Computer geleiten die "Columbia" sicher um die Welt, Teil 1:

Womit die Space-Shuttle-Crew zu rechnen hatte. . .

09.10.1981

Ohne moderne Rechnersysteme wäre weder der erfolgreiche Space-Shuttle-Flug vergangenen April denkbar gewesen, noch irgendeine andere der früheren Weltraum-Missionen. In vier Teilen soll ein Einblick in die Fünf-Rechner-Bordsysteme der "Columbia" sowie deren hochkomplexe Programmierung gegeben werden. Das Kontrollzentrum in Houston mit seinen drei Jumbos und seinen mehr als 600 000 Codezeilen Programm wird beleuchtet und schließlich soll gezeigt werden, mit welchen Mitteln Honeywell- und Modcomp-Rechner beim Start und bei der Systemkonfiguration davor das reibungslose Ineinandergreifen aller Rädchen dieses beachtlichen Raumfahrt-Gesamtkunstwerks sicherstellten.

Fast als wollten höhere Mächte ein letztes Menetekel setzen, verzögerte sich der erste Start der "Space-Shuttle" wegen eines Bordcomputer-Synchronisationsfehlers um 48 Stunden. Zweifache Ironie: Zum einen betraf dieser Fehler ausgerechnet das erste Raumfahrzeug, das überhaupt mit genügend Computerleistung ausgestattet war, um auch unabhängig von den Großrechnern der Bodenstationen operieren zu können.

Zum anderen geriet von den fünf redundanten Bordrechnern ausgerechnet jener aus dem Takt, der als lebenswichtiges Backup-System, als quasi letzte Zuflucht bei einem Massenversagen von mindestens drei der anderen vier Rechner fungieren sollte. Denn auch bei Handsteuerung der Raumfähre geht es nicht ohne mindestens einen Rechner, der die Kommandos der Piloten in sinnvolle Aktionen umsetzt.

Nach IBM-Originalunterlagen umfaßt die Space-Shuttle-Computerei neben den fünf Bordrechnern samt spezieller Bildschirme und Speicher auch die zugehörigen System- und Anwendungsprogramme für das Quintett, die drei 370/168-Rechner samt Software für die Shuttle Mission Control in Houston, das Modcomp-Minicomputer-Netz am Startplatz Kennedy Space Center, das mit zwei Honeywell-6680-Host-Rechnern arbeitet, und die Installation von Testausrüstungen für die Nutzlasten, deren elektrisch-elektronische Eigenschaften auf striktes Einhalten der vorgegebenen Grenzwerte überprüft werden müssen.

Fünf Rechner umrunden den Globus

Die schon erwähnten fünf Bordrechner haben nach den Festlegungen der NASA die Aufgabe, der Columbia-Crew bei der Kontrolle, Steuerung und Navigation ihres Vehikels zu helfen und außerdem das Systemmanagement, das Nutzlast-Management, sowie die diversen Checks vor und während des Flugs zu unterstützen. Dafür wurden relativ herkömmliche Hardware, aber um so bemerkenswertere Software eingesetzt, wie informierte Beobachter notierten.

Das "Rechenzentrum" einer Raumfähre kann leider nicht in sorgsam abgeschirmten, klimatisierten Räumen untergebracht werden, weshalb die Bordrechner klein, leicht, genügsam (jeder kommt mit 660 Watt aus) und dennoch extrem zuverlässig sein müssen. Sie müssen von der einfachen Treibstoffüberwachung bis zu komplexen Flugbahnberechnungen in Echtzeit vielfältige Aufgaben erfüllen und dabei zugleich noch mit 38 Unter-Systemen im "Orbiter" selber sowie vier weiteren in den Start-Zusatzraketen kommunizieren. Und vor dem Abheben hängen sie über eine Art Nabelschnur außerdem am Rechnersystem der Abschußstelle.

Die neuartigen Programme gestatten es der Crew, von ihrer modernen "interaktiven Avionik´´ mehr als 1000 einzelne Fragenkomplexe behandeln zu lassen, wobei in der Mensch-Maschine-Kommunikation die vier graphischen 13 mal 18 Zentimeter messenden Bildschirme, die auf Eingaben "praktisch sofort" reagieren (IBM), eine Schlüsselstellung einnehmen.

40mal schneller als bei Saturn

Als Unterauftragnehmer von Rockwell International lieferte IBM an Hardware also fünf Rechner, jeweils aus CPU und einem Ein-/Ausgabeprozessor bestehend, sowie die vier CRT-Systeme, zu denen neben Bildschirm, CRT-Elektronik und Tastatur auch je zwei Magnetbandeinheiten gehören. Im Vergleich zum Mondfahrzeug Saturn bieten diese Computereinheiten den fünffachen Speicherraum, achtmal mehr Instruktionen und 40mal schnellere Verarbeitung. Dabei schrumpfte das Gewicht noch um den Faktor drei, das Volumen um den Faktor 1,5.

Untereinander ist das Rechner-Quintett über digitale Datenbusse verbunden und während kritischer Flugphasen arbeiten je vier Computer simultan als fehlertoleranter Rechner-Satz hoher Redundanz; ihre Arbeitsschritte sind synchronisiert und jede Sekunde werden die Resultate mittels "voting technique" untereinander verglichen.

