte sich nicht zuletzt deshalb ungestoert herausbilden, weil das Moment der Ergebnisorientierung, neudeutsch Management by Objectives genannt, in einer solchen Gesetzesvollzugs-Maschine stark unterentwickelt ist.

Zwei leitende DV-Mitarbeiter der obersten oesterreichischen Bundesbehoerden haben sich davon nicht abschrecken lassen. Robert Schlichting vom Bundesministerium fuer Finanzen (BMF) und Herbert Wiesboeck vom oesterreichischen Bundeskanzleramt (BK) verfolgen seit insgesamt zehn Jahren das Anliegen, in den Behoerden ihres Heimatlandes die Voraussetzungen fuer eine DV-gestuetzte Aktenbearbeitung zu schaffen.

Als vor einigen Jahres die oesterreichische Verwaltungsreform ihren Anfang nahm, fanden sich Schlichting und Wiesboeck in der Projektgruppe "Verwaltungs-Management" wieder. Dass die "Maria- Theresianische Kanzleiordnung" des oesterreichischen Staates seit dem vergangenen Jahr eine elektronische Bearbeitung von Akten ueberhaupt zulaesst, ist ein Verdienst, das diese Taskforce fuer sich reklamieren darf.

Neben einem Ideenkatalog fuer die Umsetzung eines Workflow-Konzepts erarbeitete das "Verwaltungs-Management"-Projekt auch Vorschlaege dafuer, welche Teile der zentralen Kanzleiorganisation sich in die Fachbereiche ausgliedern lassen. Noch offen ist allerdings die Frage, wie zusammengesetzte Dokumente mitsamt ihren Metadaten (Geschaeftszahlen, Aktengegenstand, Verlauf etc.) zwischen unterschiedlichen Ministerien via Electronic Data Interchange (EDI) ausgetauscht werden koennen.

1990 ging ein technisch-organisatorischer Pilotversuch ("elektronischer Akt" = Elak) an den Start, der die Machbarkeit einer DV-gestuetzten Vorgangsbearbeitung beweisen sollte - laut Schlichting und Wiesboeck mit positivem Ausgang. Die technischen Moeglichkeiten dafuer seien heute vorhanden.

Aber der Nachweis, dass das Konzept in der Praxis funktionieren wuerde, reicht offenbar nicht aus, um dessen Einfuehrung zu beschleunigen.

"Was zu tun bleibt, ist die Aenderung der Verwaltungskultur", klagt Wiesboeck. "Und derzeit nimmt die Verwaltung das Konzept noch nicht an."

Blosse Aufklaerungsarbeit wird hier, so der DV-Experte aus dem Bundeskanzleramt, nicht viel ausrichten. Indem sie die Arbeitsteilung voellig umstrukturiere, wirke sich die elektronische Vorgangssteuerung auf Positionen und Kompetenzen innerhalb der Behoerden aus. Fuer die Einstufung der Beamten sind aber nach wie vor Anzahl und Qualifikation der ihnen untergebenen Mitarbeiter entscheidend. Die so bewerteten Fuehrungskraefte tendieren also zwangslaeufig dazu, auch ueberfluessige Berichtswege erhalten zu wollen, um ihren Einflussbereich nicht zu schmaelern. "Von wem kann man erwarten, dass er Projekte betreibt, die seine Macht einschraenken?" gibt Wiesboeck zu bedenken.

Erforderlich sei folglich ein "existentieller Druck". Dieser Sachzwang entstehe nur dann, wenn entweder der durch die Finanzierbarkeit gesteckte Rahmen ausgeschoepft sei oder aber die Behoerden ihren Aufgaben nicht mehr angemessen nachkommen koennten.

In beiderlei Hinsicht deuteten sich derzeit "erdbebenhafte Veraenderungen" an. Beispielsweise sehe der Budgetplan fuer das kommende Jahr ein Defizit von 4,5 bis 4,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor. "Und da naehern wir uns einer Grenze, wo der politische Druck so stark werden koennte, dass der Ressourcenverbrauch der Verwaltung dramatisch verringert werden muss", urteilt Wiesboeck. Die Einbindung Oesterreichs in die EU stelle die Behoerden zudem vor voellig neue Probleme, die sich ohne DV-Unterstuetzung nicht in der vorgegebenen Zeit loesen liessen. Wiesboecks Resuemee: "Die Ziele koennen in der bestehenden Organisationsumgebung nicht mehr erreicht werden."

