Unternehmen ändern ihre Rekrutierungsstrategien

"Wir wollen keine Zeugnisse mehr sehen"

19.10.2001
Der 31-jährige Ex-Journalist und heutige Personaler bei der Hypo-Vereinsbank Markus Vorbeck hat für sein Buch "Die Jobstrategie" monatelang den Bewerbermarkt recherchiert. In einem Gespräch mit CW-Mitarbeiterin Katja Müller äußert er sich zu den veränderten Rahmenbedingungen für Bewerber und zu deren häufigsten Fehlern.

CW: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Chancen für die Bewerber?

Vorbeck: Hoch qualifizierte Kandidaten werden immer wählen können, und leider haben wir im internationalen Vergleich zu wenig davon. Mit "hoch qualifiziert" meine ich die, die neben dem Studium eine Reihe interessanter praktischer Erfahrungen gesammelt, etwa im Ausland studiert oder gearbeitet haben und einen guten Studienabschluss vorweisen. Auch wenn mir der McKinsey-Begriff "war for talents" nicht gefällt, so geht er doch in die richtige Richtung. Denn ungeachtet der derzeitigen Konjunkturschwäche - die Unternehmen werden sich auch weiter um die Besten reißen.

CW: Worauf müssen sich Bewerber in Zukunft vorbereiten?

Vorbeck: Der Erstkontakt und die Vorauswahl werden sich mehr über die elektronischen Medien abspielen, nicht zuletzt deshalb, weil die Unternehmen hier enorme Kosten einsparen können. Ein Beispiel dafür sind Online-Formulare. Das persönliche Kennenlernen ist aber nach wie vor ausschlaggebend. Auch Telefoninterviews werden als Vorauswahlinstrument immer beliebter. Entweder wird dann sofort mit dem Bewerber gesprochen oder ein Termin vereinbart.

CW: Können Bewerber die Recruiting-Messen angesichts des Personalabbaus überhaupt noch ernst nehmen?

Vorbeck: Solche Kontaktmessen sind nach wie vor das Beste, was es für einen Bewerber gibt. Zwar geht es bei den großen Veranstaltungen immer auch um die Imagepflege des Unternehmens, und es werden einem nicht sofort von allen Seiten Jobs angeboten. Ich halte es aber für einen unschätzbaren Vorteil, dass man als Bewerber auf ziemlich ungezwungene Weise die viel zitierten Unternehmenskulturen beschnuppern und Kontakte von Angesicht zu Angesicht knüpfen kann. Auch wenn man am Ende nur mit ein paar Visitenkarten in der Tasche hinausgeht, hat sich das meiner Meinung nach schon gelohnt.

CW: Worauf muss der Bewerber achten?

Vorbeck: Die Gespräche auf den Kontaktmessen entscheiden häufig darüber, ob man zu einem Interview eingeladen wird oder nicht. Für den Bewerber gilt: Soviel wie möglich rausbekommen und Infos sammeln. Das ist eine Frage des Selbstbewusstseins. Natürlich verliert beim persönlichen Vorsprechen auch die Bewerbungsmappe an Gewicht.

CW: Obwohl in Deutschland darauf so viel Wert gelegt wird?

Vorbeck: Das könnte sich ändern. In Amerika werden die Lebensläufe beispielsweise ohne Fotos versandt. Mir gefällt das, weil es die Vorab-Beeinflussung reduziert. Bei Hochschulabsolventen setzen wir in der Hypo-Vereinsbank schon lange auf eine CD-ROM, die eine Reihe von Fragen an den Bewerber enthält. Sie ersetzt die klassische Bewerbungsmappe und ist ein klares Signal dafür, dass uns Fotos und Zeugnisse zur Beurteilung interessanter Kandidaten nicht wichtig sind.

CW: Welche Faustregeln gelten für Bewerber, die mit dem klassischen Weg vorlieb nehmen müssen?

Vorbeck: Ein cleverer Bewerber bringt die Dinge auf den Punkt. Das ist dann der Fall, wenn es ihm gelingt, seine beruflichen Vorstellungen und Fähigkeiten prägnant und glaubwürdig zu vermitteln. Beim Adressaten der Bewerbung sollte ein Gefühl dafür entstehen, warum sich die Bewerbung gerade an dieses Unternehmen richtet. Clevere Kandidaten haken im Übrigen auch nach, indem sie beispielsweise anrufen und sich nach dem Stand ihrer Bewerbung erkundigen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Leute einfach so ihre Unterlagen als Massensendung an zig Unternehmen schicken, und dann ist die Sache für sie erledigt.

CW: Was sind die häufigsten Fehler?

Vorbeck: Schlampig aufbereitete Unterlagen und Nachlässigkeit bei der Rechtschreibung liegen immer noch an erster Stelle. Auch das bloße Nachbeten von Floskeln wie analytisches Denkvermögen oder Flexibilität ist ein gravierender Fehler.

CW: Was kann der Bewerber tun, um im Anschreiben konform zu erscheinen, ohne diese Floskeln benutzen zu müssen?

Vorbeck: Die Worthülsen können zwar aufgegriffen werden, es muss aber auch eine Begründung dafür erfolgen. Falsch ist, die Hülsen einfach nur nachzuplappern. Realistische, klar nachvollziehbare Gründe für die Bewerbung sind gefragt. Das machen noch ganz wenige, und ich weiß auch, dass es für viele nicht leicht ist, präzise Formulierungen zu finden. Aber glauben Sie mir: Es wird keiner, der tolle Sachen gemacht hat, abgelehnt, nur weil er sich weniger geschickt ausgedrückt hat. Personaler schauen schon genau auf den Lebenslauf.

