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Wissen ist ein Management-Problem

08.06.2001
Effizientes Knowledge-Management (KM) verheißt ein Mehr an Kompetenz, Reaktionsgeschwindigkeit und Innovation. Demzufolge verspricht es zufriedenere Kunden und Wettbewerbsvorteile. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff?

Von Eva-Katharina Kunst*

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Effizientes Knowledge-Management (KM) verheißt ein Mehr an Kompetenz, Reaktionsgeschwindigkeit und Innovation. Demzufolge verspricht es zufriedenere Kunden und Wettbewerbsvorteile. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff? Anwendungsbeispiele können zur Klärung beitragen.

Das Thema ist ein Dauerbrenner. Auf der Skala der Unternehmensaufgaben, die durch Investitionen unterstützt werden sollen, rangiert es hierzulande an der Spitze, so eine Studie von CSC Ploenzke. Nach Angaben der International Data Corp. (IDC) gehen allein in den 500 größten US-amerikanischen Unternehmen jährlich insgesamt zwölf Milliarden Dollar durch unzureichende Wissensverwaltung verloren.

Das Wichtigste in Kürze

Knowledge-Management ist mehr als der Einsatz technischer Systeme zum Speichern, Verwalten und Verteilen von unternehmensrelevanten Informationen.

Es berührt die Bereiche Content, Organisation, Technik und Wissenskultur.

Reine Dokumentationswut führt zu nichts. Nur wertvoller Content sollte erschlossen werden.

Das Mitarbeiterwissen ist sowohl personen- und rollenbezogen als auch themenorientiert abzubilden.

Mitarbeiter haben oft Hemmungen, eigenes Wissen in Wissensdatenbanken einzustellen.

Spezialisten mit exklusivem Wissen lassen sich nicht allein durch Anreizsysteme ködern. Deshalb ist es wichtig, Expertennetze und Communities aufzubauen.

Den direkten Austausch fördern!

Komplexes Wissen wird durch die Entwicklung von regelbasierten Systemen verständlich.

Auf der anderen Seite ist kaum ein Begriff derart uneinheitlich gefasst wie Knowledge-Management. Die Theorie kann mit zahlreichen Definitionen aufwarten - und in der Praxis herrscht Verwirrung. Bei einer von der Fachhochschule Köln vorgenommenen Umfrage zum Thema "Wissens-Management in der Praxis" räumten die meisten der Befragten ein, weder über Wissensmodelle noch über deren praktischen Einsatz Bescheid zu wissen.

Dazu Rolf Franken, Professor für Unternehmensführung an der FH Köln: "Knowledge-Management wird häufig mit dem Einsatz von bestimmten, sehr unterschiedlichen Produkten verbunden - das ist Unsinn." KM einzuführen heiße vielmehr, Wissen zum Management-Problem zu machen und ihm die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu gehört, Informationen, Erfahrungen, Best Practices, Methoden, (Fehl-)Entscheidungen und Projektdetails zu erfassen und zugänglich zu machen.

Schwarze Löcher in verzweigten Strukturen

Das Anwendungsspektrum ist facettenreich. Es erstreckt sich von der globalen Wissensbasis eines Unternehmens bis hin zu Expertennetzen und Communities zur optimalen Informationsversorgung einzelner Mitarbeiter. Kunden-, Einkaufs- oder Wettbewerber-Informationssysteme sind weitere Beispiele für einen sinnvollen KM-Einsatz.

Vor allem Großunternehmen haben sich das Thema KM auf die Fahnen geschrieben. Denn in weit verzweigten Strukturen verschwindet Wissen viel schneller in schwarzen Löchern als im übersichtlichen Zehn-Mann-Betrieb. Aufwändige Recherchen, Doppelarbeiten und schlechtere Lösungen sind die Folge. Wird das Wissen jedoch über räumliche und strukturelle Barrieren hinweg zugänglich gemacht, lassen sich massiv Kosten einsparen.

Das erfuhr der Mineralölkonzern BP, als 1995 an Bord eines Bohrschiffes die technische Ausrüstung ihren Dienst versagte. Daraufhin geriet die Nordsee-Expedition ins Stocken. Die Ingenieure konnten der Fehlerquelle nicht auf die Spur kommen und erwogen zunächst, mit dem für 150.000 Dollar pro Tag geleasten Bohrschiff zurückzufahren und für unbestimmte Zeit im Hafen anzulegen.

