Wo ITIL zu komplex ist

02.10.2012
Mittelständische Organisationen gehen auf Distanz zum ITSM-Framework ITIL. Woran das liegt und was zu tun wäre, danach fragte eine aktuelle Studie.

Das Verhältnis des deutschen Mittelstands zur IT Infrastructure Library (ITIL) ist gespalten. Viele kleinere und mittlere IT-Organisationen halten das im IT-Service-Management (ITSM) mittlerweile gut etablierte Regelwerk für überdimensioniert. Das bestätigt auch eine Studie der MSG Services AG, Ismaning, die auf der Befragung von fast 300 Firmen mit einem Jahresumsatz zwischen 25 und 200 Millionen Euro fußt. Der Untersuchung zufolge resultiert die Skepsis der Mittelständler vor allem aus der komplexen Gestaltung der ITIL-Prozesse und der daraus abzuleitenden langen Projektdauer.

Deutlich eingeschränkt

Nur 39 Prozent der befragten IT-Manager äußerten die Auffassung, dass sich die Einsatzbedingungen für ITIL im Mittelstand und in Großunternehmen kaum voneinander unterscheiden. Ein Drittel der IT-Verantwortlichen sieht hingegen deutliche Einschränkungen bei der ITIL-Eignung für kleinere Betriebe. Und ein Fünftel hält das Framework sogar für nicht mittelstandstauglich.

Diese Einschätzungen beruhen augenscheinlich auf einer intensiven Auseinandersetzung mit ITIL. Jeder zweite Studienteilnehmer hat eigenen Angaben zufolge praktische ITIL-Erfahrungen. 37 Prozent können eine persönliche ITIL-Zertifizierung vorweisen. Zur Meinungsfindung beigetragen haben häufig auch der Besuch von Fachveranstaltungen (41 Prozent) und Recherchen in der Fachliteratur (44 Prozent). 32 Prozent haben ITIL-erfahrene Kollegen befragt, und fast ein Viertel (23 Prozent) hat bereits ein oder mehrere ITIL-Bücher durchgearbeitet.

Zudem kann ein Großteil der Befragten auf ITIL-Kontakte im eigenen Unternehmen verweisen. In jedem dritten der teilnehmenden Betriebe gab es zumindest ein IT-Service-Management-Projekt auf der Grundlage des Frameworks. Und in jedem zweiten Unternehmen wurden die IT-Mitarbeiter im Umgang damit geschult. Verschiedentlich kam ITIL auch als konzeptionelle Hilfe für unternehmenseigene Prozessansätze zum Einsatz.

Fundierte Kritik

"In unseren Marktkontakten stellen wir im Regelfall keine pauschale Kritik gegenüber ITIL fest", bestätigt Christian Boellert, Vorstand der MSG Services AG, "sondern wir treffen meist auf eine sehr differenzierte Sicht." ITIL werde von den meisten ITSM-Experten "mit großem Respekt bewertet".

Wo es bei ITIL hapert

Laut Boellert haben die Vorbehalte der mittelständischen Anwender oft einen "pragmatischen" Kern. Sie bezögen sich vor allem auf das "zu umfassend angelegte und deshalb zu wenig mittelstandsgerechte Prozessdesign" - einschließlich der Konsequenzen, die das für die IT-Organisationen der kleineren Unternehmen habe.

Neben dem Komplexitätsaspekt kristallisierten sich auch der zu erwartende Projektumfang und der hohe Consulting-Bedarf sowie die für Mittelstandsunternehmen wenig geeignete methodische Struktur des Regelwerks als Negativkriterien heraus. Zwei von fünf Teilnehmern befürchten einen größeren internen Ressourcenbedarf und einen gesteigerten Schulungsaufwand durch ITIL.

Light-Version erwünscht

Im Grunde hilfreich, aber zu aufwendig, so lautet das Fazit der Mittelständler. Folgerichtig plädierte fast die Hälfte der Befragten für eine offizielle "Light-Version" des Regelwerks. Eine ergänzende Einführungsmethodik trüge aus der Sicht von 45 Prozent der Teilnehmer dazu bei, ITIL attraktiver für den Mittelstand zu machen.

Als weiteren möglichen Ansatz, das Regelwerk auf die Bedürfnisse der Unternehmen mit bis zu 100 IT-Mitarbeitern zuzuschneiden, nannten 42 Prozent der IT-Manager eine verstärkte Beraterunterstützung. MSG-Vorstand Boellert hingegen erachtet diesen Weg als wenig realistisch. Es sei ja unter anderem der hohe und kostenintensive Beratungsbedarf, den der Mittelstand im Zusammenhang mit ITIL besonders kritisiere.

Komplett neuer Ansatz

Ohnehin zieht Boellert den Ansatz in Zweifel, die komplexen Prozessbeschreibungen einfach zu reduzieren. Im Mittelstand herrschten von vornherein andere prozessuale Bedingungen als in Konzernen. Demzufolge sei es sinnvoller, ein Regelwerk mit mittelständischem Fokus neu aufzusetzen: "Man kann ja auch nicht ein Mehrfamilienhaus zu einem bedürfnisgerechten Einfamilienhaus downsizen, indem man überflüssige Stockwerke beseitigt."

Von Karin Quack