Wissens-Management ist ein Schlüssel zum Unternehmenserfolg

18.05.1990

Dr. Lothar Fohmann Leiter Wissensverarbeitung beim EDV Studio Ploenzke, Wiesbaden

Das Umfeld der meisten Unternehmen ist derzeit von dynamischen Entwicklungen und vor allem von oftmals schwer vorhersehbaren Veränderungen geprägt. Dabei springen drei Tendenzen besonders deutlich ins Auge: Die Globalisierung und Mobilisierung der Märkte, ein ständig ansteigendes Tempo bei den Produktinnovationen und die aufhaltsame Wandlung der Verkäufer- zu Käufermärkten quer durch die gesamte Wirtschaft.

Unternehmerischer Erfolg hängt angesichts dieser flexiblen, häufig spontan variierenden Rahmenbedingungen immer stärker von der Frage ab, ob und inwieweit der betriebliche Leistungsprozeß kontinuierlich und konsequent optimiert wird.

Konkret bedeutet das: Jegliches für einen Wertschöpfungsschritt notwendige Wissen muß an der richtigen Stelle der Ablauforganisation zum passenden Zeitpunkt in der erforderlichen Qualität und Menge verfügbar sein. Denn wo man nicht weiß, wie die bislang bewährten Produktionsfaktoren Arbeit, Betriebsmittel, Kapital und Information bestmöglich "synthetisiert" werden können, ist eine Wertschöpfung im Sinne unternehmerischer Zielsetzungen nicht möglich.

Genauer gesagt: Herstellung und Vermarktung technischer Produkte setzen über die gängigen Produktions- oder Wertschöpfungsfaktoren hinaus auf jeder Ebene der Leistungserstellung besonderes Wissen voraus: so etwa über Konstruktion, Fertigung, Instandhaltung, Entwicklung und Vertrieb. Auch die Gestaltung und Vermarktung höherwertiger Dienstleistungen - beispielsweise im Banken- oder Versicherungsbereich - bedingen besonderes Wissen auf den entsprechenden Wertschöpfungsstufen.

Wohin auch immer sich der Blick richten mag - Wissen ist sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungs-Sektor der fünfte Produktions- oder Wertschöpfungsfaktor. Mit Fug und Recht kann man sogar noch erheblich weiter gehen und postulieren: Das betriebs- und ablaufspezifische Wissen von Führungskräften und Mitarbeitern wird immer stärker zum Schlüssel für den künftigen Erfolg und für das langfristige Überleben eines Unternehmens schlechthin.

Die Konsequenz aus diesen Überlegungen liegt auf der Hand: Das Management von Wissen - also des Katalysators im Leistungsprozeß - hat einen überragenden Stellenwert im Vergleich zu anderen Führungsfunktionen. Dabei ergeben sich im wesentlichen folgende Aufgabenstellungen:

- Aufbau (zum Beispiel betriebliche Ausbildung, Einstellung von "Know-how-Trägern", Einrichtung von Kompetenzzentren);

- Vertiefung, Modernisierung, Pflege (zum Beispiel betriebliche Weiterbildung, Training by doing, Job-Rotation);

- Aktivierung (zum Beispiel Motivationsmaßnahmen) und

- Konservierung, Bereitstellung, Verteilung, Vervielfältigung (zum Beispiel Anwendung der Wissenstechnologie) von geschäftsrelevantem Wissen.

Jedes Wissens-Management muß sich an den übergeordneten strategischen Unternehmenszielen orientieren und folglich das Know-how oder die Expertise der Mitarbeiter und Führungskräfte als strategischen Wertschöpfungsfaktor einsetzen. Hieraus ergeben sich Begriff und Notwendigkeit des strategischen Wissens-Managements, das im wesentlichen folgende Funktionen umfaßt:

- Ermittlung des Wissens, das pro Arbeitsplatz im jeweiligen Wertschöpfungsprozeß erforderlich ist (Wissensbedarf);

- Festlegung der anzustreben den Wissensziele;

- mittel- und langfristige Planung der Zielerreichung und

- Kontrolle des Realisierungsablaufs.

Alle Entscheidungen, die auf die praktische Verwirklichung der festgelegten Ziele ausgerichtet sind, werden schließlich als operatives Wissens-Management bezeichnet.