Bereits im vorletzten Jahr fassten die Praesidial- und DV-Chefs von Bundeskanzleramt und Finanzressort den Entschluss, ein neues Kanzlei-Informationssystem (KIS) zu entwickeln, das die Aktendurchlaeufe beschleunigen und deren Handhabung flexibler machen sollte. Das KIS ist per definitionem eine Datenbankanwendung, in der die Metadaten zu jedem Schriftstueck indiziert und auf Abfrage bereitgestellt werden. Damit lassen sich die jeweiligen Vorgaenge transparent verfolgen. Als Voraussetzung fuer das System ist festgeschrieben, dass es in Richtung "elektronischer Akt" weiterentwickelt werden kann.

Vor diesem Hintergrund starteten die beiden Ministerien eine Ausschreibung fuer eine neue Hard- und Softwareplattform. Die im Bundeskanzleramt vorhandene Wang-Umgebung sollte abgeloest werden, da sie zwar eine Reihe von Einzelfunktionen, aber keine Integration anbot - ganz davon abgesehen, dass der Konkurs von Wang Oesterreich einen weiteren Ausbau des Systems vereitelte. Im BMF hingegen gab es ueberhaupt noch keine einheitliche Loesung fuer die Vorgangsverfolgung, sondern lediglich rudimentaere Ansaetze mit PCs und 8100-Maschinen.

Im Rahmen eines Vierjahresplans waren die Behoerden ohnehin verpflichtet, die Migration auf offene, sprich: OSI- und Posix- konforme Systeme voranzutreiben. Deshalb forderte die Ausschreibung eine Client-Server-Architektur, die unterschiedliche PCs und Unix-Server umfassen sollte. Auf der Funktionsseite waren Archivierung, Integration von DV-Werkzeugen, Image-Verarbeitung, Mail-System und Vorgangsbearbeitung vorgesehen.

Bei der Evaluierung gingen BK und BMF getrennt, aber nach derselben Methode vor. Und beide entschieden sich fuer das Angebot von Digital Equipment, das auf dem Groupware-Produkt "Linkworks" (damals noch unter dem Namen "Object Works" vermarktet) aus dem Labor der Faba Ges.m.b.H., Linz, basiert. Fuer Digital sprach unter anderem, dass sich der Hersteller bereit erklaerte, neben den eigenen Alpha-Workstations auch die im Finanzministerium bevorzugten AIX-Maschinen zu unterstuetzen, also quasi als Systemintegrator aufzutreten.

Dass einige der oesterreichischen Ministerien im Rahmen des Elak- Projekts bereits mit Digital kooperiert hatten, wirkte sich, so beteuern Schlichting und Wiesboeck einhellig, in keiner Weise auf das Ergebnis der Evaluation aus. Bei der Machbarkeitsstudie hatten jeweils ein Ministerium und ein Hersteller zusammengearbeitet. Digital hatte Faba als Subunternehmer verpflichtet, und das kleine Software-Unternehmen liess das in diesem Projekt erworbene Know-how zu grossen Teilen in sein Produkt Linkworks einfliessen.

Ebenfalls bis in die Evaluierungsphase vorgedrungen war die Loesung der CSE GmbH, Klagenfurt, sowie ein gleichfalls auf dem CSE- Produkt "Workflow" basierendes System, das die IBM eingereicht hatte. Deren Vorgangssteuerungssystem "Flowmark" existierte damals nur auf dem Reissbrett. Eigenen Angaben zufolge hat CSE sein Workflow-Management-System speziell auf die Maria-Theresianische Kanzleiordnung abgestimmt, beispielsweise bei den Mit- und Schlusszeichnungsverfahren sowie den Nummernalgorithmen fuer die Akten.

Doch auch das Innenministerium des Landes Brandenburg entschied sich fuer einen Versuch mit CSEs Workflow - nachdem erste Tests mit Object Works negativ verlaufen waren. Wie der dortige Projektverantwortliche Guenter Berg erlaeutert, wirkte sich das, was als Vorteil des Digital-Angebots gilt, naemlich seine konsequente Objektorientierung, eher nachteilig aus: Innerhalb der fuer den Test vorgesehenen Zeit sei es nicht gelungen, die zeichenorientierten DOS-Applikationen in das System zu integrieren. Was die Linkworks-Funktionen angeht, will Berg jedoch kein Urteil abgeben. "Wir sind gar nicht soweit gekommen, die Funktionalitaet des Systems zu testen", erlaeutert er.

