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Thema des Tages

Wirtschaftsbosse wollen Internet zum Marktplatz machen

14.09.1999
Thema des Tages

CW-Bericht, Alexander Freimark

PARIS (COMPUTERWOCHE) - Die Chefs von 29 internationalen Großunternehmen haben sich Anfang dieser Woche in Paris versammelt, um das Unmögliche möglich zu machen: das Internet in wohlgeordnete Bahnen zu lenken. Zwar sind ihre Forderungen und Ratschläge in der Online-Welt nicht neu, erstmals könnte jedoch die kombinierte Marktmacht ausreichen, um Veränderungen einzuleiten - was nicht jeden Surfer freuen dürfte.

Alles, was im Telekommunikations-, Computer- und Medienbereich Rang und Namen hatte, gab sich am Montag im Louvre ein Stelldichein. Gerufen hatte die Initiative Global Business Dialogue on E-Commerce (GBDE), und erschienen waren unter anderem Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, Gerald Levin von Time Warner, IBM-Boß Louis Gerstner, der französische Premier Lionel Jospin sowie der amerikanische Handelsminister William Daley. Ziel der hochkarätigen Versammlung war, das Internet auf seine Rolle als künftige Grundlage der Weltwirtschaft zurechtzutrimmen.

"Durch den Blick der Beteiligten über den eigenen Tellerrand hinaus", so Hewlett-Packards Topmanager Bob Kirkwood im Vorfeld der Konferenz, solle eine globale Standortbestimmung erreicht werden, auf der sich der elektronische Handel der Zukunft aufbauen lasse. Was die beteiligten Unternehmen bislang am Internet stört, ist die Tatsache, daß sich der E-Commerce - zumindest in Europa - nicht wie erhofft entwickelt. Um endlich einen allgemein akzeptierten und vor allem frequentierten Marktplatz für ihre Geschäfte zu finden, gehen die Branchenriesen das Thema jetzt in einer konzertierten Aktion an.

Die Forderungen an Politiker und Kollegen aus der Industrie wurden von der GBDE in neun verschiedenen Themengebieten vorgelegt. Darunter finden sich beispielsweise Antworten zu Sicherheitsbelangen ebenso wie zum Vertrauen der Kunden, zu Problemen beim Urheberecht in den neuen Medien, der Gesetzgebung im grenzüberschreitenden Handel sowie dem Datenschutz und Steuerthemen. Die veröffentlichten Arbeitspapiere - um mehr handelt es sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht - sollen den Adressaten in erster Linie dazu dienen, sich eine Meinung zu anstehenden Entscheidungen bilden zu können.

Wer sich allerdings revolutionäre Thesen von der GBDE erwartet hatte, wurde enttäuscht. So fordert die Netzgemeinde schon seit Jahren, daß die US-Regierung ihr Exportverbot für starke Verschlüsselungslösungen abschafft - nichts anderes war auch von der Initiative zu hören. Daß Anwendern nach Meinung der GBDE die freie Wahl der von ihnen eingesetzten Security-Produkte zugestanden werden muß, zeigt darüber hinaus lediglich die Absurdität der gegenwärtigen Kryptografie-Situation.

Im Bereich des Kundenvertrauens kommt des GBDE-Pudels Kern zum Vorschein. Hier setzen die Manager lediglich auf die Selbstregulierungskräfte der Branche. Während diese nach geeigneten Mitteln suchen müßte, um die Anwender zufriedenzustellen, falle den Regierungen eine Unterstützungsfunktion zu. Politiker hätten lediglich den minimalen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der von den Unternehmen mit Inhalt angefüllt werde. Die nationale Gesetzgebung greife im Internet eben zu kurz, so die GBDE.

Eine ähnliche Situation schwebt der illustren Vereinigung auch beim Datenschutz vor: Hier seien die Unternehmen besser auf die sich schnell verändernden Rahmenbedingungen vorbereitet als die Regierungen. Darüber hinaus sei es falsch, wenn die nationalen Gesetzgeber den Fluß der persönlichen Surfer-Daten über die Landesgrenzen hinaus unterbinden würden. Dies hätte negative Auswirkungen auf den freien Handel und damit auf die Entwicklung des E-Commerce.

Als Lösung schlägt die GBDE zwei alternative Verfahren vor. Zum einen ließe sich der Datenschutz über ein sogenanntes Siegel-Programm realisieren, bei dem ein Drittanbieter über die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen auf Websites wacht. Andererseits könne auch ein Unternehmen, das über genügend Renommee und einen starken Markennamen verfüge, die vorher festgelegten Richtlinien auf seiner Website eigenständig umsetzen.

Marc Rotenberg, Direktor des Electronic Privacy Information Center (Epic) in Washington, ist nicht der einzige, der Bedenken bei derartigen Modellen hat: "Gerade im kritischen Bereich des Datenschutzes hoffen viele Anwender auf eine Gesetzesinitiative der Regierungen." Die Selbstregulierungsversuche der Industrie sind seiner Erfahrung nach bislang nicht besonders erfolgreich verlaufen. Ähnlich äußerte sich auch Wilfried Beeck, Mitbegründer der Softwarefirma Intershop, am Montag gegenüber dem "Wall Street Journal Europe". Einige Leute verstünden eben nicht, daß die wahre Natur des Internet unorganisiert sei. "Die GBDE-Initiative ist nur ein weiterer Versuch, mit Hilfe eines Komitees Ordnung ins Web zu bringen".