Angesichts dieser Gesichtspunkte kommt kaum ein Unternehmen mehr daran vorbei, wertschöpfungsrelevantes Wissen kostenoptimal zu erwerben, zu pflegen und zu bewahren. Zur Vorbereitung konkreter Erwerbs-, Pflege- und Konservierungsmaßnahmen sollte der vorhandene Wissensbestand und -bedarf via strategischer Wissenskonzeption und -planung abgeglichen werden.

Im Ganzen betrachtet kann man heute kaum mehr leugnen, daß Wissens-Management eine Aufgabe darstellt, deren strategische Konzeption, Planung und Organisation auf Geschäftsleitungsebene erfolgen sollte. Eine andere Frage ist, ob das operative Wissens-Management besonderen Beauftragten - etwa "Wissens-Managern" nach dem Vorbild von Informations-Managern - oder bereits vorhandenen Einheiten übertragen werden sollte.

Zugleich wäre zu klären, wie eine derartige Funktion in die Entscheidungsprozesse eingebunden und auf welcher Unternehmensebene sie zweckmäßigerweise angesiedelt werden sollte. Diese Problematik kann nicht generell geklärt werden; hier müssen vielmehr die Besonderheiten des jeweilige Unternehmens die ausschlaggebende Rolle spielen, sofern man zu einem effizienten Vorgehenskonzept gelangen will. Im übrigen: Das folgerichtige Weiterdenken des Ansatzes vom Informations-Management führt zwangsläufig zum Wissens; Management als einer Variante des unternehmensübergreifenden, umfassenden Wertschöpfungs-Managements.

Noch hinkt die Wirtschaft weit hinter den sichtbar gewordenen Erfordernissen her: Das Management der überkommenen Wertschöpfungsfaktoren Arbeit, Betriebsmittel, Kapital und Information ist zwar als Pflichtpensum für Führungskräfte anerkannt und organisatorisch zugeordnet. Doch das Management von Wissen - also des zentralen Wertschöpfungsfaktors - wird bislang als vorrangige geschweige denn zukunftsträchtige und eigenständige Aufgabe in den meisten Firmen weder begriffen noch akzeptiert.

Oftmals handelt es sich dabei um Unternehmen, die sich in ihrer Philosophie besonders fortschrittsorientiert und in ihrer Produktpolitik ausgesprochen innovativ zeigen. Dieser Widerspruch ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie schwer es vielfach selbst avantgardistischen Führungskräften fällt, aus herkömmlichen Denkschemata auszubrechen und neue Dimensionen zu erschließen.

So wundert es nicht, daß dort, wo Wissens-Management bereits praktiziert wird, sträfliche Fehler passieren. Meist erfolgt es unkoordiniert und belastet von insularen Interessen. Konkret wird Wissens-Management gegenwärtig beispielsweise so realisiert:

- vom Personalwesen für die Mitarbeiterförderung,

- von Fachabteilungen im Zuge von Einstellungen

- von der Geschäftsleitung bei der Umsetzung von Mitarbeitern oder bei sonstigen organisatorischen Änderungen,

- von der DV bei der Entwicklung wissensbasierter Systeme.

Nicht selten kollidieren die dabei zutage tretenden Einzelinteressen in einem Maße, das dem Unternehmen insgesamt mehr schadet als nutzt. Zweifellos läßt sich dieser unerquickliche Zustand durch die Schaffung eines professionellen Wissens-Managements mit strategisch und operativ wirkungsvollen Werkzeugen überwinden. Dabei hat Wissens-Management keineswegs zwingend etwas mit Computertechnologie zu tun. Aber: Seit einigen Jahren tritt die rechnergestützte Wissenstechnologie immer sichtbarer neben die Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie erweist sich zunehmend als ein hervorragendes Instrument zur Unterstützung des Wissens-Managements.

Alles in allem: Wissens-Management benötigt grundsätzlich ein universelles Konzept, das unter Beteiligung der ersten Führungsgarnitur zu entwickeln ist. Die Realisierung, Steuerung und Überwachung des strategischen wie auch des operativen Wissens-Managements erfordert in jedem Falle eine weisungsbefugte Fachkompetenz, wie sie beim Informations-Management inzwischen selbstverständlich wurde.