Kolumne

"Wo bleibt die Story?"

30.05.2003
Gerhard Holzwart Redakteur CW

Die Aktionäre der Deutschen Telekom haben wieder Vertrauen gefasst. Vorstandssprecher Kai-Uwe Ricke bekam, anders als sein Vorgänger Ron Sommer, auf der Hauptversammlung Beifall statt Pfiffe. Das erreichte er offensichtlich mit seinem nüchternen, zupackenden Stil und natürlich mit seiner Bilanz der ersten sechs Monate, die sich sehen lassen kann: die Schulden um acht Milliarden Euro gesenkt, den Vorstand umgebaut, sein Gehalt offen gelegt, das erste positive Quartalsergebnis seit knapp zwei Jahren (siehe Seite 22). Gleichzeitig kündigte er glaubhaft an, die hohen Verbindlichkeiten des Unternehmens weiter schnell und drastisch zu senken. Er brauche keine 100 Tage, um sich in seinem neuen Job zurechtzufinden und sich erstmals beurteilen zu lassen, hatte Ricke bei seiner Berufung im November vergangenen Jahres erklärt. Die Aktionäre und Analysten haben ihm nun sogar ein weiteres Jahr Zeit gegeben.

Die Sanierung des Telekom-Haushalts alleine wird jedoch nicht genügen. Die Zeiten großer "Entwürfe" sind in der weltweiten TK-Szene längst passé; Visionäre wie Ron Sommer oder Hasardeure wie Bernard Ebbers (Worldcom) haben nicht umsonst ihren Job verloren. Insofern passt der bodenständige Telekom-Frontmann gut in die Landschaft. Ricke wird aber in absehbarer Zeit noch einige Fragen beantworten müssen. Nicht nur zur Zukunft der einzelnen Unternehmenssparten, sondern auch, was die generelle strategische Ausrichtung seines Konzerns angeht.

Heute ist die Telekom weltweit der einzige noch verbliebene integrierte Diensteanbieter in den "Times"-Märkten (Telekommunikation, IT, Multimedia, Entertainment, Security) mit globalem Anspruch. Immer weniger Branchenkenner trauen dem Bonner Carrier jedoch zu, diese unter Ron Sommer als "Story" für drei Börsengänge instrumentalisierte Positionierung aufrechterhalten zu können. AT&T und British Telecom (BT) beispielsweise haben längst die Konsequenzen aus dem Paradigmenwechsel im Markt gezogen und sich in kleinere Einheiten für Geschäfts- und Privatkunden beziehungsweise Mobilfunk aufgespalten. Deutsche Telekom, France Télécom und manch andere europäische Ex-Monopolisten sind hier auf halbem Wege stehen geblieben.

Wenn es derzeit einen Global Player in der Telekommunikation gibt, ist es einzig und allein Vodafone mit seinem inzwischen nahezu weltumspannenden Mobilfunkimperium. Doch die Hintergründe der Strategie und des Erfolgs des britischen Konzerns sind eine Geschichte für sich. Auch von Ricke wird deshalb bald eine neue "Story" erwartet werden, nämlich die, was er mit seiner wiedergewonnenen finanziellen Handlungsfähigkeit anzufangen gedenkt.