Dann aber versuchten sie erstmalig einen anderen Weg: Die fehlerhafte Hardware wurde vor eine Videokamera gehalten, die an eine Workstation angeschlossen war; per Satellit nahm das Schiff Kontakt mit einem Spezialisten in Aberdeen auf. Dieser konnte nicht nur den Fehler lokalisieren, sondern auch die Kollegen durch die Reparatur führen. Dank der Möglichkeit, ortsunabhängig auf Expertenwissen zurückzugreifen, reduzierte sich die Ausfallzeit auf wenige Stunden.

Mit so einfachen Mitteln wie Videokonferenzen, gemeinsamen Ablagen und dem Einsatz von Groupware hatte BP bereits 1994 ein 13 Millionen Dollar schweres Pilotprojekt mit Codenamen "Virtual Teamwork" gestartet. Schon ein Jahr später zahlte sich der Aufwand schon aus. In den Folgejahren bildeten sich rasch mehrere hundert Communities und Wissensnetzwerke.

Experten reagieren wie Zugvögel

Eines davon ist das "Green Operations Network". Der Name steht für ein Programm: Hier tauschen sich mehr als 1000 BP-Manager und -Ingenieure sowie Experten von Universitäten und anderen Firmen über Umweltprobleme aus. Das Fragen- und Antworten-Forum behandelt Themen wie Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen, Wasser-Management und Schutz der Artenvielfalt. Peter Knoedel, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen BP AG, ist von der Wirksamkeit dieses Netzes überzeugt: "Es hat uns erlaubt, unseren Klimagasausstoß schneller und billiger zu reduzieren, als wir je geglaubt hätten." Auch auf exotische Fragen sei innerhalb weniger Stunden mindestens ein halbes Dutzend Antworten von irgendwo auf dem Globus zu erhalten.

Wenn erforderlich, bildeten sich Ad-hoc-Teams, die eingeflogen werden könnten, um bestimmte Probleme zu lösen. "Wir vergleichen das mit einem Schwarm Zugvögeln, der ohne Führungsstruktur scheinbar chaotisch in eine Richtung fliegt und doch auf das kleinste Umweltsignal hin blitzartig die Richtung wechseln kann", so charakterisiert Knoedel die BP-Art, das Know-how-Potenzial der Mitarbeiter auszuschöpfen.

Aller Anfang ist klein

Auch IBM hat bereits eine Vielzahl von "Knowledge Networks" im Einsatz. "Das fing meist als organisationsübergreifende Gruppe mit einer relativ kleinen Anzahl von Leuten an", blickt Andrea Martin, Consultant bei IBM Global Services, zurück. Auch das 1995 gegründete "Enterprise Systems Management" (ESM), ein IBM-Wissensnetz der ersten Stunde, startete mit dem Leiter und einer 25-köpfigen Kernmannschaft. Mittlerweile ist es auf mehr als 4000 Mitglieder angewachsen.

Zweimal im Jahr treffen sich zirka 200 wechselnde Teilnehmer auf einer speziellen ESM-Wissenskonferenz. Sie schildern ihre praktischen Erfahrungen und tauschen Ideen aus. "Das ESM-Kernteam definiert anhand dieser Ideen konkret nutzbare Methoden und Anwendungen," berichtet John Helmbock, der bis Ende 1999 das Netz leitete. Auf diese Weise habe sich ein fortlaufender Verbesserungszyklus etabliert.

Um den informellen Wissensaustausch zu fördern, nutzt IBM virtuelle Räume mit gemeinsamer Ablage (im IBM-Jargon: "Teamrooms"). Jeder Mitarbeiter kann selbst ein solches Wissensforum nach seinen eigenen Kategorien anlegen und bestimmen, wer Zugriff darauf erhält. "Die Resonanz war riesig", berichtet Peter Schütt, Direktor der Geschäftseinheit Knowledge-Management bei der IBM-Einheit Lotus Professional Services. Seiner Ansicht nach war sie beinahe schon zu groß. Denn bereits ein Dreivierteljahr nach der Einführung zählte Big Blue über 28.000 Cyber-Treffs und musste weitere Maßnahmen zur Verwaltung von Communities, Experten und Wissen ergreifen. Inzwischen werden neue Teamrooms zentral registriert und daraufhin geprüft, ob sie auch genutzt werden. Erfolgt innerhalb eines halben Jahres kein Zugriff, wird dem Eigner die Schließung nahe gelegt.

