Freie Infrastruktur für Integration von Office-Anwendungen

Wird Gnome Basis für einheitlichen Linux-Desktop?

05.07.2002
MÜNCHEN (ws) - Die rivalisierenden Linux-Desktops "Gnome" und "KDE" bieten die Voraussetzung für die Entwicklung integrierter Client-Programme. Das von Gnome geschaffene Komponentenmodell "Bonobo" sowie diverse Frameworks könnten sich aber als Basis für die Anwendungsintegration auf allen Unix-Desktops durchsetzen.

Die schleppende Verbreitung von Linux auf dem Desktop wurde häufig mit dem Mangel an Office-Applikationen begründet, die Microsofts marktbeherrschendem Büropaket Paroli bieten könnten. Spätestens seit dem Engagement von Sun Microsystems in diesem Markt bietet ein großer Player mit "Star Office" beziehungsweise dem freien "Open Office" ein Anwendungspaket, das zumindest in puncto Funktionsumfang mit der Konkurrenz aus Redmond mithalten kann. Darüber hinaus entstanden im Rahmen der beiden Desktop-Initiativen Gnome (http://www.gnome.org) und KDE (http://www.kde.org) ebenfalls derartige Programme, zu denen typischerweise Textverarbeitung, Tabellenkalkulation oder Präsentationsgrafik gehören. Diese fallen etwas leichtgewichtiger aus, bieten aber die meisten der im Büroalltag nötigen Funktionen.

Konkurrenz im eigenen Lager

Mangel an Software scheidet daher als Argument gegen Linux am Client immer mehr aus, stattdessen könnte sich das Zusammenspiel der vorhandenen Programme als Hindernis erweisen. Als wichtigste Ursache für inkonsistente Client-Umgebungen macht sich zunehmend die Konkurrenz der zwei führenden Desktops bemerkbar. Ihnen kommt zwar das Verdienst zu, Linux für eine breite Anwenderschaft erschlossen zu haben. Mit dem fortschreitenden Ausbau der beiden Systeme entstehen aber zunehmend getrennte Softwarewelten. Die Desktops repräsentieren nämlich nicht nur unterschiedliche Benutzeroberflächen, sondern auch voneinander abweichende Programmiermodelle für Anwendungen. Beide bieten Entwicklern eine Fülle von Bibliotheken, Komponenten und Tools. Während etwa KDE für die GUI-Entwicklung auf "Qt" der Firma Trolltech (http://www.trolltech.com) zurückgreift, nutzt Gnome dafür das dem "Gimp"-Projekt (http://www.gimp.org) entstammende GTK+ sowie die "Gnome Widgets". Wenn die nötige Infrastruktur des jeweils anderen Desktops in Form von mehreren Libraries installiert wurde, lassen sich allerdings unter beiden grafischen Oberflächen auch jene Programme ausführen, die für den Konkurrenten entwickelt wurden. Aus der Benutzerperspektive weichen Gnome- und KDE-Programme jedoch in ihrem Aussehen und der Bedienerführung deutlich voneinander ab.

Getrennte Wege bei Komponentenmodellen

Während die unterschiedliche Bedienung der Applikationen zusätzlichen Lern- und Betreuungsaufwand erfordern kann, hat die separate Infrastruktur für die beiden Desktops auch Auswirkungen auf das Zusammenspiel der Software. Von modernen GUIs wird etwa erwartet, dass Applikationen als Bausteine für komplexere Aufgaben zusammenarbeiten können. Microsoft bietet derartige Dienste unter Windows schon seit Jahren über Object Linking and Embedding (OLE) an. Es ermöglicht, dass Benutzer in ein Textdokument etwa eine Kalkulationstabelle einbetten können. Nach einem Doppelklick auf eingebettete Inhalte aktiviert das System die dafür zuständige Anwendung, mit deren Hilfe die Daten im Kontext der Container-Anwendung bearbeitet werden können ("In-Place-Editing"). Solche Komponentenmodelle bieten darüber hinaus die Möglichkeit, bestimmte Funktionen von Anwendungen aus anderen Programmen oder Scripts abzurufen. Sie bilden die Grundlage für die Automatisierung von Desktop-Aktivitäten.

