Wirtschaftskrise schadet dem Stellenwert der IT

01.06.2010
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Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater. 2009 gründete er mit Wittcomm eine Agentur für IT /Publishing/Kommunikation. Dort bündelt er seine Aktivitäten als Autor, Blogger, Sprecher, PR- und Kommunikationsberater. Witte hat zwei Bücher zu strategischen IT-Themen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für die IT- und Wirtschaftspresse. Davor arbeitete er als Chefredakteur und Herausgeber für die Computerwoche. Außerdem ist Witte Mitbegründer des CIO Magazins, als dessen Herausgeber er bis 2006 ebenfalls fungierte.
Nur noch 20 Prozent von 400 Business-Verantwortlichen schätzen die IT in ihren Unternehmen als wichtig ein. Vor der Krise waren es fast doppelt so viele.

Die IT-Strategieberatung Boydak Management Consulting hat die Entwicklung des Wertbeitrags der IT während der jüngsten Wirtschaftskrise analysiert. Ausgewertet hat sie die Antworten, die IT- und Business-Verantwortliche zu Beginn, auf dem Höhepunkt und im Abklingen der Krise gaben.

Die drei Befragungswellen liefen von August bis September 2008 (Beginn der Krise), von Oktober 2008 bis Februar 2009 (Höhepunkt) und von August 2009 bis Ende September 2009 (erste "Greenshots", sprich: Anzeichen für eine Erholung der Wirtschaft). Befragt wurden mehr als 400 Topmanager und IT-Verantwortliche aus großen Unternehmen in Deutschland, der Schweiz und Österreich.

Geringe Reputation

Die dreiteilige Untersuchung förderte zum Teil erstaunlich unterschiedliche Ergebnisse zutage. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung der IT durch das Topmanagement schwankt erheblich. Zum einen zeigt die Analyse, wie sich die Reputation der IT im Hinblick auf strategisch wichtige Dimensionen über die Zeit verschlechtert hat. Hinsichtlich anderer Kriterien hat sie sich hingegen im Lauf der Krise verbessert. Unter dem Strich aber ist es der IT nicht gelungen, ihr Gesamtbild nachhaltig positiv zu beeinflussen.

Der Stellenwert der IT ist im Verlauf der Krise kräftig gesunken. Räumten im Spätsommer 2008 noch fast 40 Prozent der Topentscheider der IT eine hohe Bedeutung ein, so waren es ein Jahr später, also im Herbst 2009, nur noch 23 Prozent. Zugleich stellten zu diesem Zeitpunkt 34 Prozent der Führungskräfte ihrer IT ein schlechtes Zeugnis aus. Vor der Krise hatten das lediglich 18 Prozent getan.

Ein scheinbarer Widerspruch

Andererseits gelangte das Topmanagement im Verlauf der Wirtschaftskrise stärker zu der Auffassung, dass sich die Investitionen in IT rechnen. Diese Aussage steht anscheinend im Widerspruch zum gesunkenen Stellenwert der IT.

Selçuk Boydak, Verwaltungsratsvorsitzender der Boydak Management Consulting, interpretiert diese Diskrepanz folgendermaßen: "Während der Wirtschaftskrise wurden die IT-Projektportfolios sehr genau überprüft. Weiterverfolgt wurden vor allem jene Projekte, deren Nutzen- und Renditeversprechen am größten waren. Einige dieser Hoffnungen haben sich offenbar erfüllt, und das zeigt sich nun in der leicht verbesserten Wahrnehmung."

Die Positionierung der CIOs hat während der Konjunkturkrise allerdings nicht gelitten. Sie wurde eher aufgewertet. Waren zu Beginn der Krise nur 31 Prozent der CIOs in der obersten Management-Ebene angesiedelt, so betrug der Anteil der IT-Verantwortlichen in der Unternehmensführung im Herbst 2009 41 Prozent. Diese Aufwertung dürfte mit der höheren Aufmerksamkeit zusammenhängen, die der IT in den vorangegangenen zwölf Monaten zuteil wurde. "Vor allem im Finanzsektor erleben wir in letzter Zeit eine Aufwertung des IT-Managements", so Boydak.

Krisengewinner IT-Strategie

Die schwache Konjunkturphase brachte für die IT-Verantwortlichen also auch Vorteile mit sich. Einige von ihnen haben zudem offenbar gelernt, ihre Strategien klarer zu formulieren und enger mit der Geschäftsstrategie abzustimmen (siehe Grafik "Die IT-Strategie"). Auf der anderen Seite ist die Zahl der Unternehmen ohne eine formulierte IT-Strategie mit mehr als einem Drittel nach wie vor sehr hoch.

