Wirklich offen sind nur wenige Betriebssysteme

01.11.1991

Dr. Heinz Brill, Vorstandssprecher der Anwendervereinigung Save und Mitglied des Vorstands der Körber AG in Hamburg

Die Notwendigkeit, zur Lösung komplexer DV-Probleme heute und in Zukunft Großrechner (Mainframes) einzusetzen, ist unter Fachleuten nicht umstritten. Entgegen der öffentlich immer neu und immer heftig geführten Diskussion über das "Aussterben" der einen oder anderen Rechnerspezies hat sich in der betrieblichen Praxis eines großen Unternehmens heute ganz klar ein dreistufiges Konzept durchgesetzt. Auf der höchsten Ebene stehen für übergreifende Anwendungen ein oder mehrere Großrechner zur Verfügung. Ebenso selbstverständlich nutzen die Anwender am Arbeitsplatz, auf der untersten Ebene also, einen PC zur individuellen Aufgabenlösung, schwerpunktmäßig für Textverarbeitung, für Tabellenkalkulation und Business-Grafik, aber auch als "Verbindung" zu den großen Rechnern. Als Basis einer zunehmenden Dezentralisierung haben sich auf der mittleren Ebene Abteilungsrechner zur Lösung betriebs- und abteilungsorientierter Aufgaben etabliert.

Die Euphorie über schnell wachsende Verfügbarkeit von Computerleistung hat in vielen von uns das Bild verstärkt, die rasante Entwicklung werde bei rasch voranschreitender Dezentralisierung die obere Leistungsebene in der Rechnerhierarchie überflüssig machen. Doch im Gegenteil: Die Anforderungen an die Mainframes wachsen. Denn nur dann, wenn die Integration der unterschiedlichen. Ebenen gelingt, kann die betriebliche Informationsverarbeitung ihrer Aufgabe gerecht werden.

Die Technologie-Front verläuft bei den großen DV-Systemen. Vergleichbar sind die Probleme im öffentlichen Personentransport. Auch hier käme niemand auf die Idee, Hochgeschwindigkeitszüge generell durch Taxis zu ersetzen oder anstelle von Großraumflugzeugen ausschließlich kleine Propeller-Maschinen auf die Reise zu schicken. Vielmehr kommt es stets darauf an, die geeigneten, dem Zweck angemessenen und wirtschaftlichsten Transportmittel auszuwählen sowie ihr Zusammenspiel zu optimieren. Und während Autos, Busse und Züge technologisch nicht selten von den "Abfallprodukten" aus der Raumfahrtforschung als Spitzentechnologie profitieren sind PCs und Abteilungsrechner im Grunde ein technologisches "Nebenprodukt" der Forschung und Entwicklung, die im Mainframe-Bereich ihren Ursprung hat.

Daran hat sich auch in der jüngsten Vergangenheit nichts geändert, wenn auch inzwischen verstärkt ein gegenseitiger Austausch stattfindet. Dabei sind von den kleinen Systemen vor allem Impulse für anwendernahe Benutzeroberflächen ausgegangen.

Trotzdem verläuft die Technologie-Front in der DV hauptsächlich bei den großen Systemen, die extremen Anforderungen gerecht werden müssen. Denn beispielsweise bei der Entwicklung des Betriebssystems für einen Großrechner sind Probleme von enormer Komplexität zu lösen.

Um im Transport-Bild zu bleiben: Gegen die Steuerelektronik eines Verkehrsflugzeuges oder eines Hochgeschwindigkeitszuges nimmt sich das Antiblockier-System in einem Pkw wie Kinderspielzeug aus.

Ebensowenig ist es möglich, Betriebssysteme für Rechner verschiedener Klassen über einen Kamm zu scheren. Trotzdem sind neben den Anforderungen an die Leistungsfähigkeit aus Anwendersicht die Offenheit und die Verbreitung eines Betriebssystems die wichtigsten Faktoren für einen erfolgreichen Einsatz im Unternehmen .

Denn Offenheit bedeutet klare Schnittstellen sowie breite Unterstützung unterschiedlicher Anwendungspakete und Standards. Offenheit bedeutet für den Anwender vor allem, daß die Wahl des Betriebsstems das Potential nutzbarer Anwendungssoftware nicht einschränken darf.

In der unteren Klasse, im PC-Bereich, ist MS-DOS weitgehend das unangefochtene Betriebssystem. Nach strenger Definition handelt es sich zwar um ein geschlossenes System, denn die Anwender haben weder Einfluß auf die Entwicklung, noch gibt es eine Standardisierung im Sinne von Absprachen. Trotzdem ist MS-DOS durch seine enorme Verbreitung quasi zum offenen System geworden.

Gemessen am "State of the Art" allerdings ist MS-DOS ein veraltetes System. Die Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt, ein Teil der Anwendungssoftware greift deshalb am Betriebssystem vorbei direkt auf die Hardware zu. Trotzdem steht dieser De-facto-Standard auf sicheren Füßen, selbst mächtige Computeranbieter können daran nicht rütteln. Die hohe Verbreitung garantiert dem Anwender Kontinuität, Sicherheit und Schutz seiner Investitionen in Software und Personal. Das Betriebssystem MS-DOS löst bei überschaubarer Komplexität die Probleme auf der unteren Ebene der betrieblichen Informationsverarbeitung.