CW: Stichwort: dritte Seite - was kann, was darf hier stehen?

Vorbeck: Hier gehört das hin, was im Anschreiben aus Platzgründen nicht erwähnt werden kann. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Hat der Bewerber während des Studiums gearbeitet oder seine Mutter gepflegt und kommt so auf eine lange Studienzeit, könnte das ohne Erklärung ein schiefes Bild ergeben. Gerade für solche Fälle, die ausführlichere Erläuterungen verlangen, ist die dritte Seite geeignet. Auch genauere Beschreibungen von Praxiserfahrungen, zum Beispiel Projektarbeiten oder Publikationen in Büchern und Zeitschriften, können auf der dritten Seite erwähnt werden. Generell gilt hier dasselbe wie beim Anschreiben: möglichst konkret.

CW: Verwenden Personaler eine bestimmte Methode, nach der alle Bewerbungen ablaufen?

Vorbeck: Die meisten Personaler benutzen in Interviews die Star-Technik, zumindest gut geschulte gehen so vor. Im Grunde heißt das nichts anderes als: Sie bohren immer tiefer. Zuerst kommt die "Situationsbeschreibung" einer Station aus dem Lebenslauf. Das T steht für "Task" - wie Aufgabe. Hier wird genauer gefragt, Präzisieren ist erwünscht. Bei A wie "Action" wird das konkrete Herangehen an eine Aufgabe angesprochen. Bei "Result" geht es schließlich darum: Was ist bei der Arbeit herausgekommen, und welche Reaktionen hat es auf das Ergebnis der Arbeit gegeben? In jedem Fall lässt man die Kandidaten erzählen. Durch das, was sie sagen und was sie nicht sagen, bekommt man das meiste heraus.

CW: Wann wird über das Gehalt gesprochen?

Vorbeck: Wenn kein Unternehmensvertreter von sich aus davon redet, wird in der Regel erwartet, dass der Bewerber danach fragt. Am besten schaut man sich vorher aktuelle Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften an. Besonders Modelle wie Bonussysteme, variable Gehaltsbestandteile oder Stock Options sollte man sich erklären lassen. Grundsätzlich gilt: Wer zu hoch pokert, kann scheitern. Pokern sollte man eher mit Konkurrenzangeboten, deren Zahlen man auch offen nennen sollte.

CW: Stimmt es, dass es bei Gruppenauswahlverfahren wie dem Assessment Center (AC) die beste Vorbereitung ist, sich nicht vorzubereiten?

Vorbeck: Nein, wer meint, er müsse sich vorbereiten, sollte das auf jeden Fall tun. Das kann auch heißen, vorher etwas über solche Veranstaltungen zu lesen. Ich rate allerdings vehement davon ab, sich aufgrund der Lektüre ein generalstabsmäßiges Verhaltensmuster zurechtzulegen und dem dann sklavisch zu folgen.

CW: Kann ein Einzelkämpfer auf einem Assessment Center Teamgeist vortäuschen?

Vorbeck: Als Einzelkämpfer sollte man sich tatsächlich überlegen, ob man nicht einmal Kompromisse eingeht und schaut, wo die Leute links und rechts von einem bleiben. Aber man kann nur eine Zeit lang den Beobachtern etwas vorspielen, bei einer guten Veranstaltung über ein bis zwei Tage funktioniert das nicht. Zugegeben: Auf einem Assessment Center gibt es eine Vielzahl von Situationen, in denen eine Gratwanderung gefordert ist. Denn man will zum Beispiel ja auch sehen, ob der Kandidat seine Meinung durchsetzen kann. Manchmal ist es gut, vorzupreschen, wenn die Gruppe zu lahm ist. Oft sind aber auch drei, vier Leute etwa gleichstark und ringen miteinander. Dann sollte man auch Kompromisse eingehen.

CW: Also zählt eher Spontanität?

Vorbeck: Falsch ist, sich in eine Schablone zu flüchten. Das ständige Abwägen ist gefragt, genauso wie im Berufsleben: "Wem sage ich was in welcher Form?", "Mit wem arbeite ich jetzt zusammen?" und so weiter. Im Assessment Center ist es ungemein wichtig, situationsbezogen zu agieren. Kein Verständnis habe ich für Kandidaten, denen man anmerkt, dass sie das Verfahren irgendwie blöd und künstlich finden. Man muss auf jeden Fall sportlich rangehen, das heißt: sein Bestes auch tatsächlich geben wollen. Überheblichkeit, also der Glaube, die Sache schon mit Links zu machen, schadet garantiert.

Vom Assessment-Center bis zur VertragsunterzeichnungIn seinem Buch "Die Jobstrategie" räumt Markus Vorbeck mit vielen Vorurteilen über die Karriereplanung auf. Der Autor beschreibt die Chancen und Tücken der Jobsuche per Mausklick und zeigt, wie eine zeitgemäße Bewerbungsmappe aussehen sollte. Darüber hinaus war Vorbeck immer wieder an Assessment-Centern beteiligt. Neben den Grundlagen der Präsentationstechnik und dem üblichen Regieplan erklärt er, worauf es für ein erfolgreiches Abschneiden ankommt. Schließlich gibt Vorbeck konkrete Anregungen für das Bewerbungsgespräch von "Schema F bis Freistil". Ein kurzer Überblick über Vergütungsmodelle und sonstige Boni erleichtert die Entscheidung vor der Vertragsunterzeichnung.

Markus Vorbeck: "Die Jobstrategie. Ideen für Berufseinsteiger, High Potentials und Jung-Manager. Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München 2001. 256 Seiten, 37,14 Mark, 18,99 Euro. ISBN: 3-430-19382-6.