Wordperfect-Kauf: Novell wird einen konfusen Eindruck machen

20.05.1994

NW: Wie war Ihre Reaktion auf die Wordperfect-Uebernahme durch Novell?

Manzi: Wie mittlerweile bekannt, haben auch wir frueher Verhandlungen mit Wordperfect gefuehrt. Ich denke, die Lage von Wordperfect und Novell wird sich verschlechtern. Nicht nur, dass enorme Management-Anforderungen auf Novell zukommen. Das Unternehmen muss kuenftig damit zurechtkommen, gleichzeitig als Applikations- und als Systemanbieter zu agieren. Novell hat jahrelang auf das Message Handling System (MHS) gesetzt - nun unterstuetzen sie urploetzlich etwas, das nicht der MHS-Familie angehoert. Sie werden auf ihre Kundschaft eine Zeitlang einen sehr konfusen Eindruck machen, und es wird zwischen zwoelf und 24 Monaten dauern, bis sie dieses Problem loesen werden.

NW: Demnach wird Lotus kein Engagement in puncto Netz- Betriebssysteme zeigen, um Novells Aktivitaeten Paroli zu bieten?

Manzi: Wir hatten uns ja bereits vor drei Jahren entschieden, Notes in Netware zu integrieren. Nun sehen wir eigentlich keinen Grund mehr zu weiteren Aktivitaeten in dieser Hinsicht. Es zirkulieren zwar einige Geruechte, die uns mit einem oder mehreren Unternehmen in Verbindung bringen. Das ist aber alles Nonsens.

NW: Was geschieht, wenn Microsofts neues Messaging-Produkt auf den Markt kommt? Glauben Sie, es wird fuer Microsoft die gleiche Bedeutung bekommen wie Notes fuer Lotus?

Manzi: Nein, unsere Unternehmensstrategie ist total auf Notes ausgerichtet. Das trifft auf den Enterprise Messaging Server (EMS) von Microsoft nicht zu. Ausserdem setzt EMS Windows NT voraus, doch NT erfuellt derzeit nicht die Erwartungen. Zudem unterscheidet sich EMS von Notes. Obwohl Notes einen erfreulichen Erfolg verzeichnen kann, stehen die Verkaufszahlen noch in keiner Relation zu der grossen Basis an installierten Netzrechnern. Wenn wir den Absatz in diesem Jahr verdoppeln, haetten wir erst drei Prozent aller eingesetzten Netz-PCs angesprochen.

NW: Gibt diese schleppende Marktakzeptanz nicht Unternehmen wie Microsoft, Novell oder Wordperfect Zeit, um zu reagieren?

Manzi: 65 Prozent unseres letztjaehrigen Geschaefts machten wir mit den Wiederkaeufern. Eine aehnliche Bilanz erwarten wir dieses Jahr. Die Frage ist nun, ob andere Anbieter das unterbinden koennen. Es gibt Stimmen, die behaupten, Microsoft entwickle ein Utility, um Notes-Makros in EMS-Applikationen zu konvertieren. Das ist Fiktion und schlichtweg unmoeglich. EMS ist nicht gleich Notes. Eine Applikation, die mit Notes in einer multifunktionalen Umgebung erstellt wurde, kann nicht auf ein EMS-Messaging-Backbone aufgesetzt werden. Es waere, als ob man einem Pferd die Beine abschneidet, sie in seine Ohren steckt und sagt, es ist ein Schwein. Nein, es ist ein totes Pferd.

NW: Die Preisgestaltung fuer Notes ist nach wie vor ein Diskussionsthema. Koennte eine Preissenkung fuer das Produkt nicht einen raschen Akzeptanzzuwachs auf zehn oder 15 Prozent bei Netz- PCs ermoeglichen?

Manzi: Nein. Wenn wir koennten, wuerden wir es tun. Wir sind ueberzeugt davon, dass der Preis nicht das ausschlaggebende Kriterium fuer eine Kaufentscheidung ist. Das Fehlen von Ressourcen zur Applikationsentwicklung ist wichtiger. Auf diesen Bereich konzentrieren wir uns.

NW: Was geschieht mit den Datenbank-Companies? Werden sie in Zukunft eine Gefahr fuer Ihr Unternehmen darstellen?

Manzi: Sybase ist wohl derzeit der Marktfuehrer bei relationalen Datenbanken. Sybase hat jedoch bereits 2500 Kopien von Notes bei uns erworben. Oracle wiederum bietet Systeme fuer Anwender an, die an Terminals oder PCs sitzen und Informationen in ein Datenbank- Back-end eingeben. Diese Benutzer sind meistens vernetzt. Unser Ziel ist es jedoch, User anzusprechen, die nur gelegentlich am Netz arbeiten. Wir stuetzen uns auf die bidirektionale synchronisierte Datenreplikation. Das koennen Sie mit Oracle 7 momentan nicht durchfuehren. Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass die Anwender Oracle 7 im mobilen Einsatz benutzen werden.

Jim Manzi ist Chairman und Chief Executive Officer (CEO) der Lotus Development Corp., Cambridge, Massachusetts. Das Interview fuehrten die Redakteure der CW-Schwesterpublikation "Network World" John Gallant und Adam Gaffin.