Die Anwendungsarten

Knowledge-Management berührt drei Einsatzfelder:

das Handling von hauseigenem Wissen,

die Interaktion mit externen Geschäftspartnern und

die Kundenbetreuung.

" Klassisches" Knowledge-Management behandelt unternehmensintern vorhandenes Wissen und wird auf Basis eines Intranet abgewickelt. Charakteristische Anwendungsbeispiele sind

Assignment: Anhand von Mitarbeiterprofilen (Skills-Datenbanken) und Verfügbarkeitslisten werden Projekte mit den geeignetsten Mitarbeitern besetzt. Aufgrund von Skill-Profilen lassen sich darüber hinaus individuelle Lehrpläne erstellen. Das Personal-Management verwendet sie für die interne Karriereplanung.

Projektarbeit: Mitarbeiter lösen Probleme aufgrund der Erfahrungen von Kollegen, die sie vielleicht nicht einmal kennen.

Marketing und Vertrieb: Weltweit tätige Unternehmen entwerfen marktspezifische Marketing- beziehungsweise Vertriebsmaßnahmen und integrieren das Wissen über den Kunden. Auf welchen Märkten ist er präsent? Welche Technik nutzt er? Was plant er? Über welches Marktwissen verfügt man selbst in diesem Bereich?

A ber Knowledge-Management muss sich nicht auf die eigenen Mitarbeiter beschränken. Immer mehr Unternehmen setzen auf die Anbindung von Geschäftspartnern mit Hilfe von Extranets. Ein Beispiel dafür ist der Automobilhersteller, der eine Rückrufaktion in Gang setzen muss und Teilehersteller sowie Lieferanten in seine Entscheidungsprozesse integriert. Auch für die Kundenbetreuung (B2C oder B2B) wird Knowledge-Management immer wichtiger. Ob Bankberater, Mitarbeiter im Call-Center oder Servicetechniker vor Ort: Optimal informierte Berater sorgen für besseren Service und stärken die Kundenbindung.

Neue Berufsfelder durch KM

Während BP und IBM für den Wissenstransfer vorwiegend auf selbst organisierende Strukturen setzen, versucht der Systemintegrator Siemens Business Services (SBS), das Wissen zentral zu erfassen, zu konservieren und zugänglich zu machen. Noch bis Ende September läuft das konzernweite SBS-Projekt "Knowledgemotion". Sein Ziel ist es, Knowledge-Management flächendeckend in 58 Ländern einzuführen. Insgesamt 48 isolierte KM-Inseln (beispielsweise "Management Consulting") sollen dabei auf einen gemeinsamen Standard gebracht werden.

Die KM-Einführung geht bei SBS einher mit einem "Business Process Reengineering". Dazu Programm-Manager Dirk Ramhorst: "Grundprinzip ist die Integration von Knowledge-Management in die Geschäftsprozesse, damit KM als etwas Normales und nicht als etwas Zusätzliches verstanden wird." Zunächst nahm SBS seine Kernprozesse unter die Lupe. Die zentrale Frage lautete: Welches Wissen wird im Prozess gebraucht, und welches Wissen wird - zum Beispiel durch Interaktion mit dem Kunden - neu geschaffen?

Im nächsten Schritt ist geplant, ein "Knowledge Center" aufzubauen. In dessen Schlepptau entstehen neue Berufsfelder wie das des "Knowledge Brokers". Zu seinen Aufgaben gehört es, die spezifischen KM-Prozesse zu unterstützen und auf damit verbundene Mitarbeiterfragen zu antworten. Dringende Anfragen sowie der Wissensaustausch mit Experten erfolgen allerdings nach wie vor über das Siemens eigene Intranet ("Sharenet").

[...]

KM beschreibt den ganzheitlichen Prozess, mit dem vorhandenes und neu gewonnenes Wissen nutzbar gemacht wird. Wissen muss - mehr oder weniger automatisiert - an die Stellen transportiert werden, an denen es gebraucht wird. Dazu gehören das intelligente Suchen, die Zusammenarbeit ("Collaboration") in Communities und Expertennetzen sowie das Skill-Managament. Das Schlusswort gehört dem BP-Vorstandsmitglied Knoedel: "Knowledge-Management ist in den letzten Jahren - für die meisten fast unbewusst - zur gelebten Wirklichkeit geworden."

*Eva-Katharina Kunst ist freie Journalistin im Kempen. Wir geben den Text an dieser Stelle nur auszugsweise wieder. Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der COMPUTERWOCHE Nr. 23 vom 8. Juni.