Wohnungsgesellschaft geht mit Imaging-Paket in praxi

04.11.1994

Die moderne rechnergestuetzte Verwaltung scheint in vielen Unternehmen nur auf dem Papier zu stehen. Laut Insidern werden meist noch klassische DV-Loesungen genutzt. Einen Schritt nach vorn macht derzeit die WIP Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg mbH. Die Firma ersetzt ihr altes Verwaltungssystem durch eine Imaging- und Workflow-Anwendung.

Mit dem Wendejahr 1990 fiel auch der Startschuss fuer die WIP Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg, den Rechtsnachfolger des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg. Mit der Uebernahme des volkseigenen Betriebes hat die neue Gesellschaft kein leichtes Erbe angetreten. Mit seinen 145 715 Einwohnern zaehlt der Prenzlauer Berg nach Kreuzberg nicht nur zu den dichtbesiedeltsten Berliner Bezirken; seine meist aus der Gruenderzeit stammende Bebauung ist auch stark renovierungsbeduerftig.

Mit einem Konzept, das neben der Instandhaltung, Instandsetzung und Modernisierung der Gebaeude auch eine rechnergestuetzte Organisation im Unternehmen vorsah, ging man im zweiten Halbjahr 1990 ans Werk.

Beim Einrichten der neuen Arbeitsplaetze zeigte sich jedoch das Problem der Archivierung.

Papierarchive sind nun passe

Wegen geringer Platzkapazitaeten wurden zu DDR-Zeiten die Buchungsbelege nach Ende eines Geschaeftsjahres in Saecken aufbewahrt. Ungeeignete Raeumlichkeiten sowie die Auslagerung der Dokumente trugen zur Unleserlickeit und teilweisen Vernichtung der Papiere bei. Mit dem manuellen Sortieren und der Ablage der Belege in einem neu gebauten zentralen Archiv war das Problem jedoch nicht vom Tisch.

Man suchte eine Loesung, die die rund 300 000 jaehrlich anfallenden Dokumente verwalten konnte, eine Aufbewahrungsdauer von mindestens zehn Jahren gestattete, schnellen Zugriff erlaubte und modular erweiterbar war. Damit waren zwar die Forderungen fuer das kuenftige Archivierungssystem klar, doch ein modernes Informationssystem fehlte.

Immerhin sollte auch die Produktivitaet der Bearbeiter erhoeht sowie die Auskunftsqualitaet gegenueber Mietern, Lieferanten und Vorgesetzten verbessert werden. Das neue System hatte nicht nur auf bereits genutzte DV-Strukturen aufzusetzen, sondern sollte vor allem helfen, den Verwaltungsaufwand zu minimieren, um die Kosten zu senken.

Die Wahl der Berliner fiel auf die zur Zeit viel diskutierte Imaging-Technik in Kopplung mit einem Workflow-Konzept.

Klaus Nicklitz, Geschaeftsfuehrer der WIP, meint dazu: "Mit Imaging wollen wir nicht nur unsere Archivierung in den Griff bekommen, sondern gleichzeitig in die integrierte Vorgangsbearbeitung einsteigen."

Installiert wurde das fuer die amerikanische Raum- und Luftfahrtbehoerde Nasa entwickelte und dort genutzte Informationssystem "FYI" (Four your Information) der Firma Identitech aus Melbourne (Distributor in Deutschland ist die Eckmann GmbH&Co KG, Muenchen). Neben den fuer Windows zur Verfuegung stehenden Schnittstellen zeichne sich das amerikanische Produkt durch ein leistungsfaehiges API (Application Programming Interface)-Toolkit aus, erklaert Eric Baker, seit 1992 DV-Chef der WIP.

Es ermoegliche ueber High-Level-Ebenen und Programmiersprachen der vierten Generation eine Integration der Software in jede bereits bestehende Anwendung. Baker weiter: "Durch die offene Struktur werden keine proprietaeren Sprachen verwendet, und der Nutzer kann auf vorhandenes Wissen zurueckgreifen." Damit sei die Unabhaengigkeit vom Hersteller garantiert.

Ueber ein Ethernet (Netware 3.11) sind bei den Prenzlauer Bergern derzeit rund 400 PCs miteinander verbunden. Der Zugriff auf den im Hamburger Rechenzentrum stehenden Host - dort befinden sich alle Programme fuer die wohnungs- und betriebswirtschaftlichen Loesungen - ist ueber Gateway und Datex-P realisiert. Neben der grafischen Oberflaeche (Windows) nutzen die Bearbeiter die relationale Datenbank SQL-Base (Gupta).

Mit der neuen Imaging-Anwendung hat sich der Arbeitsablauf bei dem Berliner Team erheblich gewandelt.

Vom Einscannen der Buchungsbelege - dafuer stehen zwei Scanstationen der Firma Bell&Howell mit 19-Zoll-Monitoren und einer Kapazitaet von 42 Seiten pro Minute zur Verfuegung - ueber das Indizieren zum Wiederauffinden der Dokumente bis hin zur automatischen Ablage auf optische Platten - installiert sind zwei Jukeboxen (Philips) mit einer gesamten Speicherkapazitaet von 56 GB - haben die Mitarbeiter der Abteilungen jederzeit schnellen Zugriff auf die benoetigten Informationen.

Zur Zeit wird in der WIP an einem Workflow-Konzept gearbeitet. Die erste Stufe - Erfassung aller Arbeitsschritte mit Zeitdauer und bearbeitende Abteilung - sei bereits realisiert, meint Baker. Die Analyse der betrieblichen Strukturen habe gezeigt, welche Moeglichkeiten fuer Lean Management hinter solchen Konzepten steckten.

Neue Konzepte sind schon in Sicht

Bisher ist im Unternehmen der Bereich Instandhaltung in einem vierstufigen Workflow-Prozess integriert: Dazu gehoeren die Auftragsvergabe - der Bearbeiter erfasst auch die relevanten Daten fuer die Buchhaltung -, Rechnungseingang und -pruefung (Einscannen der Belege, Ablage in einem elektronischen Postkorb, Pruefung etc.), der Zahlungsverkehr (Datenuebergabe per Magnetband-Clearing) sowie die automatische Revision.

Laut Baker gibt es viele Moeglichkeiten fuer Workflow-Projekte. In der WIP pruefe man derzeit weitere Einsatzbereiche.

Stichwort Kosten: Informationssysteme fuer die Zukunft haben ihren Preis. Allerdings macht der sich auch bezahlt. Fuer die DV- Modernisierung des Prenzlauer Berger Unternehmens sind etwa 1,2 Millionen Mark eingeplant. Rund 400 000 Mark entfallen davon auf die Imaging-Datenbank und Management-Software fuer die rund 300 Arbeitsplaetze.

Von Rainer Eschrich

Der Autor ist Unternehmensberater in Berlin.