Die Kommandos der Rechner werden von jeweils angesprochenen Ziel-Einheiten nochmals überprüft (auch um Leitungsstörungen erkennen zu können); nicht sinnvoll erscheinende Befehle werden dann zurückgewiesen. Zeitweise Versager bedeuten dank dieser Auslegung daher nicht gleich, der betreffende Rechner müsse nun völlig ausgeschaltet werden.

Während unkritischer Flugphasen übernimmt nur ein Rechner die Kontroll-, Navigations- und Steuerungsaufgaben, während ein zweiter das Systemmanagement besorgt und die übrigen sich entweder um das Nutzlast-Management kümmern oder "ausruhen" dürfen.

IBM betont, daß gerade durch Einsatz mehrerer identischer Rechner die generellen Hauptanforderungen an die Avionik, nämlich Fehlertoleranz, Segmentierung und funktionelle Isolation, bestens erfüllt würden; überdies vereinfachten sich dadurch der Entwurf und die Entwicklung des Systems.

Bei den Bord-CPUs handelt es sich um modifizierte, mikroprogrammierte IBM-AP-101 für Fest- und Gleitkommaoperationen mit doppelter Wortlänge (max. 64 Bit bei Gleitkomma). Diese Rechner verfügen über dreimal acht 32-Bit-Register sowie eine "96prozentige Fehlererkennungsfähigkeit" dank entsprechender, integrierter Test-Soft- und -Hardware. Der Befehlssatz umfaßt 151 Instruktionen, die Speicherzykluszeit beträgt 800 Nanosekunden und die I/O-Datenrate erreicht knapp 790 000 32 Bit-Worte pro Sekunde.

Untereinander und mit den angeschlossenen Subsystemen kommunizieren die Computer über I/O-Prozessoren auf der Basis von 24 separaten, seriellen Datenbussen. Dazu verfügt jeder I/O-Prozessor wiederum über 24 unabhängige Sub-Prozessoren plus einem weiteren, der deren Arbeit steuert und kontrolliert: Im Effekt wirken diese 25 wie 25 Digitalrechner mit Steuerung durch Programme, die im eigenen Hauptspeicher stehen. Sie sind also von den CPU-Programmen abgekoppelt. Sie greifen im Zeitmultiplex auf einen gemeinsamen Datenstrom zu, kodieren und dekodieren die Informationen und führen die nötigen Paritäts- und Synchronisations-Tests durch. Über einen Control-Monitor kann die zugehörige CPU den Status und die Interrupts des I/O-Prozessors überwachen.

Der jedem der fünf Rechner zugeordnete Hauptspeicher gliedert sich physisch in je zwei Einheiten, von denen die der CPU zugeordnete knapp 82 000 und die dem I/O-Prozessor zugeordnete rund 25 000 Worte (32 Bit) faßt; logisch sind alle 106 500 Worte aber ein einheitlicher Speicher. Aus Zuverlässigkeitsgründen bestehen die Speicher aus Ferritkernmatrizen in modularer Anordnung, wobei nur das jeweils aktivierte Modul volle Leistung absorbiert, die anderen in Sparschaltung arbeiten. Die je zwei 134 MBit-Bandspeicher halten die neun separaten Anwendungsprogramm-Pakete für die einzelnen Phasen der Reise bereit; jeder der vier Arbeits-Computer kann dabei auf jedes Band zugreifen. Wird ein spezielles Programm aufgerufen, so überschreibt es das im Core vorhandene Programm, ausgenommen natürlich schreibgeschützte Programme des Betriebssystems, Datentabellen und bestimmte Routinen.

IBM hebt hervor, daß die Konzeption der seriellen Datenbusse Modifikationen der Systemkonfiguration erleichtert und per Saldo auch zur Gewichtseinsparung beiträgt. Die 24 Datenbusse sind in sieben funktionelle Gruppen unterteilt und jeder Bus überträgt pro Sekunde rund 30 000 Worte á 16 Bit.

Die - wohl auch für die Zivilluftfahrt richtungweisenden - "Norden " -Multifunktions-Bildschirme im Cockpit gestatten der Besatzung einmal die Überwachung des Raumfähren-Zustands und zweitens die Überwachung der Avionik-Systemoperationen im engeren Sinne. Drei der "Fernseher" sind im Cockpit angeordnet, ein viertes am Arbeitsplatz des "Mission-Specialist", der sich um die Nutzlast kümmern soll.

An der "Ebonex"-Tastatur fällt sofort auf, daß (nur) 32 Funktions- und numerische Tasten zur Bedienung des ganzen komplexen Systems ausreichen. Im Zusammenwirken mit dem Bildschirm gestatten sie den Piloten Änderungen der Systemkonfiguration, die Veränderung von Daten und Programmen in den Hauptspeichern, Anpassungen der Speicherkonfiguration entsprechend den unterschiedlichen Flugphasen und manuelle Reaktionen auf Fehlermeldungen.

Der Bildschirm selber stellt 26 Zeilen á 51 Zeichen beziehungsweise 1024 mal 731 Bildpunkte dar. Als Bildschirm-Steuerung dient ein IBM-SP-OA-Prozessor mit 8 K 16 Bit-Worten, der die Präsentation der Daten besorgt und das interaktive Zusammenwirken mit dem Piloten managt. Allein er arbeitet etwa 22mal so schnell wie der Saturn-V-Rechner und bietet interessante graphische Möglichkeiten. (Fortsetzung im nächsten Heft)