Zurückgegangen ist die Anzahl der mittel- und langfristigen Bebauungspläne. Im Verlauf der Krise stieg der Teil der Unternehmen, der seine IT nicht auf diese Weise plant, um elf Prozentpunkte (siehe Grafik "Die Bebauungspläne"). Allerdings sind diese Pläne, wo vorhanden, besser auf die Business-Bedürfnisse abgestimmt – wie auch die IT-Strategien. Das dürfte eine Konsequenz der Portfolioanalysen sein, denen die meisten IT-Shops während der Krise unterzogen wurden.

Umgekehrt berücksichtigen die Geschäftsstrategien die Chancen von Technologien allerdings noch nicht in ausreichendem Maße. In 60 Prozent der Unternehmen wird offenbar nicht wirklich danach gefragt, wie die IT oder andere Technologien eingesetzt werden können, um die Geschäftsziele zu erreichen.

Disjunkte Steuerungen

Der Disjunkt zwischen der Steuerungsphilosophie der IT und der des Business hat sich unter dem Strich nur wenig verändert. Auf dem Höhepunkt der Krise näherten sich die Philosophien zwar an: Von Ende 2008 bis Februar 2009 erkannten 69 Prozent der Befragten eine Übereinstimmung der Steuerungsphilosophien. Doch nachdem sich eine Erholung der Wirtschaft abzeichnete, gab dieser Wert wieder nach – auf 64 Prozent. Hier bieten sich nach wie vor große Chancen für die IT, ihren Wertbeitrag zu erhöhen, indem sie beispielsweise regionale Besonderheiten oder zentrale Steuerungsstrukturen des Business antizipiert.

Erwartungsgemäß ging der Anteil der Ausgaben für innovative Projekte während der Krise zurück. Zu Beginn des Abschwungs lag der Anteil der Unternehmen, die zwischen zehn und 25 Prozent ihres Projektbudgets für Innovation ausgaben, noch bei 47 Prozent. Bis Herbst 2009 sank er auf 34 Prozent (siehe Grafik "Innovationen leiden").

"Das ist leider ein typisches Verhalten während einer Krise", erläutert Boydak. Nach Ansicht des Beraters könnten die Unternehmen sehr viel mehr gewinnen, wenn sie die innovativen Projekte zulasten der "Muss"-Projekte betonten, die dem Business keinen direkten Mehrwert brächten.

Hebel an falschen Stellen angesetzt

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage zeigt ein Grundproblem der IT auf: Zu Beginn der Wirtschaftskrise erklärten 63 Prozent der Befragten, dass die IT nicht sagen könne, welche ihrer Kosten für die Unterstützung welcher Kernprozesse aufgewendet würden. Dieses ohnehin unzureichende Wissen schwand im Lauf der Krise weiter dahin.

Zuletzt gaben fast 70 Prozent der Befragten an, die Kosten für die IT-Unterstützung der einzelnen Kernprozesse nicht zu kennen. So ist es nicht verwunderlich, dass IT-Optimierung und Kostenreduzierung oft an der falschen Stelle angesetzt werden und dass sich der Nutzen der IT nicht darstellen lässt.

Wer nicht weiß, was die Kernprozesse auf der IT-Seite kosten, kann auch nicht aktiv steuern. Für 61 Prozent der internen Kunden sind die ihnen aufgebürdeten IT-Kosten ein Buch mit sieben Siegeln. Sie empfinden diese Kosten als nicht beeinflussbar.

Das deutet auf einen tiefen Graben zwischen IT und Fachbereichen hin. Kostentransparenz ist schließlich eine der wichtigsten Grundlagen für das Business-IT-Alignment. Solange die Geschäftsseite nicht sieht, wie sie die Kosten beeinflussen kann, wird sie die IT immer nur als notwendiges Übel betrachten.

Provider-Steuerung Fehlanzeige

Auf Hilflosigkeit im Umgang mit der IT deuten auch die Antworten auf die Frage nach deren Effektivität hin. Zwar messen nach der Krise drei von zehn der befragten Unternehmen die Effektivität ihrer IT-Prozesse – zuvor waren es nur 26 Prozent –, aber das heißt im Umkehrschluss, dass immer noch 70 Prozent das nicht tun. Dazu Boydak: "Dem Effektivitätsgrad auf die Spur kommen Unternehmen nur mit Messungen und Benchmarks, die nicht allein die Kostenseite abdecken, sondern auch wesentliche qualitative Größen einschließen."

Wer erwartet, dass die Krise die Unternehmen dazu bringt, ihre Service-Provider effektiver zu steuern, sieht sich enttäuscht. Auch nach dem Abschwung kümmern sich 58 Prozent der Befragten nicht um eine systematische Steuerung ihrer Outsourcing-Anbieter; zuvor waren es 61 Prozent. Doch gerade durch die Steuerung und nachhaltige Zielkontrolle der Provider lassen sich nach Ansicht von Experten erhebliche Kosten einsparen. Demzufolge versäumen viele IT-Verantwortliche eine große Chance, ihre Kosten zu senken. (qua)