Die Wiener haben mit der Integration ihrer Altsysteme offenbar weniger Schwierigkeiten gehabt. Und die Objektorientierung des Produkts wurde durchweg positiv gewertet. Nach Aussagen von Schlichting und Wiesboeck lassen sich mit Hilfe der Vererbung detaillierte Zugriffsbeschraenkungen realisieren oder neue Dokumente aus bestehenden generieren.

Seit acht Monaten ist Linkworks jetzt im Einsatz - am weitesten fortgeschritten im Bundeskanzleramt, wo bis zum Jahresende 170 von 400 Arbeitsplaetzen mit der Software ausgeruestet sein sollen und 1995 die komplette Umstellung auf die neue Plattform ansteht. In den Ressorts Wissenschaft, Umwelt, Gesundheit und Landwirtschaft existieren kleinere Installationen.

Die rote Laterne traegt das Finanzministerium. Schlichting laesst zunaechst nur einen Testbetrieb fahren. Anders als im BK, wo Wiesboeck nach der Abloesung der Wang-Anlage quasi eine gruene Wiese vorfand, stehen im BMF bereits seit laengerem Windows-PCs, mit denen sich die Anwender zum Teil eigene Loesungen gestrickt haben. So wurde beispielsweise "Winword" durch eine Reihe von Zusatzfunktionen aufgepeppt. Schlichting: "Das sind banale Dinge, an die sich die Leute aber gewoehnt haben."

Um die Akzeptanz nicht zu gefaehrden, werden alle diese Features - soweit sie nicht durch Linkworks-eigene Funktionen abgedeckt sind - in das Workflow-System hineingenommen. "Es ist ja nicht so, dass die Anwender nur warten, bis die DV sie mit etwas Neuem beglueckt", lautet Schlichtings Selbsteinschaetzung.

Zudem hat sich der Projektverantwortliche eine zweiteilige Einfuehrungsstrategie ausgedacht. Zum einen soll das KIS, das voraussichtlich im kommenden Januar in den Echtbetrieb geht, moeglichst bald von jedem PC-Arbeitsplatz aus abfragbar sein. Bislang werden die Metadaten noch auf Karteikarten verbucht, was einen zusaetzlichen Arbeitsschritt nach jeder Aktenbewegung erforderlich macht. "Auf der Schiene des KIS wird Linkworks bottom-up transportiert", freut sich Schlichting.

Zum anderen will der Projektleiter den Fachabteilungen in Form von Linkworks-Anwendungen Zusatzfunktionen anbieten, fuer die es bislang noch keine Loesung gibt. Einfache Beispielapplikationen, die von Anfang bis Ende durchgehend realisiert werden, sollen Akzeptanz fuer die Vorgangssteuerung herstellen.

Bislang variieren Umfang und Grad der DV-Unterstuetzung nicht nur von Ministerium zu Ministerium, sondern auch zwischen den einzelnen Abteilungen eines Ressorts. Dazu Wiesboeck: "Ich erhalte von meinem Sektionsleiter elektronische Dienstanweisungen, vom Praesidium des Hauses bekomme ich sie hingegen auf Papier. Und das wird auch noch lange so bleiben." Dadurch, dass das System sowohl elektronische als auch papiergestuetzte Vorgaenge erlaubt, hoffen Schlichting und Wiesboeck den Widerstand der Mitarbeiter zu neutralisieren.

"Die Bereitschaft, die Arbeitsweise umzustellen, haelt sich in Grenzen", bedauern die DV-Profis.

Ein wichtiger Baustein: Die Vorgesetzten muessen davon ueberzeugt werden, dass sie ihre Unterschrift elektronisch leisten. Ansonsten ergeben sich Medienbrueche, die die Rationalisierung gefaehrden. Wiesboeck nennt ein Beispiel: Das Bundeskanzleramt praktiziere eine Gleitzeitregelung mit "Selbstaufschreibung". In der DV-Abteilung werde das jeweilige Zeitkaertchen elektronisch verwaltet und weitergeleitet - bis zum Abteilungsleiter. Der drucke es schliesslich aus, um es unterschreiben und der Personalabteilung uebermitteln zu koennen. Zu den Rahmenbedingungen eines durchgaengigen Workflow-Systems gehoert eine Infrastruktur, in der alle Glieder der Kette adressierbar und erreichbar sind - auch die Fuehrungskraefte.

"Von wem kann man erwarten, dass er Projekte betreibt, die seine Macht einschraenken." Herbert Wiesboeck, Bundeskanzleramt

"Es ist ja nicht so, dass die Anwender nur warten, bis die DV sie mit etwas Neuem beglueckt." Robert Schlichting, Finanzministerium