Woran VoIP krankt

11.04.2007
Von Jürgen Hoffmeister

Zusätzlich zu dem Unfug mit den proprietären Protokollen produzieren einige Hersteller ihre Geräte am Markt vorbei. So hat das Marktforschungsunternehmen Gartner kürzlich festgestellt, dass die Nutzer zu viel Geld für unnütze Telefone ausgeben. Für die Komfortgeräte mit Riesen-Display werden weltweit in den nächsten vier Jahren etwa 20 Milliarden Dollar verschwendet, errechneten die Forscher. Jedes Unternehmen sollte sich im Klaren darüber sein, dass sich oft Softphones zusammen mit preiswerten Handsets einsetzen lassen, um die bisherigen Telefone abzulösen.

Wo bleiben die Funktionen?

Im Frühjahr 2006 posaunten einige Hersteller auf der CeBIT ihre Unterstützung für das SIP-Trunking heraus. Ohne diese wichtige Funktion lässt sich kein Unternehmen vernünftig anschließen, da nur so der Rufnummernblock umgesetzt werden kann und eine direkte Durchwahl an die jeweilige Nebenstelle möglich ist. Von einer durchgängigen Realisierung ist der Markt jedoch auch nach einem Jahr weit entfernt. Einige Hersteller und Provider haben diese im Standard noch nicht vorgesehene Funktion realisiert - mit jeweils proprietären Normen. Zur Ehrenrettung der Beteiligten sei angemerkt, dass sie keine andere Möglichkeit hatten.

Nur eine Frage, mit der sich IT-Entscheider vor einer VoIP-Migration beschäftigen müssen: Müssen teure IP-Telefone gekauft werden, oder reichen auch günstige Softphones mit Headset?
Nur eine Frage, mit der sich IT-Entscheider vor einer VoIP-Migration beschäftigen müssen: Müssen teure IP-Telefone gekauft werden, oder reichen auch günstige Softphones mit Headset?

Die Umsetzung dieser wesentlichen Funktion zeigt, wie weit der Markt von der Realität entfernt ist. Es gibt aber noch weitere Beispiele. Eine der eher unscheinbaren Funktionen ist Overlap-Sending. Sie bietet die Möglichkeit, jede Ziffer einzeln einzugeben und auch Pausen einzulegen. Dieses Verhalten ist übrigens der seit Jahren gewohnte Vorgang beim Wählen und hat schon im alten VoIP-Standard H.323 funktioniert. Die meisten SIP-Lösungen nutzen aber nun die Blockwahl, bei der die komplette Nummer auf einmal gewählt wird. Dabei lässt sich Overlap-Sending mit dem standardisierten SIP umsetzen. Dafür dient der Reinvite-Befehl, mit dem sich jede einzelne Ziffer einzeln eingeben lässt. Dass der Signalisierungsverkehr dabei erheblich ansteigt, ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung, die für den gewonnenen Komfort in Kauf zu nehmen ist.

Weitere Beispiele für Komfortmerkmale der klassischen TK-Welt, die in der neuen VoIP-Welt mehr schlecht als recht umgesetzt sind, sind etwa spröde Funktionen wie etwa Calling Line Identification Presentation/Restriction (Clip/Clir). Dieses Feature kennt jeder, der seine Rufnummer gegenüber dem Gesprächspartner anzeigen oder unterdrücken will. Die im Standard Q.1912 geregelte Funktion erlaubt das An- und Abschalten von Clip/Clir in der Telefonanlage. Dieses Leistungsmerkmal aus der klassischen TK-Welt ist derzeit in SIP-Umgebungen nicht problemlos realisierbar und stellt beispielsweise für Call Center ein Problem dar. Eine andere wichtige Funktion ist die Steuerung von Anwendungen über Wähltöne. Dafür ist die DTMF-Erkennung und -Weitergabe wichtig. Die Dual Tone Multiple Frequency oder Doppeltonmehrfrequenz im SIP-Umfeld muss jedoch entweder über die Umwandlung (Modulation) oder als Echtzeitdatenstrom (Real Time Protocol = RTP) transparent ausgefiltert werden, um doppelte Übermittlungen und damit Fehler zu vermeiden.