In der nächsten Stufe, bei Workstations und Abteilungsrechnern, ist Unix der nur noch aus "alter Gewohnheit" umstrittene Standard. Ganz im Gegensatz zu MS-DOS und besonders OS/2 handelt es sich um ein wirklich offenes System. Die Standardisierung betreiben verschiedene Hersteller und die Anwender gemeinsam. Damit ist ein hohes Maß an Benutzernähe und Herstellerunabhängigkeit gewährleistet.

Viele öffentliche und private DV-Nutzer, kleine, mittlere, aber auch die ganz großen, haben Unix zu ihrer Strategie erklärt, um mit diesem offenen Betriebssystem für ihre EDV-Welt ein Höchstmaß an Unabhängigkeit gegenüber einzelnen Herstellern und einen optimalen Schutz ihrer Investitionen sicherzustellen.

Die Stärken von Unix liegen vor allem in einer ausgeprägten Kommunikationsfähigkeit nach innen und nach außen sowie in der Verfügbarkeit leistungsfähiger grafischer Software. Obwohl an einem unter Unix betriebenen Rechner mehrere Benutzer gleichzeitig arbeiten, ist es meist nicht notwendig, einen "hauptamtlichen" Operator einzusetzen. Wie beim PC können die Systemfunktionen weitgehend durch die Benutzer bedient werden.

Ganz anders sieht das bei den Mainframes aus. Hier ist der ausgebildete Operator unabdingbar, wenn auch unter dem Stichwort "Automatisches Rechenzentrum" Ansätze für den operatorlosen Betrieb, beispielsweise während der Nachtstunden, gefunden wurden. Doch weitere Anstrengungen sind gerade in diesem Bereich dingend nötig.

Warum die Mainframe-Welt und damit die oberste Stufe betrieblicher Informationsverarbeitung vielfach ganz anders aussieht als in den darunterliegenden Stufen, läßt sich wieder sehr gut am Transport-Beispiel illustrieren .

Da kann ein Autofahrer leicht von einem Pkw-Typ auf einen anderen umsteigen, manchem Busfahrer aber bereitet es trotz langer Fahrpraxis anfänglich Probleme, sich in einem neuen, komfortableren, das heißt mit mehr Funktionen versehenen, Gefährt zurechtzufinden. Für einen Verkehrspiloten aber ist es selbstverständlich, daß er bei einem Maschinenwechsel eine ergänzende Ausbildung mit abschließenden Prüfungen zu durchlaufen hat. Das hängt einmal mit der Komplexität der Aufgabe zusammen, aber auch mit den möglichen katastrophalen Folgen eines Fehlers im Umgang mit dem hochkomplexen System Flugzeug.

Die Situation im Umgang mit einem Großrechner und seinem Betriebssystem ist ähnlich. Das System bleibt komplex, auch wenn beispielsweise bei dem in unserem Hause eingesetzten Betriebssystem BS2000 die Bedienung vergleichsweise einfach ist. Und der Ausfall eines Systems durch einen Bedienungsfehler kann für den Anwender katastrophale Folgen haben.

Bei einem Mainframe-Betriebssystem stehen die sichere und effektive Beherrschung großer Datenmengen, die integrierende Funktion innerhalb eines Netzwerkes von Rechnern unterschiedlicher Hersteller und unterschiedlicher Leistung sowie die absolute Funktion- und Datensicherheit ganz oben auf der Prioritätenliste.

Doch ebenso wie bei den Betriebssystemen der unteren Ebenen ist aus Anwendersicht die Offenheit für ganz unterschiedliche Anwendungssysteme und die Kommunikationsfähigkeit mit marktrelevanten Großrechnern mit anderen Betriebssystemen von entscheidender Bedeutung. Im Mainframe-Bereich heißt das auf der einen Seite Nähe zur /370-Welt, auf der anderen Seite ist ein intensives Gespräch zwischen dem Systemanbieter, den Anbietern von Anwendungssoftware und vor allem den Anwendern notwendig.

Anwender unterschiedlicher Branchen organisieren sich hierzu entsprechend ihrer Interessenlage in Anwendervereinigungen. In dieser Beziehung haben wir mit BS2000 besonders gute Erfahrungen gemacht; die Zusammenarbeit zwischen Siemens und der Anwendervereinigung Save hat sich sehr positiv ausgewirkt. Vertragliche Vereinbarungen sichern Kontinuität und Schutz der Investitionen.

Die ausgeprägte Offenheit des Betriebssystems gegenüber allen wichtigen Anwendungssystemen, die Durchgängigkeit über verschiedene Leistungsstufen, die gute Unterstützung und Verbreitung in Europa sowie die steigende Anzahl an Softwarehäusern, die Programme für BS2000-Rechner entwickeln, sind in diesem Investitionsbereich gewichtige Argumente.

Nicht zuletzt ist besonders im Mainframe-Bereich die wirtschaftliche Solidität des Lieferanten aus der Anwendersicht ein ganz wesentlicher Faktor, geht es doch um recht große Investitionen. Besonders unter diesem Gesichtspunkt ist die Zahl der möglichen Partner gerade in der letzten Zeit sicher nicht gewachsen.

Auch Siemens-Nixdorf muß hier erst wieder an die Siemens-Erfolge der vergangenen Jahre anknüpfen.