Tatsächlich bieten sowohl Gnome als auch KDE derartige Mechanismen an, beschreiten dabei aber erwartungsgemäß verschiedene Wege. Während KDE mit "Kparts" ein leichtgewichtiges Komponentenmodell bevorzugt, setzt Gnome mit "Bonobo" auf Corba. Interessanterweise nutzten beide Teams anfangs Corba, und zwar auf Basis des freien Object Request Brokers (ORB) "Mico" (http://www.mico.org). Dieser erwies sich für die Nutzung am Desktop als nicht ausreichend leistungsfähig. Das KDE-Team wandte sich mit der Version 2 des Desktops seinem proprietären Modell zu, während die Gnome-Entwickler mit "Orbit" (http://www.labs.redhat.com/orbit) einen ORB gemäß ihren eigenen Ansprüchen schrieben.

Da Gnome- und KDE-Anwendungen auf dem jeweiligen Konkurrenz-Desktop lauffähig sind, dürfte im Wettrennen um die Gunst der Linux/Unix-User die bloße Zahl der jeweils verfügbaren Programme wohl kaum den Ausschlag geben. Eher könnte mittelfristig der Wunsch von Anwendern nach kooperierenden Applikationen zumindest bei der Infrastruktur eine Entscheidung zu einem Modell herbeiführen. Betrachtet man Anwendungen, denen gerade im Unternehmenseinsatz eine Schlüsselposition zukommt, dann scheint Gnome hier in einer günstigeren Position zu sein. Zu diesen "Killerapplikationen" zählt möglicherweise der Groupware-Client "Evolution" (http://www.ximian.com/products/ximian_evolution), der neben E-Mail-Funktionen auch einen Kalender sowie ein Adressbuch umfasst und dank eines separaten Exchange-Konnektors als Client für Microsofts Messaging-System fungieren kann. Noch stärker könnte sich die Entscheidung von Sun Microsystems zugunsten von Gnome auswirken. Das unter Linux/Unix führende Büropaket Star Office nutzt zwar ein weiteres proprietäres Komponentenmodell namens Universal Network Objects (UNO), kann aber dank eines vorhandenen Adapters von Bonobo-Anwendungen als ihresgleichen angesprochen werden. So ließe sich etwa über Zuordnung des Mime-Typs "application/msword" zu Open/Star Office erreichen, dass an Mails angehängte Word-Dokumente innerhalb von Evolution mit Suns Textverarbeitung geöffnet werden. Vorerst keine mustergültig aufeinander abgestimmte Anwendungssuite repräsentiert "Gnome Office" (http://www.gnome.org/gnome-office). Die meisten Programme stammen ursprünglich von anderen Projekten und werden nachträglich auf die Gnome-Infrastruktur abgestimmt. Im Prinzip versammeln sich unter diesem Etikett alle wesentlichen Desktop-Programme, die der GNU Public Licence (GPL) unterliegen. Immerhin findet sich dort auch das weit verbreitete Grafik-Tool "Gimp", das mittlerweile Bonobo-fähig ist.

Keine Fusion in Sicht

Entgegen einigen länger zurückliegender Debatten in Mailing-Listen zeichnet sich vorerst keine Zusammenführung der beiden Basistechnologien ab. Vielmehr treiben die rivalisierenden Teams ihre Projekte energisch voran und können größere Updates ihrer Desktops vorweisen. KDE gab im April die Version 3.0 frei, Gnome veröffentlichte Mitte Juni den Release Candidate 1 der Version 2.0.

Letztendlich fechten sie einen Kampf aus, der in der Welt der kommerziellen Desktops zwischen Microsoft, Apple und IBM Mitte der 90er Jahre stattfand. Den konnte zwar Microsoft für sich entscheiden, das Modell des automatisierbaren, hochkomplexen und integrierten Desktops verlor seitdem aber dank Internet an Bedeutung. In einer global vernetzten Welt erwies er sich als unversiegbarer Quell von Sicherheitsproblemen, außerdem verdrängte der Web-Browser zahlreiche proprietäre Frontends aus der Client-Server-Ära. Tatsächlich finden sich auf dem typischen Arbeitsplatzrechner außer den gängigen Office-Paketen (inklusive Mail-Client) und dem Browser kaum noch Anwendungen. Deshalb stellt sich durchaus die Frage nach dem Nutzen der aufwändig betriebenen Konkurrenz um einen freien Desktop-Standard. Der Standard-Browser der Open-Source-Welt "Mozilla" untergräbt diese Bemühungen mit seinem Cross-Plattform-Konzept zusätzlich: Weder bei der Benutzeroberfläche noch beim Komponentenmodell schert er sich um Gnome und KDE, sondern bringt mit der "XML-based User Interface Language" (XUL) und XPCOM seine eigenen Technologien mit.